Beziehungen zwischen Ägypten und Israel:Bollwerk gegen den islamistischen Winter

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Für Israel ist es ein Albtraum, dass nun mit Mursi ein ehemaliger Muslimbruder Ägypten führt. Der Friedensvertrag zwischen beiden Ländern droht brüchig zu werden. Damit bekommt der Neubau eines Hightech-Zauns an der gemeinsamen Grenze plötzlich auch eine militärische Bedeutung.

Peter Münch, Tel Aviv

Die Israelis sind gelernte Pessimisten, und deshalb hat die Wahl von Mohammed Mursi zum ägyptischen Präsidenten niemanden überrascht. Die Welt mag immer noch ihren Illusionen nachhängen vom arabischen Frühling - in Jerusalem sprechen sie schon seit Längerem nur noch vom islamistischen Winter. Dass nun einer aus der Muslimbruderschaft an die Spitze des Nachbarstaats tritt, ist nicht mehr und nicht weniger als der allseits erwartete Albtraum. Der Schaden ist klar, die offene Frage ist allein, ob und wie er noch zu begrenzen ist.

Nicht mehr sicher: Israel braucht mehr Soldaten und mehr Panzer für die Grenze mit Ägypten. Im Bild: ein Posten auf der ägyptischen Seite der Grenze. (Foto: AFP)

Im Zentrum steht die Zukunft des 1979 unterzeichneten Friedensvertrags zwischen beiden Ländern. Der gestürzte Präsident Hosni Mubarak hatte als Garant des Abkommens gegolten. Doch schon im Wahlkampf war deutlich geworden, dass nicht nur bei einem Sieg Mursis, sondern auch mit allen anderen Bewerbern der ohnehin kalte Frieden noch kälter werden würde. Selbst wenn der neue Präsident sich nun offiziell zur Achtung aller geschlossenen Abkommen bekannt hat, so hat er oft genug dem Volk versprochen, dass es Veränderungen an diesem höchst unpopulären Vertrag mit Israel geben müsse.

Israels Hoffnungen ruhen allein noch auf zwei Faktoren: erstens, dass der Militärrat den Präsidenten von waghalsigen Manövern abhält; zweitens, dass auch Mursi sehr schnell erkennt, dass sein Land zu viele andere Sorgen hat. Angesichts der katastrophalen Wirtschaftslage ist Ägypten mehr denn je auf die jährliche Milliardenhilfe durch die USA angewiesen - und diese Hilfe ist direkt geknüpft an den Ausgleich mit Israel.

Maulkorb für das israelische Kabinett

Kurzfristig rechnet deshalb in Jerusalem niemand mit einem drastischen Wandel. Regierungschef Benjamin Netanjahu bemühte sich sogleich um einen geschäftsmäßig diplomatischen Ton. Israel, so hieß es in seiner Erklärung, "begrüßt den demokratischen Prozess in Ägypten und respektiert das Resultat". Gratulationsschreiben sehen anders aus, betont wurde lediglich das Interesse beider Länder an Kontinuität und Kooperation. Vorsorglich hatte Netanjahu seinem Kabinett am Sonntag noch einen Maulkorb verpasst, damit kein Minister seine eigene Rechnung mit Ägypten aufmachen konnte.

Auf dem Sinai zeigt sich tatsächlich schon heute, was Israel mittel- und langfristig blühen könnte mit der neuen Nachbarschaft. Der Friedensvertrag mit Ägypten hatte es der Armee über mehr als drei Jahrzehnte erlaubt, sich auf die Besatzung der Palästinensergebiete und auf die Absicherung der nördlichen Grenzen zu Libanon und Syrien zu konzentrieren. Nun aber kann auch die Südgrenze nicht mehr als sicher gelten - erforderlich also sind mehr Soldaten, mehr Panzer und mehr Geld, kurzum: eine umfassend neue strategische Gesamtausrichtung für die Zukunft, in der Israel alsbald von islamistischen Regimen umzingelt sein könnte.

Schon im vorigen Jahr hatte die israelische Armee damit begonnen, auf dem Sinai die zuvor weitgehend ungesicherte 240 Kilometer lange Grenze mit einem fünf Meter hohen Hightech-Zaun zu sichern. Ursprünglich war dies mit der Abwehr von Flüchtlingsströmen begründet worden. Nun aber bekommt das Bollwerk auch eine klare militärische Bedeutung.

Terrorgruppen machen sich die Anarchie auf dem Sinai zunutze

Denn es zeigt sich längst, dass Ägypten die Halbinsel nicht mehr kontrollieren kann. Die dortige Anarchie nutzen Terrorgruppen, um von dort aus Israel anzugreifen. Letzte Woche erst hatte es bei einem solchen Überfall Tote gegeben. Nun muss sich Israel darauf einstellen, dass mit den Muslimbrüdern an der Macht in Kairo die Hamas aus dem Gaza-Streifen den Sinai noch ungehinderter als neue Angriffsbasis nutzen könnte. Schließlich fühlen sich die beiden Organisationen gleichsam familiär verbunden.

Als Warnung darf Israel die Freudenfeiern verstehen, die nach dem Erfolg Mohammed Mursis nicht nur in Ägypten, sondern mit mindestens genauso großem Überschwang auch in Gaza-Stadt abgehalten wurden. Der Hamas-Mitbegründer Mahmud Sahar machte bei einer Kundgebung den Sieg Mursis zu einem "Sieg für die Befreiung" und appellierte an eine Waffenbruderschaft unter Muslimbrüdern. "Wir sind bereit, die ägyptischen Soldaten mit unserem Blut zu verteidigen", rief er aus - und hatte dabei gewiss auch den Umkehrschluss im Sinn.

Erwarten darf die Hamas nun zumindest, dass der Waffentransport über die Grenze zu Ägypten noch ungehinderter fließt. Wichtiger aber könnte noch sein, dass den Israelis künftig Vergeltungsangriffe auf den Gaza-Streifen schwerer fallen dürften. Schließlich hat die Hamas nun im Präsidentenpalast in Kairo einen Schutzpatron, mit dem es sich Israel so schnell nicht verderben darf.

© SZ vom 26.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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