Bundestagsdebatte zur Sterbehilfe:"Es gibt Menschen, denen lässt sich nicht helfen"

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Bundestag Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Karl Lauterbach spricht am 02.07.2015 im Deutschen Bundestag in Berlin während der Debatte um Sterbehilfe und Sterbebegleitung. Foto: Wolfgang Kumm/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

(Foto: dpa)
  • Der Bundestag hat in erster Lesung über neue Regelungen der Sterbehilfe diskutiert. Die Debatte verlief trotz des heiklen Themas sachlich und respektvoll.
  • Es gibt vier Gruppenanträge mit Abgeordneten aller Fraktionen: Ein Gesetzentwurf will Sterbehilfeorganisationen verbieten, ein zweiter Rechtssicherheit für Ärzte herstellen. Der dritte Entwurf richtet sich ausschließlich gegen profitorientierte Beihilfe zum Freitod. Ein Antrag will das Strafgesetz verschärfen.
  • Eine Entscheidung wird der Bundestag voraussichtlich im Herbst fällen.

Von Markus C. Schulte von Drach

Der Bundestag hat am Vormittag eines "der anspruchsvollsten und schwierigsten Gesetzesvorhaben" dieser Legislaturperiode diskutiert - so kündigte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) die Debatte um die Regelung der Sterbehilfe am Morgen an.

Fast drei Stunden warben Abgeordnete in einer ersten Lesung für einen von vier Gesetzesentwürfen. Und wie bereits im November 2014 war es eine Debatte, die trotz aller Emotionen und Gegensätze sachlich ablief.

Eingebracht wurden die Entwürfe jeweils gemeinsam von Mitgliedern unterschiedlicher Fraktionen, was belegt, wie verschieden die Positionen auch innerhalb der Parteien sind.

Gesetzentwurf 1: Geschäftsmäßige Sterbehilfe verbieten

Michael Brand (CDU) eröffnete die Debatte mit der Forderung, die geschäftsmäßige Sterbehilfe unter Strafe zu stellen. Sein gemeinsam mit Kerstin Griese (SPD), Kathrin Vogler (Linke) und Elisabeth Scharfenberg (Grüne) eingebrachter Entwurf hat mit 210 Abgeordneten die meisten Unterstützer im Bundestag - darunter auch Kanzlerin Angela Merkel.

Er will die bisher geltenden Regelungen - also Straffreiheit bei Beihilfe zum Suizid, indirekter oder passiver Sterbehilfe, aber Strafe bei aktiver Sterbehilfe - nicht ändern. Und mit "geschäftsmäßiger Sterbehilfe" meinen die Abgeordneten ein "auf Wiederholung angelegtes, organisiertes Handeln". Das bedeutet, dass Sterbehilfe allen Vereinen oder Einzelpersonen verboten wäre, die nicht nur in einem Einzelfall Sterbehilfe leisten - unabhängig davon, ob sie damit Geld verdienen würden oder nicht. Es dürfe hier keine Tür geöffnet werden, sagte Brand, der den Entwurf als einen "Weg der Mitte" bezeichnete. "Auch bei der Sterbehilfe schafft das Angebot die Nachfrage."

Unterstützung bekam Brand von dem Grünen Harald Terpe, der warnte, dass jede Fremdbestimmung bei einer Entscheidung zum Suizid verhindert werden müsste. Es ginge darum, Sterbehilfe als Dienstleistung zu verhindern. Er wandte sich auch gegen Sonderrechte für Ärzte, denen die Suizidhilfe weder verboten noch als Vorrecht eingeräumt werden sollte. "Der assistierte Suizid ist keine ärztliche Aufgabe. Gerade wegen der besonderen Vertrauensstellung, die Ärzte genießen."

Gesetzentwurf 2: Rechtssicherheit für Ärzte

Er wandte sich damit gegen den Entwurf der Abgeordneten Peter Hintze (CDU), Carola Reimann und Karl Lauterbach (beide SPD). Deren Gruppenantrag will mit einer Neuregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) Rechtssicherheit für Ärzte schaffen, die Suizidbeihilfe leisten. Derzeit steht es Ärzten vom Gesetzgeber her eigentlich frei, dies zu tun. Zehn von siebzehn Landesärztekammern verbieten jedoch standesrechtlich die ärztliche Beihilfe zum Suizid.

