Automobilindustrie:VW im Größenwahn

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Piëch und Winterkorn wollten den Konzern zum mächtigsten Autobauer der Welt machen - und ordneten dem alles unter. Doch Größe ist, wie die Führungskrise zeigt, nicht alles. Im digitalen Zeitalter verändern sich die Spielregeln in der Autoindustrie.

Von Caspar Busse

Volkswagen ist ein gewaltiger, vielleicht ein zu gewaltiger Konzern: Mehr als 200 Milliarden Euro Umsatz hat das Unternehmen für das vergangene Jahr gemeldet - das ist fast so viel wie die gesamte Wirtschaftsleistung von EU-Staaten wie Portugal. Nahezu 600 000 Beschäftigte arbeiten in 118 Werken rund um den Globus, mehr als zehn Millionen Fahrzeuge wurden zuletzt im Jahr verkauft, jedes achte Auto weltweit kam von VW.

Volkswagen wächst und wächst - und das ist vor allem das Werk von zwei älteren Männern. Vor acht Jahren holte der Aufsichtsratsvorsitzende Ferdinand Piëch seinen Vertrauten Martin Winterkorn an die Spitze des Unternehmens. Seitdem arbeiteten die beiden Ingenieure an der Realisierung eines großen Traums: Sie wollten den Autobauer aus Niedersachsen an die Spitze führen; VW sollte der größte Autohersteller der Welt werden.

Doch jetzt, wo sie dieses Ziel fast erreicht haben, kommt es zu einem beispiellosen Machtkampf. Piëch, der Enkel des Käfer-Erfinders Ferdinand Porsche, hat Winterkorn öffentlich mit einem einzigen Satz das Vertrauen entzogen: "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn." Kürzer, knapper kann man niemanden beschädigen. Doch möglicherweise hat Piëch sich verschätzt. Wolfgang Porsche jedenfalls, dessen Familie gemeinsam mit den Piëchs mehr als die Hälfte von VW gehört, kanzelte die Meinung des Aufsichtsratschefs Piëch am Sonntag als dessen "Privatmeinung" ab.

Volkswagen steckt damit in einer schweren Führungskrise, und diese Krise hat auch viel mit der einzigartigen Eigentümerstruktur zu tun: hier die beiden Familien, die oft nicht eins sind; dort das Land Niedersachsen als Miteigentümer, das eigene, politische Ziele verfolgt - und daneben die so mächtige IG Metall als Hausgewerkschaft, die seit Jahrzehnten mitregiert.

Der Führungsstil ist antiquiert. Wenige haben ungeheure Macht

Der eigentliche Grund für die Krise ist aber der Größenwahn von Piëch und Winterkorn. Die beiden haben die schiere Größe des Unternehmens zum wichtigsten Ziel erklärt - und dem alles andere untergeordnet. Sie haben expandiert und Unternehmen zugekauft - oft ohne Rücksicht auf Verluste. Das weltumspannende Autoreich mit zwölf Marken, das sie aufgebaut haben, ist so groß, so komplex geworden, dass es fast unregierbar ist.

Der Führungsstil bei VW wirkt zudem antiquiert, fast autoritär. Einige wenige verfügen über eine ungeheure Macht, alle anderen sind Ausführende. Zu Recht wird VW international für seine sehr guten Ingenieure und seine hohe Qualität gelobt. Doch von einem kooperativen und kreativen Miteinander, aus dem auch mal neue und unkonventionelle Ideen entstehen können, ist Volkswagen weit entfernt.

Winterkorn, einer der bestbezahlten Manager in Deutschland, ist inzwischen 67 Jahre alt; er hat den richtigen Zeitpunkt für einen glanzvollen Abgang, für die Übergabe an einen Jüngeren verpasst - vielleicht auch, weil er sich für unersetzlich hält. Seine Bilanz ist zudem nicht makellos. Die Kernmarke VW macht zu niedrige Gewinne, in den USA kommt das Unternehmen kaum voran, und bei den Elektrofahrzeugen sind derzeit andere führend: der kleine kalifornische Hersteller Tesla oder der Münchner Konkurrent BMW, der mit einem eigenen E-Auto vorprescht. Auch bei alternativen Mobilitätskonzepten, etwa für die verstopften Großstädte, ist VW nicht in der ersten Reihe zu finden.

Das könnte auf Dauer zum Problem werden. Denn die Autoindustrie steht vor grundlegenden Veränderungen. Die digitale Vernetzung ändert auch hier die Spielregeln. Google und Apple experimentieren bereits mit dem führerlosen Fahren und könnten zu Konkurrenten werden. Wenn VW weiterhin allein auf Größe setzt, könnte der Konzern hier wichtige digitale Entwicklungen verpassen.

© SZ vom 13.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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