Außenansicht:Vorbild Schweden

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Udo Philipp, 53, ist Vorstand des gemeinnützigen Instituts für Finanzdienstleistungen (IFF) in Hamburg. (Foto: N/A)

Deutschland sollte die private Altersvorsorge stärken. Die geplanten Reformen gehen längst nicht weit genug.

Von Udo Philipp

Die Riesterrente ist gescheitert, nun soll es die Betriebsrente richten. In ihrem Gesamtkonzept zur Alterssicherung erklärt Sozialministerin Andrea Nahles die Betriebsrente zur "ersten Wahl, wenn es um den weiteren Auf- und Ausbau der zusätzlichen kapitalgedeckten Altersvorsorge geht". Hier ist Vorsicht geboten. Ob die Bürger selbst eine (Riester-) Lebensversicherung abschließen oder ob die Betriebe einen Teil des Gehalts ihrer Mitarbeiter in eine Lebensversicherung einzahlen, ändert nichts an den Grundproblemen kapitalgedeckter Altersvorsorge in Deutschland. Die Reformen müssen deutlich weiter gehen.

Vordringlich ist die Reform der gesetzlichen Rente. Wer weniger als 1 800 Euro verdient, muss selbst nach 45 Jahren Arbeit damit rechnen, im Alter auf Grundsicherung angewiesen zu sein. Für Geringverdiener lohnen sich daher weder private noch betriebliche Altersvorsorge, weil sie zu einer Kürzung der Grundsicherung führen würden. Alle Menschen, die den größten Teil ihres Lebens arbeiten, sollten daher eine echte Rente garantiert bekommen. Zusätzliche Altersvorsorge darf nicht - auch nicht teilweise - auf diese Garantierente angerechnet werden. Auch mit einem Freibetrag von 200 Euro, wie er jetzt nach den Plänen der Bundesregierung beschlossen werden soll, müssten sich Geringverdiener im Alter immer noch einen Teil ihrer betrieblichen oder privaten Altersvorsorge auf die Grundsicherung anrechnen lassen. Ein System, das Menschen erst dazu ermuntert, einen Teil ihres knappen Einkommens zu sparen, um ihnen dies im Alter ganz oder teilweise wieder wegzunehmen, ist grotesk.

Außerdem ist private Altersvorsorge heute in Deutschland deutlich zu teuer. Lebensversicherer verlangen hohe Abschluss- und Verwaltungsgebühren. Auch wenn diese prozentual niedrig erscheinen, führt der Zinseszinseffekt zu einer drastisch niedrigeren Rente. Auch die Verrentung erfolgt nicht anhand der statistischen Lebenserwartung. Ob man sein Kapital für 15 Jahre bis zum achtzigsten Lebensjahr benötigt oder für 25 Jahre, weil man bei einer Lebensversicherung über neunzig Jahre alt werden muss, ist ein gewaltiger Unterschied. Die monatliche Rente würde deutlich niedriger ausfallen.

Dazu kommt, dass Lebensversicherer fast ausschließlich in festverzinsliche Wertpapiere mit schlechter Rendite anlegen, weil sie ja eine feste Verzinsung garantieren und im Stornofall den Vertrag zu diesem garantierten Wert auszahlen. Daher brauchen sie Anlagen, die auch kurzfristig kaum Schwankungen ausgesetzt sind. Eine langfristige Altersvorsorge hat dieses Problem nicht: Wer über Jahrzehnte Monat für Monat Aktien kauft und danach über Jahrzehnte Monat für Monat wieder verkauft, wird von der langfristigen Aktienrendite profitieren. In den meisten anderen Ländern investieren daher Pensionsfonds einen großen Teil ihrer Anlagen in Aktien.

