Außenansicht:Spiel mit dem Rassismus

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Ulrich van der Heyden, 61, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität, Privatdozent an der FU Berlin und Gastprofessor an der University of South Africa, Pretoria. (Foto: privat)

Die Unruhen an den südafrikanischen Universitäten sind ein bedrückendes Signal.

Von Ulrich van der Heyden

An den Universitäten der Republik Südafrika gärt es schon seit einigen Jahren immer wieder, der Kampf um die Abschaffung der Studiengebühren ist dafür der häufigste Grund. Der Aufstand vor nunmehr 40 Jahren in Soweto, der von afrikanischen Schülern und Studenten getragen wurde, ist Grund genug, einen Blick auf die heutigen Ereignisse an südafrikanischen Universitäten zu werfen. Traditionslinien von damals zu heute zu ziehen, ist allerdings nicht angebracht. Damals wurde mit den opferreichen Protesten das Ende der Apartheid eingeleitet. Heute geht es um andere Dinge.

Mit der Beseitigung der Apartheid vor etwa 20 Jahren und der Errichtung einer rassismusfreien Gesellschaft gingen Erschütterungen im Hochschulwesen einher: Umstrukturierung, geänderte Studienordnungen, Beseitigung der Rassenschranken, Maßnahmen der affirmative action (weiße Mitarbeiter wurden durch nicht-weiße ersetzt). Fast das gesamte universitäre Führungspersonal ist im Sinne der zur Partei mutierten Befreiungsorganisation ANC ausgetauscht worden. Diese Erschütterungen waren gerade erst verebbt. In einigen Disziplinen konnten internationale Kooperationen aufgebaut werden, so auch mit Deutschland.

Nun geht erneut Unruhe durch die Universitäten, von denen früher einige internationale Bedeutung hatten, wie etwa Stellenbosch, Kapstadt oder die University of Witwatersrand in Johannesburg. Begonnen hatten die neuen Proteste an der Universität Kapstadt im vergangenen Jahr. Ein Denkmal für den Imperialisten Cecil Rhodes wurde zunächst mit Fäkalien beschmiert, dann umgestürzt. Damit wollten Gruppierungen wie "Rhodes Must Fall" gegen die angeblich bis heute andauernde europäische Beeinflussung des Studiums protestieren. Dabei mag der Frust eine Rolle spielen, weil die Ideale des Befreiungskampfes nicht verwirklicht wurden. Der sollte sich allerdings eher gegen die politische Führung des Landes richten als gegen die Universitäten.

Befeuert wurden diese Aktionen durch den Präsidenten Südafrikas, Jacob Zuma, der meinte, das Unglück Südafrikas habe mit dem Auftauchen der Europäer und deren ersten Ansiedlungen im Jahre 1652 begonnen. Was kann man da von einer ungeduldigen schwarzen Jugend erwarten, deren soziale Situation sich seit Übernahme der Macht durch den ANC 1994 in der Masse kaum verändert hat? Der Chef hat gezeigt, wer die Schuld an dem viel zu zähen Prozess des Übergangs zur sozialen Sicherung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit trägt. Nicht Korruption, der auffällige Machtmissbrauch, der offensichtliche Staatszerfall, Neopatrimonialismus, die ungenügende Schulbildung oder die hohe Kriminalität. Nein, die Weißen sind schuld. Diese beklagen einen wachsenden "umgekehrten Rassismus", der viele junge weiße Südafrikaner ins Ausland treibe.

Immer weniger träumen den Traum von Nelson Mandelas Regenbogen-Nation

Kaum jemand unter den studentischen Protestierern scheint zu erkennen, dass der Weg zu Macht und Reichtum über Bildung führt. In ihren Augen sind die höchsten akademischen Bildungsstätten immer noch in weißer Hand, was jedoch schon seit vielen Jahren nicht mehr zutrifft. Dennoch wurde in den letzten der noch teilweise in Afrikaans lehrenden Universitäten die Abschaffung dieser Unterrichtssprache, die neben anderen zehn eine offizielle Landessprache ist, gefordert. Dies ist der einzige Bezug zu den Studentenunruhen vor 40 Jahren, denn diese entzündeten sich damals an der Einführung von Afrikaans als Unterrichtssprache.

An so gut wie allen südafrikanischen Universitäten haben Studierende neuerdings Rassismus ausgemacht. In dieser angespannten Situation hat die Regierung im vergangenen Jahr die Studiengebühren erhöht. Das war der letzte Anlass für das gewaltsame Aufbegehren der Studenten, denn viele schwarze Familien können das Geld für das Studium nicht aufbringen. Die Wut hierauf und auf die vorgebliche weiße Vorherrschaft führten zur Verbrennung von Büchern und Insignien der "europäischen Bildung", wie in den Fluren hängende alte, wertvolle Gemälde an der Universität Kapstadt. Jedoch auch an fast allen anderen Universitäten und ebenso an einigen Schulen wurde randaliert, Bibliotheken abgefackelt, Büros, Schulen und Internate zerstört. Konnte die Bevölkerung dem Protest gegen die Erhöhung der Universitätsgebühren noch mehrheitlich gewisse Sympathien entgegengebracht werden, fehlt für den Vandalismus bei den meisten jedwedes Verständnis.

Im ersten Quartal 2016 ist der studentische Protest und der der Angestellten landesweit zwar zurückgegangen, an einigen Universitäten flammt er jedoch immer wieder auf. Zum Teil mit den bekannten Forderungen oder auch mit neu formulierten Ideen. So wird die Abschaffung von Prüfungen verlangt sowie der Studienvoraussetzungen, die man etwa in Deutschland mit dem Abitur erlangt.

Egal wie die Proteste der Studierenden ausgehen, diese werden mittel- und langfristig selbst den Schaden davontragen. Das Ausbildungsniveau wird weiter sinken. Alarmierende Anzeichen dafür gibt es schon jetzt. So werden händeringend Doktoranden gesucht - und dies in allen akademischen Disziplinen. Auf eine Million Einwohner kommen in der Republik Südafrika derzeit nicht einmal 30 PhD-Absolventen. Vor zwei Jahren stellte man fest, dass etwa ein Viertel des akademischen Personals an den Universitäten Südafrikas keinen Doktortitel besitzt. Jetzt musste geklärt werden, ob nicht promovierte Professoren an den 17 Universitäten und sechs Technischen Hochschulen des Landes Forschungsurlaub erhalten sollten, damit sie die Promotion nachholen können. Davon hängt die Frage ab, ob sie eine Dissertation betreuen dürfen oder nicht.

Früher wollten junge Leute aus vielen Teilen der Welt im Süden Afrikas studieren. Das ändert sich nach und nach. Das Gleiche gilt für internationale Wissenschaftler, denen zuweilen willkürlich entgegen gültigen Verträgen Gehälter gekürzt oder erst gar nicht ausgezahlt werden. Sie könnten - so ist zu befürchten - in Zukunft dem Land am Kap fernbleiben. Wer studieren und wissenschaftlich arbeiten will, kommt nicht mehr in den Süden Afrikas wie Ende der 1990er-Jahre, als nicht nur die Südafrikaner selbst von der "Regenbogennation" Nelson Mandelas träumten. Vielmehr wird aus sicherer Entfernung die Entwicklung an den Universitäten beobachtet. Zu den vielen Problemen des Landes kommt so ein weiteres hinzu. Gelöst werden kann das Problem der Studierenden, so ist anzunehmen, nur im Zusammenhang mit der generellen Lösung der vielen Fragen eines sich auf dem Wege eines failed state befindlichen Südafrika.

© SZ vom 28.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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