Bamf-Präsident:Schmidts Rücktritt ist ein Alarmsignal

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Der zurückgetretene Bamf-Chef Manfred Schmidt (links) neben Bundesinnenminister Thomas de Maizière bei einer Pressekonferenz im August. (Foto: dpa)

Der Chef des Bundesamts für Migration hat sich mit allen Lagern angelegt. Jetzt zeigen sich die Schwächen einer Flüchtlingspolitik, die zu lange nach dem Prinzip verfuhr: Kopf in den Sand und hoffen, dass es vorbeigeht.

Kommentar von Nico Fried

Der politische Leitsatz zum Umgang mit der Flüchtlingskrise sind die Worte der Bundeskanzlerin: "Wir schaffen das." Wir, das sind aus der Sicht Angela Merkels alle Deutschen, sofern sie guten Willens sind. Wir, das müssen für eine Regierungschefin aber vor allem auch diejenigen sein, die qua Amt diese Herausforderung zu bewältigen haben. Von denen hat jetzt der Präsident des Bundesamtes für Flüchtlinge, Manfred Schmidt, als erster gesagt: "Ich schaffe es nicht."

Das ist ein Alarmsignal. Der Umgang mit Hunderttausenden Flüchtlingen erfordert die richtige Mischung aus Emotion und Verstand, aus Worten und Taten. Merkel hat zu Recht viel dafür getan, die Krisenpolitik mit einem optimistischen Grundton zu unterlegen. Sie hat sich darum bemüht, die freundliche Stimmung gegenüber Flüchtlingen in Deutschland aufzugreifen. In dieser Atmosphäre besteht, zusammen mit der guten wirtschaftlichen Situation, der größte Unterschied zu den Neunzigerjahren, als eine Flüchtlingswelle, die nicht einmal so groß war wie die jetzige, mit Hass, Gewalt und Mord beantwortet wurde - zum Schaden der Menschen, aber auch zum Schaden des Landes.

Merkel hat mit der nächtlichen Grenzöffnung für Flüchtlinge auf Ungarns Autobahnen Humanität nicht nur in Worten propagiert, sondern in Taten gelebt. Das war und bleibt richtig. Was trotzdem fehlt, ist eine ebenso überzeugende Strategie, wie die Regierung mit den Konsequenzen ihrer Offenheit umgehen will. Dieses Defizit wird durch den Glanz der guten Tat nicht kompensiert. Im Gegenteil: Das Defizit wird dadurch noch deutlicher.

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Die Schwächen der Flüchtlingspolitik treten jetzt offen zutage, aber sie sind nicht neu. Manfred Schmidt mag als Präsident des Bundesamtes überfordert gewesen sein. Seine Auftritte, zuletzt in der Sitzung von Bundesregierung und Ministerpräsidenten, wurden als unzulänglich geschildert und als unambitioniert kritisiert. Vielleicht aber war es schon die Lethargie des Gescheiterten. Denn eines kann man Schmidt nicht vorwerfen: dass er zu selten gewarnt und gemahnt, zu wenig gefordert und gedrängt hätte.

Man kann sie ja alle nachlesen, die alten Interviews. Schmidt hat auf die rapide steigenden Flüchtlingszahlen aufmerksam gemacht und für mehr Personal plädiert. Er hat auf die Schwächen der Verfahren hingewiesen und Veränderungen angeregt. Er hat ja auch etwas erreicht, aber der Zuwachs an Stellen hielt mit dem Zuwachs an Flüchtlingen nicht mit. Schmidt war ein politischer Beamter im besten Sinne, weil er sich mit allen Lagern angelegt hat. Doch das Bundesamt stand am anderen Ende einer Politik, auf die zu lange jener Vorwurf zutraf, den Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann jüngst gegen einige EU-Staaten in der aktuellen Krise erhob: Kopf in den Sand und hoffen, dass es vorbeigeht.

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Schmidt widerfährt die höchstmögliche Demütigung

Es gehört zur inoffiziellen Stellenbeschreibung eines Behördenleiters, dass seine Anregungen verhallen, solange alles einigermaßen läuft. Wenn es nicht mehr läuft, muss er sich fragen lassen, warum er nicht Alarm geschlagen hat. Schmidt aber widerfährt die höchstmögliche Demütigung. Alle Forderungen, die er seit Jahren erhoben hat, gehören plötzlich zum Katalog der Politik; nichts von dem, was man bisher verweigert oder verzögert hat, kann jetzt schnell genug umgesetzt werden: sichere Herkunftsstaaten, Beseitigung von Fehlanreizen, bessere Zugänge für Arbeitsmigranten, Verbesserung der Lage in den Herkunftsländern. Der Präsident aber hat seine Schuldigkeit getan, der Präsident kann gehen.

Manche haben den Rücktritt Schmidts als Bauernopfer bezeichnet. Das Bauernopfer wird oft irrtümlich als Manöver verstanden, mit dem Verantwortung verschleiert werden soll, in diesem Fall die des Innenministers. Im Schach, wo das Bauernopfer herkommt, ist es aber ein Signal für Entschlossenheit, Risikobereitschaft und vor allem für eine Idee, wie man zum Erfolg kommen kann.

Vieles davon lässt die Regierung vermissen, namentlich Thomas de Maizière. Grenzkontrollen werden die Lösung nicht sein. Die Verteilung der Flüchtlinge wollte er lange nicht übernehmen, was den Föderalisten ehrt, aber dem Krisenmanager schadet. Dass sich Kanzlerin und Minister zuletzt nicht immer einig waren, zum Beispiel bei Sanktionen für unsolidarische EU-Staaten, unterstreicht zusätzlich das Bild mangelnder Koordination - und das nicht allein zu Lasten des Ministers. Das Schlimmste, was der deutschen Flüchtlingspolitik passieren könnte, wäre der Eindruck, dass man die ungarische Regierung für ihre brutale Abschottung öffentlich schilt, aber insgeheim hofft, dass diese Strategie erfolgreich sein wird, weil man selber keine hat.

© SZ vom 18.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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