China:Appell an die Kanzlerin

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Die Frau eines verschwundenen, prominenten Bürgerrechts-Anwalts in der Volksrepublik China bittet Angela Merkel um Hilfe. Sie befürchtet, dass ihr Mann Opfer einer Verfolgungswelle wurde: "Ich weiß nicht, ob er lebt oder schon tot ist."

Von Kai Strittmatter, Peking

Es ist eine Verfolgungswelle, die bis heute andauert: Im Juli 2015 begann Chinas Sicherheitsapparat, die Bürgerrechtsanwälte des Landes ins Visier zu nehmen, Hunderte wurden abgeführt, bedroht und mit Repressalien überzogen. Ein paar sitzen noch immer im Gefängnis. Einer von ihnen ist der 45-jährige Jiang Tianyong, der zuletzt vor allem für schon inhaftierte Kollegen gearbeitet hatte. Jiangs in den USA lebende Ehefrau Jin Bianling wandte sich nun in einem Brief an Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Ich weiß, dass Frau Merkel sich in der Vergangenheit für die Lage der Rechtsanwälte in China interessiert hat", sagte Jin der Süddeutschen Zeitung in einem Telefonat. "Ich appelliere an sie, sich auch jetzt für Jiang Tianyong einzusetzen. Ich habe große Angst um ihn."

Jiang war einer der Anwälte, die Angela Merkel bei ihren China-Besuchen jenseits des offiziellen Programms zum Informationsaustausch getroffen hatte. Es gibt ein Foto, das Jiang gemeinsam mit Bundeskanzlerin Merkel zeigt. Jiang ist am 21. November verschwunden, als er einen Zug von Changsha nach Peking nehmen wollte. In Changsha hatte er die Ehefrau eines inhaftierten Kollegen besucht. Im Dezember teilte die Polizei zwar mit, sie habe ihn festgenommen wegen der "Anstiftung zur Unterwanderung der Staatsgewalt", doch bis heute weiß keiner, wo er ist. Weder Verwandte noch Verteidiger haben ihn seither gesehen.

Jiangs Ehefrau sagt, den letzten Anstoß für ihren Appell an die Bundeskanzlerin habe die Freilassung von Li Chunfu vergangene Woche gegeben, ein Bekannter und Kollege von Jiang. Li war aus dem Gefängnis geistig verwirrt und offensichtlich gebrochen zu seiner Familie zurückgekehrt, ein Arzt attestierte ihm diese Woche Anzeichen von Schizophrenie. Maya Wang, Chinaexpertin von Human Rights Watch, verweist darauf, dass gerade die Anwälte in Chinas Gefängnissen oft gefoltert werden.

"Ich weiß nicht einmal, ob mein Mann lebt oder ob er schon tot ist", sagt Jiangs Ehefrau Jin Bianling. In ihrem Brief an Merkel bittet Jin die deutsche Diplomatie um Nachfragen bei den chinesischen Behörden. Im Dezember hatten europäische Diplomaten, darunter ein Abgesandter der deutschen Botschaft, schon einmal die Eltern des verschwundenen Jiang besucht.

© SZ vom 21.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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