Außenansicht:Strafe darf nicht sein

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Eine drogenfreie Gesellschaft ist eine Utopie. Deshalb hilft es auch nicht, Konsumenten zu kriminalisieren.

Von Wolfgang Nešković

In der herrschenden Drogenpolitik wird nicht mit Gründen argumentiert, sondern mit Abgründen. Die Hanfpflanze, aus der Cannabis gewonnen wird, wird dämonisiert und allein auf ihre Verwendung als Rauschmittel reduziert. Das, obwohl sie zu den ältesten Nutz- und Zierpflanzen der Welt gehört und sehr vielfältig eingesetzt werden kann.

Die meisten Menschen wissen nicht, dass Hanf zum Beispiel bei der Herstellung von Papier, Seilen und Segeltuch von erheblicher Bedeutung ist. Sie wissen auch nicht, dass es mittlerweile elf anerkannte medizinische Indikationen für die Anwendung von Cannabis gibt. Hierzu zählt auch die Schmerztherapie. Immerhin hat das Bundeskabinett nun zugestimmt, dass schwerkranke Menschen mit Cannabis behandelt werden können. Und dass die Kosten dafür von den Krankenkassen übernommen werden.

Doch bis hierhin war es ein steiniger Weg. Gerade bei der medizinischen Verwendung der Hanfpflanze hat die Regierung lange auf stur gestaltet und sich einem vernunftgeleiteten Diskurs verweigert. Eine Änderung dieser rigiden Verweigerungshaltung musste erst durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts erzwungen werden. Mit welch spitzen Fingern die Bundesregierung hier vorgeht, zeigt auch der Kommentar ihrer Drogenbeauftragten zu dem Kabinettsbeschluss. Cannabis sei "keine harmlose Substanz, daher darf es auch keine Legalisierung zum reinen Privatvergnügen geben", warnte Marlene Mortler.

Dabei hat die zurzeit noch geltende Prohibitionspolitik eindeutig versagt. Wer heute vom Drogenelend redet, meint in Wahrheit das Elend der Drogenpolitik. Denn eine Lösung des Drogenproblems ist nicht abzusehen. Bei der Diskussion um eine "neue Drogenpolitik" geht es lediglich um die Frage der Schadensminimierung - mehr ist nicht möglich. Damit fällt Deutschland hinter die Entwicklung in anderen Ländern zurück.

Während die letzten Jahrzehnte weltweit von immer strikteren Verboten geprägt waren, zeichnet sich jetzt ein deutlicher Wandel ab: So hat Uruguay im Dezember vergangenen Jahres als erstes Land der Welt Marihuana legalisiert. Auch in den USA wird nicht mehr nur mit Verboten hantiert. Die Bundesstaaten Colorado und Washington erlauben den Konsum von Marihuana und den Anbau der Hanfpflanze für den privaten Genuss. In zahlreichen anderen Bundesstaaten ist Marihuana zumindest für den medizinischen Gebrauch legalisiert.

Ausgerechnet im Land der Prohibition wird jetzt das "Kifferparadies USA" ausgerufen

Damit ist das strikte Prohibitionsgebot in fast der Hälfte der Bundesstaaten der USA mehr oder weniger gelockert. Im Herbst dieses Jahres wird es wieder in mehreren US-Staaten Volksabstimmungen zu dem Thema geben. Folgt man den jüngsten Umfragen dort, ist eine stabile Mehrheit der Bürger für die Legalisierung. Vom "Kifferparadies USA" ist bereits die Rede. Insgesamt erscheint eine vollständige Regulierung des Cannabismarktes in den USA jedenfalls nur noch eine Frage weniger Jahre zu sein.

Für die Abkehr von der bisherigen Politik gibt es gute Gründe: Es ist illusionär zu glauben, dass eine Konsumgesellschaft wie die unsere ohne Drogen auskommen könnte. Das Gebot der Abstinenz ist eine heuchlerische Utopie, die nichts mit der Realität der Gesellschaft zu tun hat. Eine solche Utopie mit den Mitteln des Strafrechts durchsetzen zu wollen - dem härtesten Mittel staatlicher Sozialkontrolle - ist anmaßend. Warum soll der Staat volljährigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind, vorschreiben, was sie zu essen und zu trinken haben?

Das Menschenbild des Grundgesetzes, das von einer frei verantwortlichen Persönlichkeit ausgeht, muss dem Einzelnen die Entscheidung überlassen, ob und in welchem Umfang er Rauschmittel zu sich nimmt. Damit soll nicht einer hedonistisch geprägten, auf Rausch ausgerichteten Gesellschaft das Wort geredet werden. Vielmehr soll verhindert werden, dass das Abstinenzparadigma einiger weniger mit den Mitteln des Strafrechts anderen aufgezwungen wird.

Der Sozialwissenschaftler Günter Amendt hat dazu bemerkt: "Abstinenz als subjektive Entscheidung eines Menschen ist zu respektieren, auch als Gruppenentscheidung etwa einer Religionsgemeinschaft. Als gesellschaftliche Zielvorstellung aber ist Abstinenz Ausdruck einer totalitären Fantasie." Bei der Drogenpolitik darf es deshalb nicht nur darum gehen, ob man eine drogenfreie Gesellschaft will. Sondern auch, mit welchen Mitteln man so ein Ziel zu erreichen versucht.

Es ist natürlich legitim, die Idee einer drogenfreien Gesellschaft zu verfolgen und sich hierzu des Mittels der Vorbeugung zu bedienen. Wenn jedoch im Rahmen der Prävention das strafrechtliche Verbot angewendet wird, dann ist dieses Mittel strikt abzulehnen. Es kann nur als letztes Mittel, gewissermaßen als Ultima Ratio in Betracht kommen. Bei der Drogenpolitik wird es aber als erstes Mittel angewandt. Andere Wege werden nur halbherzig angedacht und ohne Engagement verfolgt.

Das ist verhängnisvoll, weil das Mittel des Strafrechts erstens untauglich und zweitens kontraproduktiv ist: Trotz des intensiven Einsatzes des Strafrechtes ist insgesamt kein nennenswerter Rückgang der Zahl der Erstkonsumenten und Drogentoten und der Beschaffungskriminalität zu verzeichnen. Untersuchungen belegen, dass sich der Konsum nicht ändert - egal ob Strafen abgeschwächt oder verschärft werden. Befragungen von Jugendlichen zeigen zudem, dass die Frage, ob die mögliche Bestrafung auf den Konsum Auswirkungen hat, für die Konsumenten keine wesentliche Bedeutung besitzt.

Letztlich ist das Strafrecht als Mittel der Gesundheitspolitik nicht nur ineffektiv und kontraproduktiv, sondern schlicht inhuman. Wenn ein Drogenabhängiger krank ist, dann muss die staatliche Politik dafür Sorge tragen, dass er von dieser Krankheit geheilt oder ihm zumindest Linderung verschafft wird. Die Kriminalisierung von Kranken ist kein Mittel der Gesundheitspolitik. Heilung durch Strafe ist nicht zu erwarten.

Drogenpolitik muss sich aus der Vorherrschaft der Innenpolitik befreien. Drogenpolitik muss primär Gesundheitspolitik sein. Sie muss vorrangig der Gesundheit der Konsumenten dienen. Dafür ist das Strafrecht ungeeignet. Wird Drogenpolitik als Teil der Gesundheitspolitik begriffen, dann bestimmen Prävention und der Gesundheitsschutz den Inhalt der Drogenpolitik. Nicht Strafen.

© SZ vom 12.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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