Außenansicht:Wenn Wohnen zu teuer wird

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Robert J. Shiller, 71, ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Yale. 2013 wurde er mit dem ist Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. (Foto: Project Syndicate 2017/AFP)

In den großen Städten der Welt entsteht eine neue Form von Ungleichheit. Sie ist gefährlich.

Von Robert J. Shiller

Ungleichheit wird in der Regel durch den Vergleich der Haushaltseinkommen innerhalb eines Landes gemessen. Doch es besteht noch eine andere Art der Ungleichheit, und die hat mit der Erschwinglichkeit von Wohnungen zu tun. Die Auswirkungen dieser Form von Ungleichheit sind um nichts weniger beunruhigend als die der anderen.

In vielen Metropolen dieser Welt wird Wohnen für Menschen mit bescheidenerem Einkommen unerschwinglich. Steigen die Immobilienpreise in einer Stadt, sind manche Einwohner gezwungen wegzuziehen. Besitzen sie selbst eine Immobilie, die sie verkaufen können, bedeutet der Preisanstieg noch ein Geldgeschenk zum Abschied. Wenn nicht, werden sie ohne Gegenleistung aus der Stadt gedrängt.

Die Folgen sind nicht nur wirtschaftlicher Natur. Menschen werden aus Städten vertrieben, in denen sie ihr ganzes bisheriges Leben verbracht haben. Sie verlieren langjährige Beziehungen zu anderen Menschen; das kann traumatisch sein. Wenn zu viele alteingesessene Einwohner aufgrund steigender Immobilienpreise hinausgedrängt werden, leidet auch die Stadt selbst unter einem Verlust der Identität und sogar der Kultur.

Mit dem Abschied dieser Menschen entwickelt sich eine teure Stadt schrittweise zu einer Enklave von Haushalten mit hohen Einkommen, in der die Werte dieser Menschen Platz greifen. Die zunehmende geografische Trennung von Menschen unterschiedlicher Einkommen kann die Ungleichheit noch verschärfen, die Gefahr sozialer Polarisierung - und sogar ernsthafter Konflikte - wächst.

Wie eine neue Untersuchung ( "Demographia International Housing Affordability Survey") zeigt, bestehen in bedeutenden Weltstädten bereits massive Disparitäten (gemessen am Verhältnis zwischen dem mittleren Preis für Wohneigentum und dem mittleren Haushaltseinkommen). Je höher der Wert, desto größer der Druck, die Stadt zu verlassen.

Nach der Untersuchung, die 92 Städte in neun Ländern umfasst, waren Ende 2016 die Immobilien in Hongkong am teuersten. Das Preis-Einkommensverhältnis liegt hier bei 18,1; das heißt: Wer hier ein mittleres Einkommen bezieht und eine Immobilie von mittlerem Wert erwirbt, der muss für die Abzahlung einer 30-jährigen Hypothek mehr als die Hälfte seines Einkommens aufwenden - und das ohne Zinsen. Die Hypothekenzinsen in Hongkong sind zwar niedrig, aber nicht null, weswegen es naheliegt, dass es für Haushalte mit mittlerem Einkommen eigentlich unmöglich ist, Wohneigentum zu erwerben.

Hinter Beschränkungen für den Wohnungsbau stehen oft mächtige Interessengruppen

Nach Hongkong folgen auf der Liste Sydney (12,2), Vancouver (11,8), Auckland (10), San Jose/Silicon Valley (9,6), Melbourne (9,5) und Los Angeles (9,3). Daran schließen sich London (8,5) und Toronto (7,7) an, die zwar extrem teuer sind, wo aber auch sehr viel verdient wird. Manche Weltstädte sind im Verhältnis zu den Einkommen noch erschwinglich. In New York liegt der mittlere Preis für eine Wohnung 5,7 mal höher als das mittlerer Haushaltseinkommen. In Montreal und Singapur beträgt der entsprechende Wert 4,8; in Tokio und Yokohama 4,7; und in Chicago 3,8.

