China:Brief gegen die Grausamkeiten

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Chinas Zivilgesellschaft wird die Luft abgeschnürt: Die Repression hat seit 2012 wieder zugenommen - Szene vor der Großen Halle des Volkes in Peking. (Foto: Fred Dufour/AFP)

Die Berichte über die Folter inhaftierter Anwälte häufen sich derart, dass elf Länder nun Peking dazu Fragen stellen.

Von Kai Strittmatter, Peking

Es ist ein bemerkenswerter Schritt. Elf Länder, darunter Deutschland, haben gemeinsam Chinas Regierung aufgefordert, Berichten über Folter an gefangenen Bürgerrechtsanwälten nachzugehen. Die Forderung stammt aus einem Brief der Pekinger Botschaften der elf Länder, den die kanadische Zeitung The Globe and Mail am Montag in Auszügen veröffentlichte. Die Unterzeichner des Briefes geben demnach ihrer "wachsenden Sorge" Ausdruck über "jüngste Berichte über Folter und andere grausame, unmenschliche und entwürdigende Behandlung und Bestrafung in Fällen, die gefangene Menschenrechtsanwälte und andere Menschenrechtsaktivisten betreffen."

Anwälte, Journalisten, Aktivisten, Feministinnen werden unter Druck gesetzt und festgenommen

Die deutsche Botschaft wollte sich auf Nachfrage nicht zu dem Brief äußern, der vom 27. Februar stammt, und den die unterzeichnenden Botschaften nicht für die Öffentlichkeit bestimmt hatten. Adressiert war er an den Polizeiminister Guo Shengkun, dessen Behörde im Mittelpunkt der Foltervorwürfe steht. Seit dem Amtsantritt von Partei- und Staatschef Xi Jinping Ende 2012 hat die Repression in China zugenommen. Der Zivilgesellschaft wird die Luft abgeschnürt, der Sicherheitsapparat hat kritische Blogger, Journalisten, Aktivisten, aber auch Feministinnen unter Druck gesetzt und festgenommen. Die prominentesten Opfer der neuen Verfolgungswelle aber sind Chinas Bürgerrechtsanwälte, von denen im Sommer 2015 mehrere Hundert festgenommen wurden, einige der bekanntesten sitzen bis heute in Haft.

Der Brief der elf Länder ruft China auf, eine Arrestpraxis zu beenden, die offiziell "Überwachtes Wohnen an einem dafür bestimmten Ort" heißt. Diese Orte sind oft keine offiziellen Haftanstalten, es können auch Hotels oder Regierungs-Gästehäuser sein, in denen die Sicherheitsbehörden Zellen eingerichtet haben, wo sie die Gefangenen bis zu sechs Monate festhalten können. Meist ohne, dass die Familien oder die Verteidiger Bescheid wissen über den Aufenthaltsort. Solcher Geheimarrest setze "die Gefangenen einem hohen Risiko der Folter oder Misshandlung" aus, heißt es in dem Brief, das verstoße gegen die Menschenrechtszusagen, zu denen sich China selbst in internationalen Abkommen verpflichtet habe.

Konkret verlangt der Brief eine schnelle und unabhängige Untersuchung der "glaubwürdigen Folterberichte" in den Fällen der Rechtsanwälte Xie Yang, Li Heping, Wang Quanzhang und Li Chunfu, sowie bei dem Aktivisten und Rechtsanwaltshelfer Wu Gan. In den vergangenen Wochen waren über die Verteidiger und Familien der Anwälte mehrere eindrückliche Zeugnisse von systematischer Folter aufgetaucht. Schlafentzug ist demnach Standard, die Ehefrauen von Wang Quanzhang und Li Heping berichten von Elektroschocks, denen ihre Männer ausgesetzt worden seien. Das detaillierteste Protokoll stammt von dem im Juli 2015 verschwundenen Xie Yang, der seinen Verteidigern, als er sie schließlich sehen durfte, Anfang Januar im Detail berichtete von Schlägen, Schlafentzug und wie seine Vernehmer ihn immer wieder für mehr als 20 Stunden auf einen wackeligen Turm von Plastikhockern setzten, wo er keine Bewegung machen durfte. Xie Yang nannte auch die Namen der ihn misshandelnden Beamten und erzählte, sie hätten Drohungen ausgestoßen gegen seine Frau, sein Kind und seine Freunde. "Ich foltere dich, bis du verrückt wirst", habe einer der Beamten gesagt.

Anfang März, nur wenige Tage nach dem Brief der elf Länder, verbreiteten Chinas Staatsmedien eine Serie von Artikeln, in denen vor allem Xie Yangs Folterbericht als "Fake News" abgetan wurde. "Nichts als clever komponierte Lügen" seien das, schrieb die Nachrichtenagentur Xinhua, ausgedacht, "um Chinas Regierung zu verleumden". Nein, Xie Yang habe in dem Bericht die Wahrheit gesagt, sagt hingegen sein Verteidiger Chen Jiangang der SZ. Ihm hatte Xie den Bericht im Januar diktiert. "Die Polizei hat ihm gedroht: Wenn er nicht kooperiert, dann komme er wieder 'in den Schmelzofen'", sagt Chen. "Jetzt habe ich Angst um ihn. Ich habe ihn nun 20 Tage nicht sehen dürfen. Ich fürchte, dass sie sich an ihm rächen." Chen begrüßt den Brief der elf Länder. "Eine praktische Wirkung merken wir bislang nicht", sagt er. "Aber für die Menschenrechtskämpfer in China ist das eine große Ermutigung."

Unterzeichnet worden war der Brief von Vertretern Kanadas, Australien, Japans, der Schweiz und sieben EU-Ländern. Die USA sind nicht dabei. Auch war dem Vernehmen nach ursprünglich ein gemeinsamer Brief aller 28 EU-Länder geplant gewesen, was jedoch am Veto Ungarns scheiterte.

© SZ vom 22.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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