Außenansicht:Steuern geben Griechenland den Rest

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Immer höhere Abgaben auf immer weniger Schultern zu verteilen, wird schlimme Folgen haben.

Von Jens Bastian

Für Griechenlands Steuerzahler begann der Herbst in diesem Jahr hart. Die zweite Tranche der Einkommensteuer für 2015 wurde fällig, ebenso die erste Rate der Immobiliensteuer. Zahlreiche Privathaushalte zogen es vor, solche Steuerlasten per Kreditkarte zu begleichen. Die kommenden Monate versprechen keine Linderung. Vor Winteranfang folgt eine weitere Erhöhung der Verbrauchsteuer auf Heizöl. Im Dezember steigt abermals die Kraftfahrzeugsteuer. Schließlich beginnt das neue Jahr mit einem weiteren Anstieg der Benzin- und Dieselsteuer.

Unter der Last solcher Steuererhöhungen kann es nicht überraschen, dass zahlreiche Haushalte und Unternehmen zwar bereit, aber immer weniger in der Lage sind, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Die Gesamtsumme der Steuerschulden erreicht mehr als 92 Milliarden Euro. Das ist europäischer Rekord. Er entspricht mehr als 55 Prozent der Wirtschaftsleistung Griechenlands.

Das ständige Drehen an der Steuerschraube ist keine Erfindung der Athener Linksregierung. Bereits ihre Vorgängerinnen haben seit Einführung des ersten Rettungsprogramms für Griechenland im Mai 2010 ständig steigende Steuern als Mittel zum Zweck angesehen. Die seit 2015 regierende Linkspartei Syriza hat diesen Mechanismus nur immer mehr ausgeweitet.

Die Immobiliensteuer wurde 2011 eingeführt. In der Opposition hatte Syriza diese Sondersteuer stets abgelehnt. Als Regierungspartei behielt sie diese in der Bevölkerung umstrittene Abgabe bei. Die Mehrwertsteuer wurde seit 2010 vier Mal erhöht. Sie liegt heute bei 24 Prozent. Griechenland war das einzige Land in der Euro-Zone, das im vergangenen Jahr die Unternehmensbesteuerung erhöhte, von 26 Prozent auf 29 Prozent. Die Abgabe wurde in der vergangenen Dekade sieben Mal verändert. Diese Häufung von Veränderungen nimmt sowohl Unternehmen als auch staatlichen Steuerprüfern jede Planungssicherheit.

Verantwortlich für die beispiellose Welle von Steuererhöhungen ist aber nicht nur die Regierung in Athen. Die Steuerpolitik der vergangenen sechs Jahre wurde mitdefiniert durch die Troika der internationalen Kreditgeber. Ob Mehrwertsteuererhöhung, Einführung der Immobiliensteuer oder Anstieg der Unternehmensteuern, die Troika saß stets mit am Tisch. Bei aller Kritik an dem Steuerchaos, das Syriza angerichtet hat, darf man daher nicht die Mitverantwortung der Troika ausblenden.

Dabei geht es um die Zukunft Griechenlands. Mitten in einer anhaltenden und tiefen Wirtschaftskrise wiederholt diverse Steuersätze anzuheben, nimmt den Unternehmen jeden Anreiz zum Investieren. Im Gegenteil, die wachsende Steuerlast fördert die Bereitschaft leistungsfähiger Griechen, in die Schattenökonomie oder ins Ausland zu gehen.

Weder Linke noch Rechte sind bisher gegen das System der Steuervermeidung vorgegangen

Die kontinuierlich wachsende Steuerschuld ist nicht nur ein Hinweis auf die Zahlungsprobleme der Griechen. Es gibt zudem eine hohe Dunkelziffer an Steuersündern in Griechenland, die von einem Durcheinander an Verfahren profitieren, das es säumigen Schuldnern ermöglicht, Zahlungen langfristig zu strecken. Viele interpretieren solche Maßnahmen als staatlich sanktionierte Steueramnestie durch die Hintertüre. Die Profiteure verlassen sich dabei auf das Dickicht der Steuergesetzgebung und die Unfähigkeit der Behörden, Verwaltungsregelungen, die sich alle paar Monate ändern, zeitnah anzuwenden.

