Bildung:"Dieses ständige Gemotze muss aufhören"

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Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann fordert von Eltern mehr Respekt und Unterstützung für Lehrer ein - und beklagt mangelnden Gründergeist in Deutschland.

Ehe Winfried Kretschmann im Stuttgarter Landtag Fraktionsvorsitzender der Grünen und schließlich Ministerpräsident wurde, arbeitete er als Lehrer am Gymnasium. Seine Fächer: Biologie, Chemie und Ethik. Den Beruf habe er gewählt, das hat Kretschmann kürzlich in einem Interview erzählt, weil er die Schule in seiner Jugend als "Raum der Freiheit" erlebt habe - im Gegensatz zu dem katholischen Internat, in dem er damals wohnte. Er sei ein strenger, aber nicht sehr strenger Lehrer gewesen, er halte viel von Disziplin und Pünktlichkeit. Manchmal vermisse er diese Zeit, auch das hat Kretschmann einmal erzählt, das Schöne sei gewesen, immer mit Schülern zusammenzusein. Dass er die Zusammenarbeit mit deren Eltern vermisse, das hat Kretschmann nicht gesagt.

Am Samstag hat sich Kretschmann mit deutlichen Worten an die Eltern von Schulkindern gewandt, ließ aber offen, ob er sich auf eigene Erfahrungen als Lehrer bezog oder auf das, was er als Ministerpräsident mitbekommt. "Dieses ständige Gemotze muss aufhören", sagte er in seiner Rede zur Eröffnung des 28. bundesweiten Gewerkschaftstages der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Freiburg. Nötig sei eine Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern und Lehrern: "Eltern und Lehrer und Schule müssen an einem Strang ziehen, und zwar möglichst in dieselbe Richtung." Nur so erhielten Schüler eine gute Bildung. "Lehrerin oder Lehrer zu sein - das ist ein schwerer Job. Und es ist ein äußerst wichtiger Job", sagte Kretschmann. "Trotzdem kriegen Lehrer von vielen Seiten Prügel, nicht zuletzt von den Eltern." Schüler könnten jedoch profitieren, wenn Eltern gemeinsam mit Lehrern agieren würden. Nötig sei ein Umdenken vieler Eltern. Lehrer benötigten mehr Respekt und Unterstützung von ihnen.

Der Gründergeist in Deutschland, klagt Kretschmann, sei "schon mal präsenter" gewesen

Seit Jahren schon gibt es immer wieder Klagen, dass manche Eltern nicht mehr mit den Lehrern an der Erziehung ihrer Kinder arbeiteten, sondern gegen sie. Manche ließen es Lehrern gegenüber an Respekt fehlen, immer häufiger versuchten sie, die Noten ihrer Kinder vor Gericht verbessern zu lassen. Auch nähmen Fälle von psychischer und physischer Gewalt gegen Lehrer zu - von Schülern wie auch von Eltern. Zu diesem Ergebnis kam im November eine Studie des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE). Gut die Hälfte der befragten Lehrer in Niedersachsen gab jüngst in einer Umfrage an, der Umgang mit respektlosen Eltern mache ihnen zu schaffen.

Kretschmann, nach eigenen Angaben seit den frühen Achtzigern GEW-Mitglied, forderte darüber hinaus, sich für Chancengerechtigkeit in der Bildung einzusetzen. Insbesondere das Thema Flüchtlinge zeige, wie wichtig es sei, Bildung von der Herkunft zu entkoppeln. "Jeder muss die gleiche Chance haben, das Bestmögliche aus seiner Begabung zu machen", sagte Kretschmann seinem Redemanuskript zufolge. "Und darüber entscheidet insbesondere die Qualität unseres Bildungssystems."

Kretschmann beklagte zudem, dass der Gründergeist in Deutschland "schon mal präsenter" gewesen sei. Es gelte, diesen wachzuküssen und Schüler nicht nur zu einem Dasein als Angestellte, sondern auch zum Unternehmertum zu befähigen. Die digitale Revolution pflüge gegenwärtig Wirtschaft, Gesellschaft und Politik um, sagte Kretschmann. In einigen Jahrzehnten werde man von einer "zweiten Gründerzeit" sprechen, wenn es um die heutige Zeit gehe.

Unterbrochen wurde die Rede des Ministerpräsidenten von Protesten gegen die am Mittwoch vom Landtag in Stuttgart beschlossenen Studiengebühren für internationale Studenten. Kretschmann verteidigte die Gebühren. Sie seien richtig, sagte er, es gebe keinen Grund, über sie erneut zu debattieren.

© SZ vom 08.05.2017 / pamu, dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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