Belgien:Eintritt unerwünscht

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Für einen schärferen Kurs: Staatssekretär Theo Francken. (Foto: Emmanuel Dunand/AFP)

Der belgischen Polizei sollen künftig "Hausbesuche" gestattet sein, um in Wohnungen von Bürgern nach abschiebe­pflichti­gen Asylbewerbern zu suchen. In der Bevölkerung regt sich Widerstand - Kirchen, Künstler, Politologen und sogar Logen der Freimaurer protestieren.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Der Name des Vorhabens klingt wie eine bewusste Verharmlosung. Von Hausbesuchen, "visites domiciliaires", spricht die belgische Regierung, die flämische Version lässt sich mit "Wohnungsbetretungen" übersetzen. Der Wahrheit näher käme der Begriff Hausdurchsuchung, und manche sehen darin Schnüffelei. Die Polizei soll künftig unangemeldet die Wohnung von Personen betreten dürfen, die im Verdacht stehen, zur Abschiebung vorgesehene Migranten ohne Papiere zu beherbergen. Sie dürfte Zwang anwenden und die Räume nach Dokumenten durchkämmen. Für viele ist es ein negativer Höhepunkt der im EU-Vergleich ohnehin strengen Migrationspolitik der Regierung.

Die Kritik kommt aus allen Ecken der Gesellschaft, und nicht wie sonst nur von Hilfsorganisationen. Mediziner haben sich öffentlich geäußert, Untersuchungsrichter, Verfassungsrechtler, Politologen, Künstler. Alle halten das geplante Gesetz für gefährlich, weil es unnötig drastisch in die Privatsphäre eingreife und mit der Unverletzlichkeit der Wohnung ein Grundprinzip des Rechtsstaats angetastet werde. Es gebe auch zu wenig Sicherungen gegen Missbrauch, sagte Jean-Marc Picard von der Anwaltskammer. Zwar müsse ein Untersuchungsrichter vorher zustimmen, dürfe dem Fall aber nicht weiter nachgehen. Zuletzt mischte sich sogar eine Freimaurer-Loge ein und appellierte an ihre Brüder im Parlament, gegen das Gesetz zu votieren. "Kehrt etwa 1968 zurück?", fragt Le Soir, so lebhaft sei die Bewegung.

Selbst in der Partei von Premier Charles Michel, der eine Koalition aus Liberalen, Christdemokraten und den flämischen Nationalisten von der N-VA führt, regt sich Widerstand. Der Text sei "verfassungswidrig und unverhältnismäßig", sagt die liberale Senatsvorsitzende Christine Defraigne. Michel redete am Donnerstag mit den internen Kritikern, will aber nicht zurückrudern. Auch der Staatssekretär für Migration, Theo Francken, der das Gesetz mit seinem Justizkollegen eingebracht hatte, gibt sich unbeeindruckt. Die Kritiker könnten gerne vor das Verfassungsgericht ziehen, man habe den Text auf seine Rechtmäßigkeit überprüft, sagt der Hardliner von der N-VA. Die Regierung setze damit nur die Rückführungsrichtlinie der EU um.

Helfer sagen: Die meisten Migranten, die das Land verlassen sollen, kooperieren mit der Polizei

Der Umgang Belgiens mit Flüchtlingen hat mehrmals Kritik ausgelöst. Von 2015 an mussten Hunderte Migranten monatelang in einem Park in der Brüsseler Innenstadt kampieren. Die Behörden weigerten sich, ihnen Unterkünfte zu gewähren. Schließlich nahmen hilfsbereite Privatleute die Ausländer in ihren Wohnungen auf. Und dort soll die Polizei sie nun aufstöbern dürfen. Das sei nur ein allerletztes Mittel, falls nichts anderes helfe, argumentieren die Befürworter des Gesetzes. Helfer widersprechen. Die meisten, die zum Verlassen des Landes aufgefordert würden, kooperierten mit der Polizei. Bei 16 000 Kontrollen im Jahr 2016 habe sich nur in 127 Fällen jemand geweigert, die Tür zu öffnen, sagte Sotieta Ngo von der Organisation Cire dem Netzmagazin EU Observer.

Im Herbst brachte eine Affäre um Sudanesen, die unter dubiosen Umständen aus Belgien abgeschoben und in ihrer Heimat gefoltert worden seien, Francken in starke Bedrängnis. Doch er hielt durch, überstand ein Misstrauensvotum. Trotz allem ist der Hobby-Boxer beliebt in der Bevölkerung, weil er keine Kontroverse scheut und als ehrlich gilt. Außerdem genießt er die Rückendeckung durch seinen Parteichef Bart De Wever. Wenn Francken gehen müsse, platze die Koalition, drohte der Bürgermeister von Antwerpen.

Auch in den Medien hat Francken Sympathisanten, welche die Kritik an den geplanten Durchsuchungen für einseitig halten. Die protestierenden Wissenschaftler hätten es sich in ihren Aufrufen viel zu leicht gemacht, schrieb ein Kommentator in De Morgen. Statt ein starkes, wissenschaftlich fundiertes Zeichen zu setzen, hätten sie sich rein ideologisch und völlig faktenfrei geäußert. Vor allem hätten sie nicht einmal den Versuch gemacht, eine bessere Lösung für ein Problem vorzuschlagen, das Belgien und Europa noch auf Jahre hinaus umtreiben werde.

Immerhin, nachts können die Migranten weiterhin relativ beruhigt schlafen in Belgien. Zwischen neun Uhr abends und fünf Uhr morgens bleiben Hausdurchsuchungen verboten.

© SZ vom 02.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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