Bremen:Ein Festival der Gleichgültigkeit

Lesezeit: 2 min

Der Verlierer Böhrnsen geht. Aber der Bürgermeister ist der Einzige, der Konsequenzen zieht. Wer hat eigentlich nicht verloren - bei 50 Prozent Wahlbeteiligung?

Von Peter Burghardt

Nun tritt Bremens Bürgermeister und Senatspräsident also zurück, wer hätte das noch am Sonntagmittag gedacht. Jens Böhrnsen und seine SPD galten als klare Favoriten dieser Bürgerschaftswahl. Die Sozialdemokraten regieren seit Menschengedenken an der Weser und bleiben auch nach dieser verblüffenden Abstimmung die stärkste Partei. Allerdings verloren sie und die Grünen dermaßen viele Stimmen, dass es für beide allenfalls noch zu einer knappen Mehrheit reichen wird. Sicher ist, dass die Bremer SPD einen neuen Regierungschef suchen muss. Das mag richtig sein, Erneuerung tut der verarmten Hochburg der Genossen womöglich gut. Trotzdem: Dies war nicht nur Böhrnsens Niederlage. Es war ein Debakel der Politik insgesamt.

Die überraschenden Konsequenzen zeigen zwar, wie faszinierend und unkalkulierbar Wahlen sein können. Da mögen Politiker, Wahlforscher und Journalisten noch so viele Szenarien entwerfen - es kommt dann doch darauf an, wer wo sein Kreuz macht. Aber kaum die Hälfte der Wahlberechtigten machte überhaupt ein Kreuz. Die Bremer Wahlbeteiligung lag bei 50 Prozent oder sogar darunter (auch hier liegt die genaue Ziffer noch nicht vor), dabei durften zum zweiten Mal sogar 16-Jährige teilnehmen. Das setzt einen Trend fort, der noch viel bedeutsamer ist als der Rücktritt Böhrnsens und die Frage, wem die SPD nun die Nachfolge anvertraut.

Der Verlierer Böhrnsen geht. All die anderen Verlierer bleiben

Besonders in Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenburg war in den zurückliegenden Jahren das Desinteresse am Grundrecht Wahl besonders ausgeprägt, aber dieses Phänomen hat längst auch die alten Bundesländer erreicht. Die 66,2 Prozent, die es vor vier Jahren in Baden-Württemberg gab, waren die Ausnahme.

In Stuttgart ging es damals um etwas. Die Grünen standen davor, zum ersten Mal überhaupt einen Ministerpräsidenten zu stellen. In Bremen dagegen schien es diesmal um wenig zu gehen - ein schweres Missverständnis, wie man jetzt sieht. Die SPD führt hier seit 70 Jahren das Kommando, und im Wahlkampf wurde kaum gezankt. Es gibt zwar die Bremer Dauerthemen wie Großverschuldung, Arbeitslosigkeit, Bildungsmisere und soziale Spaltung. Aber die Opposition hatte wenig Alternativen auf Lager. Außerdem ist das Wahlsystem manchem zu kompliziert, deshalb dauert ja auch die Auszählung so absurd lange. Viele Bürger haben ohnehin das Gefühl, dass in Brüssel, Berlin und Bankentürmen entschieden wird.

So wurde ein Fest der Demokratie zum Festival der Gleichgültigkeit - mit einem plötzlichen Ende für den Landeschef Böhrnsen. Das muss allen Parteien zu denken geben, nicht nur Rot und Grün. Je mehr ärmere und reichere Reviere auseinanderklaffen, desto mehr knirscht das Fundament. Vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen und schlechter Bildung wenden sich ab. Wer immer daran letztlich Schuld hat - wenn das so weitergeht, prägen dereinst die Sektierer und die Marktschreier das Land.

© SZ vom 12.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: