Baden-Württemberg:"Neoliberal vergaloppiert"

Lesezeit: 2 min

Der Stuttgarter Landtag meidet das Thema Altersversorgung, während eine Kommission darüber berät. (Foto: Bernd Weissbrod/dpa)

Gier und Kaltschnäuzigkeit hatte man den Stuttgarter Abgeordneten vorgeworfen, als sie das Pensionssystem wieder einführen wollten. Nun tagt eine Kommission.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Es gibt kein gefährlicheres Terrain für baden-württembergische Landtagsabgeordnete als das Thema Altersvorsorge. Gier, Kaltschnäuzigkeit, dreiste Selbstbedienung, Die-Taschen-voll-Mentalität. Das waren die Schlagzeilen, als das Parlament vergangenen Februar gegen die Stimmen von FDP und AfD beschloss: Die Abgeordneten dürfen in das staatliche Pensionssystem zurückkehren, aus dem sich das Parlament 2008 verabschiedet hatte. Derart heftig war der öffentliche Sturm der Entrüstung, dass der Landtag das entsprechende Gesetz umgehend zurücknahm und die Causa an eine unabhängige Expertenkommission auslagerte. Die hat sich an diesem Dienstag erstmals getroffen. Die allermeisten Parlamentarier halten derweil schön still. Vermutlich muss man aus dem rauen Mannheimer Norden kommen wie der Sozialdemokrat Stefan Fulst-Blei, um in diesem Klima öffentlich dazu zu stehen: Die rein private Altersvorsorge für Parlamentarier ist Mist.

In nur vier Bundesländer müssen sich die Abgeordneten privat altersversichern

Der Landtag habe sich 2008 "neoliberal vergaloppiert", sagt Fulst-Blei, 49, der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, auf Anfrage. "FDP-Schrott" sei herausgekommen. Die Mehrheit der 16 Landesparlamente ist wie der Bundestag im Pensionssystem geblieben. Auf private Vorsorge setzen neben Baden-Württemberg noch Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Schleswig-Holstein. Sachsen hat ein Wahlrecht eingeführt, das wollten sich angesichts der niedrigen Zinsen auch die baden-württembergischen Parlamentarier genehmigen - bis der Sturm losbrach.

Die Art und Weise, wie die Reform der Reform im Eilverfahren beschlossen und wieder zurückgenommen wurde, will Stefan Fulst-Blei nicht kommentieren. Als Verdienst seiner Fraktion nimmt er in Anspruch, dass die Expertenkommission nun doch nicht 400 000 Euro kostet, wie ursprünglich geplant, sondern die Hälfte. Anstelle des früheren Bundesverfassungsrichters Herbert Landau leitet sie nun der vormalige Vizepräsident des Bundesverwaltungsgerichts, Michael Hund. Bis Ende März 2018 will die Kommission einen Vorschlag erarbeiten. Was Fulst-Blei erwartet? "Man darf nicht dafür bestraft werden, dass man Parlamentarier wird." Was in seinem Fall bedeutet, dass er eine Alterssicherung für angemessen hält, wie er sie in seinem alten Beruf als Oberstudienrat erhalten würde. Und die sei nicht in Sicht.

Die Abgeordneten in Baden-Württemberg bekommen seit dem 1. Juli eine "Entschädigung" von 7776 Euro, eine Kostenpauschale von 2169 Euro, eine für Mitarbeiter zu verwendende Pauschale von 10 438 Euro und einen Vorsorgebeitrag von 1720 Euro, den sie zur Alterssicherung nutzen müssen. Angesichts dieser Zahlen betreibe er einerseits natürlich "Jammern auf hohem Niveau", sagt Fulst-Blei, zumal er als stellvertretender Fraktions-Chef eine Zulage erhält. Als Raffzahn will er sich aber nicht hinstellen lassen.

Fulst-Blei verweist auf die Zweiklassen-Gesellschaft im Landtag. Da seien auf der einen Seite die Alt-Parlamentarier, die im Pensionssystem blieben, auf der anderen die seit 2011 gewählten Abgeordneten wie Fulst-Blei. Als promovierter Wirtschaftswissenschaftler habe er damals überlegt, den Schuldienst zu quittieren, sagt er. "Das Einkommen als Abgeordneter ist deutlich geringer als die Angebote, die mir aus der Wirtschaft vorlagen." Er beklage sich nicht, aber entgangene Karriere-Chancen müsse man berücksichtigen, um Abgeordnete zu beurteilen, die in einem Vollzeitparlament arbeiten. Er darf mittlerweile auch nicht mehr nebenher Unterricht geben.

Als Gewerkschafter lehnt Stefan Fulst-Blei eine rein kapitalgedeckte Altersvorsorge generell ab. Aus eigener Erfahrung hält er sie auch für familienfeindlich. Er zeigt den Bescheid seines Versicherers: Würde er den vollen Vorsorgebeitrag für sich selbst einzahlen, erhielte er eine Rente von 2355 Euro. Weil er aber Frau und zwei Kinder absichern müsse, reduziere sich sein Anspruch um 800 Euro.

Ein halbes Jahr lang wird die Kommission derartige Argumente wägen. Dass sie zu einem einhelligen Urteil kommt, ist kaum zu erwarten. Auch der Bund der Steuerzahler ist in dem zehnköpfigen Gremium vertreten. Und am Ende müssen doch wieder die Parlamentarier in eigener Sache entscheiden.

© SZ vom 26.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: