Belgien:Nur entkommen

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Der mutmaßliche Paris-Attentäter Salah Abdeslam sei kein Terrorist, argumentiert sein Verteidiger beim Prozess im Brüssler Justizpalast - und greift anschließend noch zu einem bekannten Trick: Er wirft dem Gericht einen prozeduralen Fehler vor.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Im Prozess gegen den mutmaßlichen Paris-Attentäter Salah Abdeslam wegen Schüssen auf belgische Polizisten hat sich Verteidiger Sven Mary am Donnerstag gegen eine Verurteilung im Zusammenhang mit Terrorismusvorwürfen gewandt. Es habe sich bei den Schüssen, die bei der Untersuchung einer konspirativen Wohnung im März 2016 drei Einsatzkräfte verletzten, keinesfalls um einen terroristischen Akt gehandelt, sagte der Anwalt in seinem Plädoyer vor der 90. Strafkammer im Brüsseler Justizpalast. Er wolle die Schwere der Tat nicht entschuldigen. "Aber Ziel einer Terrorhandlung ist es, staatliche Strukturen zu zerstören." Salahs Absicht, einer Befragung zu entkommen, habe damit nichts zu tun. Der Angeklagte habe auch weder selbst geschossen, noch sei ihm eine "Mittäterschaft" nachzuweisen, wie die Staatsanwaltschaft behaupte. Wegen der Pariser Taten wird Abdeslam später in Frankreich der Prozess gemacht werden. Bei der Schießerei war ein Terrorist gestorben, Abdeslam und ein Komplize entkamen, wurden aber vier Tage später festgenommen.

Der Vortrag des bekannten Verteidigers war mit Spannung erwartet worden. Abdeslam, der einzige überlebende Beteiligte an den Pariser Anschlägen, hatte zu Prozessbeginn am Montag angekündigt, die Aussage verweigern zu wollen, und später beschlossen, dem Verfahren ganz fern zu bleiben. Mary hatte eine Kooperation des 28-Jährigen ursprünglich als Bedingung genannt, um das Mandat zu übernehmen, dann aber seine Ansicht geändert.

Er habe sich selbst gefragt, welchen Sinn das habe, sagte Mary zu Beginn. Schließlich habe Abdeslam Allah zu seinem "einzigen Richter" erklärt. "Warum sich also die Mühe machen?" Aber das Gericht müsse die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass der Verteidiger des "Volksfeinds Nummer eins" recht haben könnte. Anschließend griff Mary zu einem jener Tricks, für die er berüchtigt ist. Er warf der Justiz einen prozeduralen Fehler vor (siehe Kasten), der zur Einstellung des Verfahrens führen müsse. Das Gericht trage schließlich eine Verantwortung "als letzte Bastion des Rechtsstaats".

Opfervertreter hatten zuvor die Abwesenheit des Angeklagten kritisiert. Abdeslam mache sich über den Rechtsstaat lustig, sagte der Anwalt von zwei Polizisten, die als Nebenkläger auftreten. Der zweite Angeklagte, Abdeslams Komplize Sofien Ayari, hatte am Montag zwar geredet, war aber ausgewichen oder hatte auf frühere Aussagen verwiesen. Sein Anwalt sagte am Donnerstag, sein Mandant werde "eingeschüchtert". Er argumentierte wie Mary: Es scheine, als solle Ayari statt wegen der Schießerei wegen Terrorismus der Prozess gemacht werden.

Die Staatsanwaltschaft fordert für beide Männer 20 Jahre Haft wegen versuchten Polizistenmordes. Der Nachweis wird schwierig. Laut Ermittlern hatten die Islamisten in der Wohnung nur zwei Waffen. Die eine hielt der getötete Terrorist, die andere Ayari. Abdeslams DNA-Spuren wurden zwar in der Wohnung gefunden, nicht aber an den Waffen.

© SZ vom 09.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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