Bayerisches Staatsorchester mit Zubin Mehta:Kaschmir-Konzert löst politischen Aufruhr aus

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"Wir wollen nicht nur ein paar Ausgesuchte": Dirigent Zubin Mehta will nach Kaschmir zurückkehren und dann vor der gesamten Bevölkerung auftreten. (Foto: dpa)

Dirigent Mehta hatte von dem Moment geträumt - doch Separatisten und Einwohner kritisieren den Auftritt des Bayerischen Staatsorchesters in Kaschmir harsch. Das Konzert beschönige die Krise in der Region. Die deutsche Botschaft habe zu ihrer Veranstaltung nur VIPs eingeladen - und das Volk mit Straßensperren schikaniert.

Mit seinem Konzert in Kaschmir wollte das Bayerische Staatsorchester ein Zeichen für den Frieden setzen - stattdessen ernten die Veranstalter harsche Kritik.

Unter der Leitung des indischen Dirigenten Zubin Mehta spielte das Ensemble am Samstag im berühmten Shalimar-Garten am Ufer des Dal-Sees vor rund 1500 geladenen Gästen. Und genau das sorgte für Empörung. "Vielleicht war die Absicht gut, aber die Taten waren es nicht", schimpft Yasin Malik, Vorsitzender der Befreitungsfront Jammu und Kaschmir. Die Menschen im indischen Teil Kaschmirs seien überhaupt nicht einbezogen worden, sondern nur die Landesregierung - die aber von vielen in der Unruheregion abgelehnt wird.

Die Veranstaltung in Srinagar hatte in den vergangenen Wochen eine heftige Kontroverse ausgelöst. Kritiker appellierten an Deutschland, die Veranstaltung abzusagen, weil es einer stillschweigenden Legitimierung der indischen Herrschaft über Kaschmir gleichkomme. Das Konzert war von der örtlichen Tourismusbehörde und der deutschen Botschaft organisiert worden.

Kaschmir ist zwischen den Atommächten Indien und Pakistan geteilt - doch in der indischen Landeshauptstadt Srinagar befürwortet laut einer Umfrage die Mehrheit einen unabhängigen Staat im Himalaya. Viele nehmen die starke Militärpräsenz als Besatzung wahr und beklagen die weitreichenden Rechte und Straffreiheit der Soldaten. Bei den Kämpfen zwischen extremistischen Separatisten und der Armee sind seit den 80er Jahren mehr als 45.000 Menschen getötet worden.

In dieses politische Minenfeld wagte sich nun das Bayerische Orchester. "Dieses Konzert ist für den Staat, nicht die Gesellschaft, niemand will für Kaschmir spielen", kritisierte Befreiungsaktivist Malik. Die Deutsche Botschaft als Organisator habe nur VIPs eingeladen und keine Bootsfahrer, Ladenbesitzer oder Handwerker. Diesen Punkt kritisierte auch Nikolaus Bachler, Intendant der Bayerischen Staatsoper. "Alle Menschen, mit denen ich sprach, sagten: 'Wunderbar, aber warum sind wir ausgeschlossen?'" Die Botschaft habe daraus fast einen Staatsakt gemacht, sagte Bachler. "Wäre ich Veranstalter gewesen, hätte ich darauf geachtet, dass es ein Konzert für die Menschen wird."

Überall in Srinagar waren Straßensperren zum Schutz der Konzertgäste aufgebaut, paramilitärische Truppen sicherten die Stadt, zahlreiche Läden blieben geschlossen. Als ein Mann nicht anhielt, wurde er Polizeiquellen zufolge angeschossen. "Wir können uns derzeit gar nicht frei bewegen, Straßen sind gesperrt und wir werden gefilzt", sagt Bootsfahrer Feroz Ahmad. Zumindest hätte das Konzert für die Bewohner Srinagars und Touristen offen sein sollen.

"Die Menschen in Kaschmir haben eine große Chance verpasst, sich positiv in der Welt darzustellen", sagt Muzaffar Hussain Baig, früherer stellvertretender Regierungschef von Jammu und Kaschmir. "Nun werden sie als engstirnige und intolerante Menschen gesehen, die Schönheiten nicht sehen wollen." Die Region werde also weiterhin nur mit Negativem wie dem Terrorismus assoziiert. Die Organisatoren einer parallelen Protestveranstaltung berichteten genau davon. "Menschen verschwinden, sie sterben in Haft, die Regierung lügt, Massengräber, sexuelle Gewalt, Folter, illegale Festnahmen", stand auf einem der Plakate. Die größte Demokratie der Welt funktioniere in Kaschmir nicht, sagt Mit-Organisator Khurram Parvez. Und fügt hinzu: "Einige wenige Leute haben heute die Musik genossen, aber überall herum sind die Menschen in Schwierigkeiten."

Separatisten, die sich für die Abspaltung der indischen Region einsetzen, hatten kritisiert, dass mit dem Konzert die "staatliche Repression" in dem mehrheitlich muslimischen Gebirgstal "legitimiert" werde. Der radikale Politiker Syed Ali Geelani hatte aus Protest gegen das Konzert zum Streik aufgerufen, eine Rebellengruppe mit Angriffen auf ausländische Touristen gedroht. Nach Angaben der Bild-Zeitung sollen bei massiven Ausschreitungen am Rande des Konzertes vier Menschen ums Leben gekommen sein. Eine parallele Protestveranstaltung "Haqeeqat-e-Kashmir" (Kaschmirs Wirklichkeit) mit Dichtern, Musikern und Künstlern aus der Region wurde in letzter Sekunde genehmigt, doch ließen Sicherheitskräfte kaum jemanden in den Park im Zentrum Srinagars vor. "Hier geht es um unser Leiden, unseren Kampf und Widerstand", sagte Samreen Mushtaq, eine der Organisatoren.

Dirigent Mehta, im indischen Mumbai geboren, hatte "auf diesen Moment gewartet und davon geträumt". Aber die Proteste gegen das Konzert will auch er nicht ignorieren. Er wolle nach Kaschmir zurückkehren und in der Region auch mal ein Konzert geben, zu dem jeder kommen könne. "Wir wollen nicht nur ein paar wenige Ausgesuchte."

© SZ.de/dpa/AFP/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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