Alle Betriebe sollten für ihre Mitarbeiter in einen Deutschlandfonds einzahlen

Die meisten Menschen denken auch zu kurzfristig, um bereits in jungen Jahren für ihr Alter zu sparen. Wenn man sich aber nicht aktiv für ("opt-in"), sondern aktiv gegen ("opt-out") Altersvorsorge entscheiden müsste, könnte dies Verhalten geändert werden. Eine Vielzahl von Studien hat gezeigt, dass es reicht, die Entscheidungsfindung zu erleichtern. Dazu gehört auch, ein einfaches Standardprodukt vorzugeben. Wer unter Hunderten unterschiedlichen Riesterprodukten auswählen muss, ist schnell überfordert und verzichtet lieber ganz auf die Vorsorge.

Auch die Politik sieht die geringe Verbreitung zusätzlicher Altersvorsorge als Problem. Statt jedoch darüber zu diskutieren, wie man den Betroffenen die Entscheidung bei der privaten Vorsorge erleichtern könnte, gibt es jetzt ein Betriebsrentenstärkungsgesetz, in dem Arbeitgeber nicht mehr für die Höhe der späteren Rente geradestehen müssen.

Heute haben nur 57 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland eine betriebliche Altersvorsorge. Der Grund ist aber nicht die Sorge der Unternehmen vor späterer Haftung. Und selbst wenn es so wäre, böte das neue Gesetz keine Lösung, da sich die Unternehmen nur über einen Tarifvertrag enthaften können und viele kleine Unternehmen gar keinen Tarifvertrag abgeschlossen haben. Viel abschreckender ist jedoch der bürokratische Aufwand einer betrieblichen Altersvorsorge. Das ist der Grund, weshalb kleine Unternehmen ihren Mitarbeitern meist keine Betriebsrente anbieten. Die einzige einigermaßen machbare Lösung für diese Klasse von Unternehmen ist der Abschluss einer Lebensversicherung. Sollten die diversen neuen Zuschüsse also tatsächlich die Verbreitung der Betriebsrenten bei kleinen Unternehmen erhöhen, ändert sich an den grundlegenden Problemen nichts. Lebensversicherer hätten immer noch zu hohe Kosten und würden weiter in festverzinsliche Wertpapiere anlegen. Dieselben Probleme, die bei der Riesterrente beklagt werden, würden sich hier fortsetzen. Und genauso wie damals, als die Riesterrente eingeführt wurde, gäbe es eine Sonderkonjunktur für Lebensversicherer.

Die Lösung des Problems könnte ein Bürgerfonds nach schwedischem Vorbild sein. In diesem Modell erhalten alle Bürgerinnen und Bürger ein Vorsorgekonto, auf das von ihren Arbeitgebern automatisch ein kleiner Prozentsatz ihres Einkommens überwiesen wird. Wer nicht für sein Alter vorsorgen möchte, kann das Konto beitragsfrei stellen oder das Geld anders ansparen.

Ob man das Vorsorgekonto als private oder betriebliche Altersvorsorge bezeichnet, ist unerheblich. Relevant ist, dass die Bürger ein kostengünstiges und rentables Angebot für zusätzliche Altersvorsorge erhalten. Auch der deutsche Bürgerfonds würde mit ähnlich niedrigen Kosten auskommen wie der schwedische Pensionsfonds. Dort zahlen die Bürger weniger als ein Zehntel der Gebühren einer deutschen Lebensversicherung. Genauso wie in Schweden würde auch die Verrentung anhand der statistischen Lebenserwartung erfolgen.

Das Geld auf dem Vorsorgekonto würde nach schwedischem Vorbild angelegt und bis zum 55. Lebensjahr ausschließlich in Aktien investiert. Danach würde die Aktienquote langsam zugunsten festverzinslicher Papiere zurückgefahren. So wäre auch die Rendite ähnlich hoch wie in Schweden - durchschnittlich 6,7 Prozent seit 17 Jahren. Kein Wunder, dass sich das schwedische Modell höchster Popularität erfreut. Es ist daher höchste Zeit, dass endlich auch in Deutschland den Bürgern eine kostengünstige, sichere und rentable Form der kapitalgedeckten Altersvorsorge angeboten wird.

© SZ vom 31.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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