Bürgerrechte:Allgemeine Verunsicherung

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Verdächtiger Geschichtswettbewerb: Wie Moskau deutschen Stiftungen die Arbeit erschwert.

Von Julian Hans

An den 26. April 2017 wird sich Bogdana Kantomirowa noch lange erinnern. 800 Flugmeilen ist die Schülerin aus einem kleinen Weiler in der Nähe von Wolgograd in die russische Hauptstadt gereist. Nun steht sie auf der Bühne eines Moskauer Theaters im Scheinwerferlicht. Der Saal ist voll, die Leute sitzen auf den Treppen, der deutsche Botschafter spricht und auch die bekannte Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja. Dann nennt der Moderator ihren Namen, sie tritt vor, es gibt Applaus und eine Urkunde als Siegerin im Wettbewerb "Der Mensch in der Geschichte".

Kantomirowa hat die Geschichte eines Tisches aufgeschrieben, der schon seit Generationen im Besitz der Familie ist. Andere Teilnehmer haben die Vergangenheit der Straße erforscht, in der sie leben, Feldpostbriefe ihrer Urgroßeltern gelesen oder versucht zu rekonstruieren, was vor hundert Jahren währen der Oktoberrevolution in ihrem kleinen Dorf passiert ist. Zum 18. Mal hat die Organisation Memorial den Wettbewerb ausgerichtet. Mehr als 40 000 Schüler haben seitdem teilgenommen. Vorbild war einmal der Geschichtswettbewerb des deutschen Bundespräsidenten.

Junge Leute zu ermuntern, sich selbständig mit jüngerer Geschichte zu befassen, ist anderswo normal. In Russland aber gerät das Projekt zunehmend in Bedrängnis. Vor dem Theater stehen Aktivisten der rechten Nationalen Befreiungsbewegung (NOD). Deren Patron ist ein Abgeordneter der Kreml-Partei Einiges Russland. Ein Plakat warnt vor ausländischen Agenten, auf einem anderen steht: "Memorial schreibt für Geld aus Deutschland die Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges um". Vier deutsche Stiftungen unterstützen den Wettbewerb seit Jahren: Die Körber-Stiftung, die vergleichbare Geschichtswettbewerbe in 22 europäischen Ländern fördert; die Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft, einst von der deutschen Wirtschaft zur Entschädigung von Zwangsarbeitern gegründet. Sowie die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung und die Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen. Lange hat das niemanden gestört, aber die Spannungen seit der Krim-Annexion zwischen Russland einerseits und Deutschland und anderen westlichen Staaten andererseits schlagen sich auf alle Bereiche der Beziehungen nieder.

Organisationen, die Geld aus dem Ausland erhalten, müssen sich als Agenten bezeichnen

Seit 2012 müssen sich russische Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die Geld aus dem Ausland bekommen, als ausländische Agenten bezeichnen, wenn sie politisch tätig sind. Wer politisch tätig ist, entscheidet das Justizministerium. Seit vergangenem September steht auch Memorial International auf der Liste.

An einem harmlosen Schülerwettbewerb kann man sehen, wie sie dadurch zu Zielscheiben werden. Bereits vor einem Jahr störten NOD-Aktivisten die Preisverleihung, beschimpften Teilnehmer und bespritzten die Schriftstellerin Ulizkaja mit Farbe. Die Polizei ließ sie gewähren. Aber es sind nicht nur scheinbar ungebundene Nationalisten. In diesem Jahr wurde zwei Wochen vor dem Festakt der Veranstaltungssaal gekündigt. Memorial musste in das Theater ausweichen. Die Direktoren der Schulen, an denen die Preisträger lernen, berichteten über Anrufe aus dem Bildungsministerium und die Aufforderung, Schüler und Lehrer nicht zur Preisverleihung fahren zu lassen. Eine Sprecherin des Ministeriums bestreitet das.

Was die Sache endgültig kompliziert macht: Memorial bekommt für den Wettbewerb auch Geld aus einem Fördertopf des Kreml für NGOs. Nach der Logik der Gegner würde die Regierung also gemeinsam mit deutschen Stiftungen ein Projekt zu Fälschung der Geschichte unterstützen. Wer für den russischen Staat gerade Freund ist und wer Feind, das wechselt je nach Situation. Manchmal geht offenbar auch beides gleichzeitig.

Für die Beteiligten bedeutet das vor allem Unsicherheit. Das Misstrauen wirkt sich auch auf den Austausch von Wissenschaftlern aus. Russische Hochschulmitarbeiter sind zwar aufgefordert, in internationalen Fachzeitschriften zu publizieren und an Konferenzen teilzunehmen. Immer wieder gibt es aber Berichte, dass zuerst eine Kommission der Hochschule die Publikation oder die Reise für unbedenklich befinden muss. In diesen Gremien sollen Mitarbeiter des Geheimdienstes sitzen.

Sowohl deutsche Diplomaten als auch Stiftungsvertreter in Moskau rechnen zwar nicht damit, dass deutsche Stiftungen direkt angegriffen werden. Aber ihre Arbeit wird deutlich erschwert. Vor einem Jahr wurde der Leiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, Mirko Hempel, in Sankt Petersburg mehrere Stunden lang verhört. Die Behörden warfen ihm vor, er habe nicht das richtige Visum. Erst nachdem die Außenministerien sich einschalteten, wurde die Frage geklärt. Hempel arbeitet weiter in Moskau, Kollegen konnten ihren Aufenthalt seitdem ohne Probleme verlängern. "Moskau will keine unnötigen Konflikte mit Deutschland", sagt ein Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung, der gleichwohl um die Arbeit seiner Stiftung fürchtet und deshalb darum bittet, dass weder sein Name noch der der Stiftung genannt wird.

© SZ vom 03.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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