Bulgarien:Mehr oder weniger Russland

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Präsentiert sich als Euro-Anhänger und Bewahrer der Stabilität: Ein Wahlplakat in Sofia zeigt Bulgariens Ex-Premier Boiko Borisow, dessen konservative Gerb-Partei Chancen auf den Sieg hat. (Foto: DONEV/EPA/REX/Shutterstock)

Die Bulgaren wählen am Sonntag ihr neues Parlament und die Regierung. Das EU-Land ringt auch darum, ob sich Sofia weiter an Brüssel orientiert - oder doch wieder stärker an Moskau.

Von Florian Hassel, Sofia

Seit im Präsidentenpalast der frühere Luftwaffen-Chef Rumen Radew residiert, bewegt sich die Politik aus Milena Deenichinas Sicht wieder in die richtige Richtung. Die Rentnerin Deenichina, die lange Russisch-Übersetzerin in Bulgariens Generalstab war, sah den damaligen Kampfpiloten Radew vor zehn Jahren auf einer Flugschau mit seinem Jagdflugzeug tollkühne Manöver fliegen. Das beeindruckte sie. Später rückte Radew zum Kommandeur der Luftwaffe auf. Dann präsentierte Bulgariens Sozialistische Partei (BSP) Radew als Präsidentschaftskandidaten. Er gewann die Wahl im November 2016, Ende Januar zog er in den Präsidentenpalast.

"Als Pilot war Radew der Beste der Besten - er wird auch ein guter Präsident", sagt Deenichina: " Jetzt hoffe ich, dass die BSP auch die Wahl gewinnt." Früher gehörte sie den Kommunisten an, jetzt deren Nachfolgepartei BSP, 40 Jahre sind das insgesamt. Als Wahlkampfhelferin spürt die 70-Jährige neue Unterstützung für die Postkommunisten. Sie könnten, wenn die Bulgaren am Sonntag ein neues Parlament gewählt haben, womöglich an die Spitze der Regierung treten.

"Putin will sich keinen teuren Klientelstaat ans Bein binden. Er will Einfluss auf die Politik."

Die Wahl könnte in Sofia zu einem Kurswechsel führen im Ringen zwischen EU und Russland um Einfluss am Schwarzen Meer - ein Dreivierteljahr, bevor Bulgarien im Januar 2017 den EU-Vorsitz übernimmt. Und wie Präsident Radew hält auch BSP-Chefin Kornelia Ninowa nichts von den EU-Sanktionen gegen Russland und hat für den Fall ihrer Regierungsübernahme angekündigt, ihr Veto einzulegen gegen das Verlängern der Sanktionen.

Moskaus Einfluss ist jetzt schon gewaltig in Bulgarien. Dem Zentrum für das Studium der Demokratie (CSD) in Sofia zufolge kontrolliert Russland ein Viertel der bulgarischen Wirtschaft. Und sogar bis zu 40 Prozent, bezieht man bulgarische Firmen ein, die abhängen von russischen Unternehmen. Sollten die Postkommunisten gewinnen, wollen sie Ninowa zufolge milliardenschwere russische Energieprojekte wiederbeleben: Den gestoppten Bau des Atomkraftwerks Belene oder die Gaspipeline South Stream - eine Idee, die auch Präsident Wladimir Putin diskutiert.

"Putin will sich Bulgarien nicht wie zu Sowjetzeiten als teuren Klientelstaat ans Bein binden", sagt dazu Iwan Wassiljew, früher Bulgariens Botschafter in Moskau. "Aber er will genug Einfluss auf Bulgariens Politik haben, um unliebsame Entscheidungen zu verhindern und Moskaus einträgliche Dominanz auf dem Energiemarkt zu sichern."

