Beate Zschäpe und ihre Verteidiger:Pflicht und Schuldigkeit

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Verteidigerkrise: Beate Zschäpes Anwälte Anja Sturm, Wolfgang Stahl (Mitte) und Wolfgang Heer wollten ihr Mandat niederlegen. (Foto: Andreas Gebert/dpa)

Das Verhältnis der Angeklagten zu ihren Anwälten ist zerrüttet. Deswegen wollten sie aufgeben. Doch das Gericht hat seine eigenen Vorstellungen.

Von Annette Ramelsberger und Tanjev Schultz

Es geht hier eigentlich um zehn Morde, um 15 Raubüberfälle und um zwei Sprengstoff-Anschläge mit vielen Verletzten. Es geht um einen historischen Prozess. Jetzt aber muss sich das Gericht im NSU-Verfahren mit der Frage befassen, wer neben der Angeklagten Beate Zschäpe sitzen darf. Und wo. Mit welchem Anwalt sie überhaupt noch redet. Und ob drei ihrer mittlerweile vier Pflichtverteidiger diese Mandantin auch in Zukunft vertreten müssen. Zschäpe schweigt zwar beharrlich zu den Tatvorwürfen, aber schon seit Wochen hält sie das Gericht auf Trab, weil sie sich mit ihren Verteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm so beharkt, dass die drei jetzt hinwerfen wollen. Am Montag stellen sie den Antrag, das Mandat niederlegen zu dürfen. Eine optimale Verteidigung sei nicht mehr möglich. Zschäpe lächelt maliziös.

Dann macht die Angeklagte ihrerseits deutlich, dass nichts mehr geht. Sie verlangt schriftlich, dass ihr neuer Verteidiger, der junge Münchner Anwalt Mathias Grasel, dorthin rückt, wo bisher der bei ihr in Ungnade gefallene Wolfgang Heer sitzt. Angeblich wollte Heer seinen Platz nicht räumen. Er widerspricht.

"Ich habe Sie, Herr Vorsitzender, mehrfach gewarnt."

Der Prozess gerät durch die seit einem Jahr schwelende Auseinandersetzung mit den Verteidigern immer wieder ins Stocken. Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten ist hörbar verärgert darüber, dass man sich nun "unter erwachsenen Menschen" mit Details der Sitzordnung befassen müsse. Der Nebenklage-Anwalt Mehmet Daimagüler sagt, seine Mandanten verlangten eine Aufklärung des Mordes an ihrem Angehörigen. Zschäpes Antrag zur Sitzordnung sei "in höchstem Grade unwürdig".

Zschäpe hat es geschafft, dass sich die Welt im Gerichtssaal um sie dreht - allerdings weniger um ihre Rolle bei den Verbrechen des NSU, als vielmehr um ihre "Befindlichkeiten", wie Rechtsanwältin Edith Lunnebach es ausdrückt, die eine junge Frau vertritt, der durch einen Anschlag des NSU das Gesicht zerstört wurde. Auffällig sei, dass diese Befindlichkeiten immer dann in den Vordergrund rückten, wenn Zeugen geladen seien, die Zschäpe belasten könnten, sagt die Anwältin. An diesem 219. Verhandlungstag sollte erneut Kay S. aussagen, ein früherer rechter Kamerad Zschäpes aus Jena. Er hat sich aus der Szene gelöst und vor Gericht bereits freimütig über eine Aktion der Neonazis in den Neunzigerjahren gesprochen, bei der er und Zschäpe dabei gewesen seien. Sie hätten sich gegenseitig mit falschen Alibis gedeckt. Für Zschäpe war dieses Geständnis nicht angenehm. Als Kay S. ein zweites Mal kommen sollte, hatte sie Zahnschmerzen, die Verhandlung fiel aus. Nun sollte es am Montag so weit sein. Stattdessen wurde der Kleinkrieg zwischen Zschäpe und ihren drei bisherigen Anwälten fortgesetzt.