Möglicherweise stimmen die Zahlen für diese Städte aber auch nicht ganz. Sie sind schwer zu überprüfen, und es dürfte Diskrepanzen in der Erhebung zwischen Städten, Ländern und Kontinenten geben. Unwahrscheinlich ist allerdings, dass die Fehler so signifikant sind, um die grundlegende Schlussfolgerung infrage zu stellen: dass sich die Preise für Wohnraum weltweit extrem unterscheiden. Die Frage lautet: Warum haben es die Einwohner einiger Städte mit so extrem hohen - bisweilen prohibitiven - Preisen zu tun?

Oft scheint die Antwort mit Hindernissen für den Wohnungsbau in Zusammenhang zu stehen. Unter Verwendung von Satellitendaten großer amerikanischer Städte, bestätigte der Ökonom Albert Saiz vom MIT, dass topografische Beschränkungen - wie etwa Gewässer oder steile Hänge - mit höheren Eigenheimpreisen korrelieren. Die Hindernisse können allerdings auch politischer Natur sein. Umfangreicher Wohnungsbau für Menschen mit moderatem Einkommen hätte enorme Auswirkungen auf die Erschwinglichkeit. Doch die Eigentümer teurer Immobilien haben wenig Anreiz, derartige Bauprojekte zu unterstützen, weil sie den Wert ihrer eigenen Anlagen mindern würden. Aus diesem Grund weigern sich Stadtverwaltungen oft, neue Bauprojekte zu genehmigen.

Der Mangel an Möglichkeiten für neuen Wohnungsbau kann die treibende Kraft hinter einem steigenden Preis-Einkommensverhältnis sein. Dabei steigen die Preise langfristig oft auch dann, wenn eine Stadt weder neue Industrien noch Prestigeprojekte bekommt und auch keine neuen Talente anzieht. Sind die verfügbaren Grundstücke einmal bebaut, muss das weitere Wachstum der Stadt durch den Weggang von Menschen mit niedrigerem Einkommen ermöglicht werden.

Meist werden die Immobilienpreise im Verhältnis zu den Einkommen nicht abrupt steigen, nicht zuletzt deshalb, weil Spekulanten den Preisanstieg oft schon vorweggenommen haben. Dabei können sie auch übertreiben und das Preis-Einkommensverhältnis vorübergehend mehr steigen lassen als notwendig. Das sorgt unter den Einwohnern unnötig für Angst.

Doch diese Tendenzen können gemildert werden, wenn die Zivilgesellschaft erkennt, wie wichtig es ist, Wohnraum für niedrigere Einkommen bereitzustellen. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Forderung nach einer Beschränkung für den Wohnungsbau oft von Partikularinteressen geleitet wird; tatsächlich läuft es auf eine Art Strategie ("Rent-Seeking") durch Immobilienbesitzer hinaus, die so den Wiederverkaufswert ihrer Immobilie steigern wollen. In seinem neuen Buch "The New Urban Crisis" prangert Richard Florida von der University of Toronto dieses Phänomen an und vergleicht die Wohnbaugegner mit den Maschinenstürmern des frühen 19. Jahrhunderts.

Es kann sein, dass eine Stadt dabei ist, eine "großartige Stadt" besonderer Qualität zu werden; den Marktkräften sollte es dann ermöglicht werden, Menschen mit niedrigerem Einkommen, die an dieser Großartigkeit nicht in vollem Umfang teilnehmen können, zu verdrängen, um jenen Platz zu machen, die dazu in der Lage sind. Viel häufiger ist eine Stadt mit einem hohen Preis-Einkommensverhältnis weniger eine "großartige" als eine angebotsbeschränkte Stadt, der es an Empathie, humanitären Impulsen und zunehmend auch an Vielfalt fehlt. Und das nährt gefährliche Animositäten.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

© SZ vom 26.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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