Der Aufschwung der Postkommunisten, die zu Sowjetzeiten Moskaus treueste Vasallen waren und bis heute enge Beziehungen zum Kreml pflegen, kam überraschend. 2016 saß Bulgariens konservativer Regierungschef Boiko Borisow an der Spitze einer Koalitionsregierung fest im Sattel, erst im Herbst 2018 hätte er sich den Wählern stellen müssen. Doch bei der Präsidentenwahl präsentierte Borisow eine farblose Kandidatin. Die BSP schickte den charismatischen Ex-Luftwaffenchef Radew ins Rennen. Und zwar offenbar nach Absprache mit Leonid Reschetnikow, einem Ex-General der russischen Auslandsspionage und Vertrauten Putins. Radew gewann mit großem Vorsprung, und Borisow gibt zu: "Wir haben die Präsidentschaftswahl unterschätzt - und so verloren." Weil er den Sieg seiner Präsidentschaftskandidatin ohne Not mit seinem Schicksal verbunden hat, trat Borisow nach Radews Sieg zurück. Und die BSP verdoppelte im Kielwasser des neuen, beliebten Präsidenten ihre Popularität: Vor der Wahl am Sonntag liegt sie Kopf an Kopf mit Borisows Gerb-Partei. Umfragen zufolge kommen beide auf rund 30 Prozent der Stimmen. Borisow gibt sich als enger Alliierter der EU und Bewahrer der Stabilität: "Wir haben zusammen mit der EU-Kommission in den gut zwei Jahren unserer Regierung sehr gute Dinge für Bulgarien erreicht", sagt er. Bulgarien habe EU-Hilfen genützt, um Autobahnen, Eisenbahnstrecken oder U-Bahnen zu bauen. Die Arbeitslosigkeit sei verringert, und bei starkem Wirtschaftswachstum hätten sie große finanzielle Disziplin gewahrt und eine milliardenschwere Finanzreserve aufgebaut. "Wir sind bereit für die Aufnahme in die Euro-Zone", findet Borisow. Auch der Bau eines Zauns an der Grenze zur Türkei sei richtig gewesen, um Flüchtlinge nur noch über ordentliche Grenzübergänge ins Land zu lassen. Den Wählern präsentiert sich Borisow als Garant der Stabilität gegenüber Nationalisten und Populisten, die jetzt gegen die Aufnahme von mehr Flüchtlingen ebenso trommeln wie gegen die angebliche Dominanz Brüssels und Washingtons über die bulgarische Politik.

Doch Nationalisten und Populisten dürften an Einfluss gewinnen, und allein regieren kann in Bulgarien keine Partei. Auf Platz Drei de Umfragen liegt das Bündnis "Vereinigte Patrioten" aus nationalistischen und populistischen Parteien: Die VMRO-Partei etwa, geführt vom Ex-Geheimdienstoffizier Krassimir Karaktschanow, steht Moskau ebenso nahe wie die Ataka-Partei unter Wolen Sidorow. Auch die hinter dem Patrioten-Bündnis liegende MRF gilt als russlandnah, sie sammelt vor allem Stimmen bei den rund einer halben Million türkischstämmigen Bulgaren. Seit kurzem gibt es auch Dost, die offen von der türkischen Regierung gestützte Partei türkischstämmiger Bulgaren.

Und dann ist da noch Wesselin Mareschki. Der Millionär kam bei der Präsidentenwahl mit ähnlichen Slogans wie Trump für eine "Regierung ehrlicher Fachleute und Technokraten" aus dem Stand auf elf Prozent und gründete er die Partei Wolja "("Wille"), die ebenfalls ins Parlament einziehen dürfte - möglicherweise als Königsmacher der künftigen Regierung.

Für die ist viel zu tun: Immer noch ziehen viele junge Bulgaren in andere EU-Länder, die ohnehin hohe Korruption stieg während der Regierung Borisow weiter. Die Renten dagegen sind niedrig. Milena Deenichina bekommt 350 Leva, das sind 179 Euro. Sollten die Postkommunisten tatsächlich die Regierung übernehmen, erhofft sie sich vor allem eines: "Dass die Renten endlich spürbar erhöht werden."

© SZ vom 23.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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