China:Die Partei hat immer recht

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Die Justiz in China strebt nach Unabhängigkeit. Der kommunistischen Führung geht das zu weit.

Von Kai Strittmatter

Die Kommunistische Partei spreche von der "Herrschaft der Gesetze", sagte der Pekinger Rechtsanwalt Zhou Shifeng einmal, sie meine aber damit: "Ich nehme meine Gesetze und beherrsche dich damit." Kurze Zeit später saß Zhou im Gefängnis. Der dem westlichen Vokabular entlehnte Begriff der Rechtsstaatlichkeit hat in einer oft eigenwilligen Interpretation Karriere gemacht in China.

Nach der blutigen Gesetzlosigkeit der Kulturrevolution (1966 bis 1976) gab sich China Mühe mit dem Aufbau eines Gerichtswesens. Und wenn die Parteiführer die Justiz auch stets als ihnen untertan empfanden, so erkannten sie doch die Notwendigkeit einer effektiven Gerichtsbarkeit für eine moderne Wirtschaft und Gesellschaft. Professionalisierung war das Schlagwort: Die Richter sollten besser bezahlt und anständig ausgebildet sein.

Die Entwicklung brachte die Debatte und nicht selten auch Wertschätzung westlicher Standards in Chinas juristische Zirkel. Das Ideal "unabhängiger Gerichte" etwa fand sich häufig in offiziellen Dokumenten. Einer der Vorkämpfer der Professionalisierung der Justiz war in den letzten Jahren stets Chinas Oberster Richter Zhou Qiang. Auch deshalb war die Bestürzung groß, als nun ausgerechnet dieser Zhou Qiang mit kriegerischem Vokabular zu einer Attacke auf die Unabhängigkeit der Justiz ausholte und warnte, China dürfe "nicht in die Falle der falschen westlichen Ideologie" tappen. Gegen verderbliche Einflüsse wie "Gewaltenteilung" oder "Unabhängigkeit der Justiz" müsse man "das Schwert ziehen".

Der New Yorker Juraprofessor Jerome Cohen, der Chinas Trippelschritte Richtung Recht und Gesetz jahrzehntelang begleitet und kommentiert hat, nannte Zhous Erklärung "den gewaltigsten ideologischen Rückschlag in den Jahrzehnten stockenden Fortschritts bei der Schaffung einer professionellen, unparteilichen Justiz". Auch unter chinesischen Juristen gab es eine erregte Debatte wie lange nicht mehr. "Egal in welchem Land: Ohne juristische Unabhängigkeit wird Einmischung von außen Alltag", schrieb der Jurist He Weifang von der Peking-Universität in einem Blogbeitrag auf dem Mikrobloggingdienst Weibo, der von der Zensur bald gelöscht wurde: "Am Ende führt das zu grassierender Ungerechtigkeit und Rebellion." Das Rad der Geschichte, so He, werde so zurückgedreht.

Damit mag er richtig liegen. Die Unterwerfungsgeste des Obersten Richters liegt im Zeitgeist: Partei- und Staatschef Xi Jinping legt seit seinem Amtsantritt allen gesellschaftlichen und politischen Kräften im Land die Zügel an. Westliche Ideen gelten ihm als subversiv. Xi führt selbst den Rechtsstaat oft im Mund, machte aber spätestens im vergangenen Jahr klar, wie das gemeint war, als er die Rolle der Gesetze in China mit "dem Griff eines Messers in der Hand der Partei" verglich.

Nach der öffentlichen Kritik an Zhou Qiangs Rede legte Chinas Oberstes Gericht auf Weibo erklärend nach. Natürlich gebe es in China auch juristische Unabhängigkeit, hieß es da, allerdings sei diese Unabhängigkeit "nur unter Führung der KP" vorstellbar. Was sich ein wenig so anhört, als erkläre man einem Gefangenen, er solle sich seine Freiheit doch bitte innerhalb der Gefängnismauern suchen.

© SZ vom 20.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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