Bundesländer:Mal Chefsache, mal nicht

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Stuttgart zeigt Härte in der Asylpolitik, andere rot-grün regierte Bundesländer hadern jedoch mit dem neuen Gesetz.

Etlichen Grünen, die in Bundesländern Regierungsverantwortung tragen, ist die Zustimmung zum neuen Asylgesetz im Bundesrat nicht leichtgefallen. Schließlich war es ihre Partei, die sich stets als Fürsprecher der Flüchtlinge verstanden hatte. Nun sollen diese Grünen Regelungen umsetzen, die etliche Verschärfungen, aber auch Verbesserungen für Asylbewerber vorsieht. Das Gesetz lässt den Ländern und Behörden einen Spielraum, etwa, ob Flüchtlinge mehr Sachleistungen erhalten statt Geld, wie lange sie in den meist großen und beengten Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben müssen oder wie konsequent abgelehnte Asylbewerber abgeschoben werden. Noch ist offen, wie dieser Spielraum genau genutzt wird. Schon jetzt zeichnet sich aber ab, dass es Unterschiede zwischen den Ländern geben wird, in denen die Grünen mitregieren.

In Baden-Württemberg, wo im Frühjahr Landtagswahlen anstehen, will die grün-rote Regierung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) eine harte Hand bei Abschiebungen zeigen. SPD-Innenminister Reinhold Gall hat das Thema zur "Chefsache" erklärt. Schon demnächst soll es größere Sammelabschiebungen geben; auch der Einsatz von Transportmaschinen der Bundeswehr werde erwogen, heißt es. Der "Arbeitskreis Rückkehrmanagement", den Gall eingesetzt hat, soll Möglichkeiten erarbeiten, Abschiebungen zu forcieren und Anreize für die freiwillige Ausreise zu verstärken. Die Regierung will zudem Flüchtlinge mit geringer Bleibechancen nicht mehr auf die Kommunen verteilen; notfalls sollen sie bis zu sechs Monaten in Erstaufnahmestellen bleiben müssen.

Einen generellen Umstieg von Geld- auf Sachleistungen soll es in Hessen nicht geben

An der grünen Basis regt sich leiser Protest; stärkeren Unmut gäbe es wohl, sollte die Regierung Geld- durch Sachleistungen ersetzen. Diese Möglichkeit werde noch geprüft, sagt ein Regierungssprecher.

In Hessen, wo die Grünen Juniorpartner der CDU sind, sollen den Flüchtlingen zumindest einige Härten erspart bleiben. Einen generellen Umstieg von Taschengeld auf Sachleistungen soll es dort nicht geben. Das sei in der Koalition vereinbart, sagt ein Sprecher der grünen Landtagsfraktion. Allenfalls in Ausnahmefällen sei so etwas möglich, etwa dann, wenn Asylbewerber Dauerkarten für den Nahverkehr erhielten. Die CDU teilt diese Sichtweise. Ihr Fraktionsgeschäftsführer Holger Bellino teilt mit: "Ich sehe keine unterschiedliche Meinung zwischen den Koalitionspartnern. Auch beim Thema Abschiebungen würden Hessens Regierungsgrüne gern Milde zeigen. Die Rücktransporte dürfen nach dem neuen Gesetz nicht mehr angekündigt werden. Die Grünen möchten Familien davon ausnehmen. Da aber zeigt sich das CDU-geführte Landesinnenministerium hart.

In Nordrhein-Westfalen waren die Flüchtlinge früher ein wichtiges Thema für die Grünen. In der derzeitigen Situation aber tauchen sie eher ab. Die stellvertretende Ministerpräsidentin Sylvia Löhrmann (Grüne) saß am Freitag stumm neben Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), die ankündigte, dass sich in Nordrhein-Westfalen nicht viel ändern werde, was die Abschiebung von Flüchtlingen angeht. Konsequente Rückführungen seien wichtig, sagte Kraft, aber auf die Ankündigung von Abschiebungen will die SPD-Politikerin offenkundig nicht verzichten. "Ich kann nicht Familien mit Kindern nachts unangekündigt aus dem Bett holen", sagte sie. Das sehen auch die Grünen so. Löhrmann sagt: "Wir sind uns in der Koalition einig; wir werden die neuen Regelungen mit menschlichem Augenmaß umsetzen."

Im Norden versuchen die rot-grün regierten Länder, angesichts der verschärften Vorgaben gelassen zu wirken. "Wir drehen hier nicht völlig durch", sagt Philipp Wedelich, Sprecher des SPD-geführten niedersächsischen Innenministeriums in Hannover. Man habe bisher abgeschoben und werde es weiterhin tun, geregelt und nach Gesetz. Hannover setzt auf Freiwilligkeit, geht aber davon aus, "dass zukünftig deutlich mehr abgeschoben wird". Von 14 800 geduldeten Flüchtlingen in Niedersachsen ist die Rede, 4000 von ihnen müssten das Land rasch verlassen, doch gesichert sind diese Zahlen nicht. "Wir verfallen nicht in Aktionismus", sagt auch Schleswig-Holsteins Innenminister Stefan Studt (SPD). "Es werden keine Massenabschiebungen stattfinden." Man müsse "auch in einer neuen Rechtslage geordnete Verfahren" bewahren. Vorrang habe die freiwillige Ausreise, das Ende des Aufenthalts müsse "angemessen und konsequent durchgesetzt werden".

Natürlich setze man die Beschlüsse um, sagt Frank Reschreiter, Sprecher des Hamburger Innensenators Michael Neumann (SPD). Das Personal in der für Abschiebungen zuständigen Abteilung wurde zuletzt verdreifacht; dennoch spricht man auch in Hamburg von Heimkehr ohne Zwang. Von Januar bis September gab es 917 Rückreisen, mehr als die Hälfte davon aus freien Stücken.

© SZ vom 27.10.2015 / höl, pb, jok, bed - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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