Auch Ärzte sollten das Recht auf eine Gewissensentscheidung haben, forderte Hintze. Schließlich sei es ein Gebot der Menschenwürde und der Nächstenliebe, Todkranken beizustehen und sie vor Leiden zu bewahren. Wenn den Ärzten aber Sanktionen drohten, wäre das schwierig, sagte Katherina Reiche (CDU), die Hintzes Entwurf unterstützt. Dann würden sich die Patienten möglicherweise an Sterbehilfeorganisationen wenden. Die Botschaft ihres Entwurfes, betonte auch Carola Reimann, sei: "Niemand muss ins Ausland fahren oder sich an Laien wenden." Und gerade die Gewissheit, sich in einer ausweglosen Situation an den Arzt wenden zu können, könne dazu beitragen, Suizide zu verhindern.

Der SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach sieht in diesem Vorschlag deutliche Vorteile gegenüber dem ersten Gesetzentwurf. Dieser werde darauf hinauslaufen, dass Ärzte nirgendwo mehr Sterbehilfe leisten. Schließlich müsse dem ersten Entwurf zufolge bei jedem Fall geklärt werden, ob es sich um einen Einzelfall handele, oder ob der Mediziner mehrfach - und damit geschäftsmäßig - Sterbehilfe geleistet hat. Ein Arzt, der der Beihilfe überführt wird, müsste sogar mit Ermittlungen und Strafen rechnen.

Gesetzentwurf 3: Sterbehilfevereine ja, Profit nein

Petra Sitte (Linke) sprach sich für einen dritten Gesetzentwurf aus. Dieser will die Beihilfe zur Selbsttötung lediglich bestrafen, wenn sie "aus Gründen des eigenen Profits" angeboten wird. Sterbehilfevereine, die kein Geld verdienen, sollen demnach nicht verboten werden. Den Betroffenen soll es möglich sein, selbst zu entscheiden, mit wem sie über ihre Entscheidung sprechen wollen. Schließlich könne es sein, so Sitte, dass sie weder ihre Angehörigen, noch Freunde, noch einen Arzt damit belasten wollen. "Deshalb brauchen wir eine kompetente dritte Seite."

Es müsse nur gewährleistet sein, dass diese Seite uneigennützig und ergebnissoffen beraten würde. Deshalb forderte sie, wie auch Renate Künast und Kai Gehring (beide Grüne), die Arbeit von Sterbehilfeorganisationen zuzulassen - aber nur unter strengen Regeln. Denn, wie Gehring sagte: "Der einzelne Mensch ist Souverän seines Lebens." Das sei vom Gesetzgeber unbedingt zu respektieren. "In der existenziellsten aller Fragen sollte der Staat sich zurückhalten."

Gesetzentwurf 4: Beihilfe zur Selbsttötung verbieten

Einen vierten Entwurf hat eine Gruppe von Abgeordneten um Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger (beide CDU) eingebracht - er sieht die strikteste Einschränkung für Sterbehilfe vor. Die Abgeordneten fordern einen neuen Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch, der "Anstiftung und Beihilfe zur Selbsttötung" verbietet. Der Bundestag, so forderte Sensburg, "muss sich zum Anwalt der Menschen machen. Vor allem aber zum Anwalt der Schwachen." Er wies auf andere Länder wie Österreich hin, wo mit einem ähnlichen Gesetz gute Erfahrungen gemacht worden seien. "Es ist keine humanitäre Tat, einem Menschen zu helfen, sich umzubringen", betonte er. Humanitär sei vielmehr, den Menschen im Leiden beizustehen und in Gesprächen zu helfen, sich nicht umzubringen.

Es könne Ausnahmefälle geben, so Sensburg, aber von solchen Ausnahmefällen könne man nicht zu einer allgemeinen Regelung kommen. Sonst würden sich am Ende auch kerngesunde Personen töten lassen. Thomas Dörflinger betonte die Bedeutung der Palliativmedizin, die überhaupt die Rahmenbedingungen für die ganze Debatte bilde.

Das sah Karl Lauterbach, Befürworter des zweiten Entwurfs, anders: "Es gibt Menschen, denen lässt sich nicht helfen. Andere wollen so nicht sterben, weil sie es als würdelos empfinden. Was bieten wir diesen Menschen an? Darum geht es."

Im Herbst will der Bundestag über verschiedene Entwürfe abstimmen.

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