Doch um was geht es eigentlich? Sicher nicht um die Sitzordnung. Hintergrund des Entpflichtungsantrags der Anwälte könnte die Diskussion sein, ob Zschäpe doch noch etwas sagen will vor Gericht und ob ihr das nützt oder eher schadet. Als Zschäpe im Juni erfolglos versuchte, die Anwältin Sturm loszuwerden, setzte sie ans Ende ihres Antrags ein "PS". Darin deutete sie an, sie würde vielleicht "etwas" sagen wollen. Ihre drei Verteidiger hatten immer erklärt, dass sie eine Aussage Zschäpes zu einzelnen Vorwürfen nicht mittragen würden, denn das könnte ihr zum Nachteil ausgelegt werden. Nun wird spekuliert, ob der Antrag auf Entbindung ein Zeichen dafür ist, dass Zschäpe ihr Schweigen brechen will. Mathias Grasel, ihr neuer Anwalt, hat bisher aber nichts erkennen lassen, was darauf hindeutet. Er hatte an einem seiner ersten Prozesstage gesagt: "Derzeit ist keine Aussage geplant." Und die anderen Verteidiger berufen sich am Montag auf ihre Verschwiegenheitspflicht. Anwalt Stahl sagt lediglich, die Gründe für den Entbindungsantrag seien erst "heute morgen virulent geworden". Das könnte auf den Zeugen Kay S. hinweisen.

Er habe sich den Schritt reiflich überlegt, sagt Heer. Bisher habe er davon Abstand genommen, weil er nicht wolle, dass der Prozess neu beginnen müsse. Doch im Vordergrund stehe, seiner Mandantin eine optimale Verteidigung zukommen zu lassen. Seine beiden Kollegen schließen sich dem an. Richter Manfred Götzl wendet ein, Konkretes sei nicht vorgebracht worden. Sturm aber sagt, sie könne versichern, dass triftige Gründe vorlägen. Heer macht Götzl sogar persönlich für die Situation verantwortlich: "Ich habe Sie, Herr Vorsitzender, mehrfach davor gewarnt. Sie haben diese Warnungen in den Wind geschlagen." Das mag sich der selbstbewusste Richter nicht sagen lassen. Heer solle das erläutern, fordert er. Der weigert sich. Alles Nötige sei gesagt. Götzl wird laut, Heer auch. Der Richter stellt fest, Heer habe in vorwurfsvollem Ton gesprochen. Heer sagt, das sei zutreffend und auch so gemeint gewesen.

Die Nerven liegen blank. Richter Götzl hatte versucht, die Vertrauenskrise zu entschärfen, und Zschäpe vor zwei Wochen einen vierten Verteidiger gewährt. Nun aber wollen die anderen hinwerfen und geben ihm auch noch die Schuld daran. Das empfindet Götzl offenbar als Angriff auf sich selbst. In solchen Dingen ist er ehrpusselig. In einer Art dienstlicher Erklärung gibt er seine Notizen darüber wieder, wann und wie und was die Zschäpe-Verteidiger in den vergangenen Wochen außerhalb der Hauptverhandlung mit ihm besprochen haben. Jede Einzelheit, alles, was zur Bestellung eines vierten Verteidigers beredet wurde und zu Zschäpes Aussageverhalten. Wie eine Warnung klingt das alles nicht. Aber es könnte Stoff bieten für den nächsten Entpflichtungsantrag - von Zschäpe. Der neue Verteidiger Grasel äußert im Namen seiner Mandantin sogleich Befremden darüber, dass die Anwälte mit Götzl unabgesprochen geredet haben.

Warum es in einem Strafprozess doch etwas anders zugeht als in einer Ehe

Die Situation ist sicher schwer für alle, für Zschäpe, für das Gericht, für die drei Anwälte; doch die Leidenszeit hat gerade erst begonnen. Es ist im Strafprozess nicht wie in einer Ehe. Dort gilt das Zerrüttungsprinzip. Wenn man sich nichts mehr zu sagen hat, trennt man sich und lässt sich scheiden. Im Strafprozess geht es aber nicht um Sympathie, Launen und das eigene Ego - weder das der Angeklagten, noch das der Verteidiger. Es geht einzig darum, die Schuld oder Unschuld der Angeklagten festzustellen. Wenn ein Prozess schon platzen würde, weil ein Angeklagter nicht mehr mit seinem Verteidiger redet, könnte jeder Angeklagte seinen Prozess zum Platzen bringen.

Am Nachmittag lehnt Richter Götzl die Entlassung der Verteidiger denn auch einfach ab. Zschäpe habe sie sich seinerzeit ausgewählt, das Gericht habe sie dann als Pflichtverteidiger bestellt. Konkrete und hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass das Vertrauensverhältnis so nachhaltig gestört sei, dass eine ordnungsgemäße Verteidigung nicht mehr möglich sei, hätten die Anwälte nicht vorgetragen.

Und auch der Zeuge Kay S., den Zschäpe so gar nicht hören wollte, kommt an diesem Montag noch dran. Er wird sogar noch einmal kommen müssen, weil die Zeit nicht reicht. Zschäpe bleibt auch das nicht erspart.

© SZ vom 21.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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