Die Lage ist voller Widersprüche. Zum einen wird Griechenland immer mehr zu einem Hochsteuerland ausgebaut. Die anhaltende Massenarbeitslosigkeit sorgt gleichzeitig dafür, dass die Steuerbasis auf immer weniger Schultern lastet. Zum anderen gibt es zahlreiche legale Steuervergünstigungen für Bürger, Berufsgruppen sowie private und öffentliche Institutionen.

Nach langen Kontroversen mit der Troika wurde der Steuergrundfreibetrag für Bürger auf 8 636 Euro reduziert. Diese Marke ermöglicht es aber weiterhin mehr als der Hälfte der Einkommensbezieher, keine Steuern zu zahlen, besonders Landwirte, zeitlich befristet Beschäftigte und viele Freiberufler. Letztere stehen in dem zweifelhaften Ruf, sich durch entsprechende Buchführungstricks arm zu rechnen.

Es gibt aber noch andere legale Steuerprivilegien, die einer frustrierten Gemeinschaft von zahlenden Bürgern, welche nicht die Mittel zur Steuerumgehung oder Einkommensverschleierung besitzen, unangenehm aufstoßen. Griechenland ist nicht das einzige Land in der EU, das Reedern großzügige Steuervergünstigungen einräumt. Desgleichen ist die Inanspruchnahme von Steuerverlustvorträgen durch Banken kein griechischer Sonderfall. Italienische, spanische und portugiesische Finanzinstitute nutzen dieses Steuerprivileg zur Aufbesserung ihrer Bilanzen und Minderung von Eigenkapitalanforderungen ebenso umfassend.

Der orthodoxen Kirche Griechenlands wird weiterhin die Freiwilligkeit der steuerlichen Selbstveranlagung gewährt. Als zweitgrößter Landbesitzer nach dem Staat kann die Kirchenhierarchie die Berechnung ihrer Steuerverpflichtungen auf Besitztümer in Eigenregie vornehmen. Schließlich sei auf die seit Jahren weitgehend erfolglose Arbeit der griechischen Behörden hingewiesen, nicht-deklariertes Einkommen, das auf Auslandskonten transferiert wurde, zur Steuerpflicht heranzuziehen. Das Schweizer Finanzministerium hat eine lange Protokoll-Liste ergebnisloser Verhandlungen mit griechischen Vertretern.

Diese Beispiele legaler Steuerschlupflöcher sind nur eine kleine Auswahl. Was sie gemeinsam haben, ist das Ausmaß ihrer Inanspruchnahme. Keine Regierung in Griechenland, ob nun von der linken oder der rechten Seite des politischen Spektrums, stellte bisher diese Praktiken infrage, um anschließend etwas dagegen zu unternehmen. Stattdessen überboten sich verschiedene Finanzminister in Athen darin, die Steuerarchitektur des Landes einseitig durch ständig neue und höhere Abgabepflichten umzubauen.

Über die Konsequenzen dieser Vorgehensweise darf man sich keine Illusionen machen. Verärgerte Steuerzahler könnten schon bei der nächsten Wahl mit dem Stimmzettel protestieren. Viel wichtiger noch: Steigende Steuern auf immer weniger und schwächer werdende Schultern zu verteilen, ist eine Rezeptur für die mittelfristige Implosion des Systems. Es ist bisher noch keinem Land in der Euro-Zone gelungen, eine wirtschaftliche Erholung nach sieben Jahren Rezession auf dem Rücken steigender Steuerlasten zu bewerkstelligen. Es wäre eine grobe Verkennung der Realität, wollte Griechenland den Beweis des Gegenteils anzutreten versuchen.

© SZ vom 18.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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