Außenansicht:Paradoxe Wahrnehmung

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Europäer schätzen republikanische US-Präsidenten oft falsch ein. Auch bei Donald Trump ist Vorsicht geboten.

Von Thomas Speckmann

S hitstorm ist eine unzureichende Beschreibung für das, was nach dem Wahlsieg von Donald Trump in deutschen und europäischen Medien zu lesen war: von der Zeit mit "Oh My God!" über "Was haben sie getan?" im Daily Mirror bis hin zur Libération, die den künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten als "American Psycho" porträtierte.

Der Kontrast zu seinem Amtsvorgänger könnte kaum deutlicher ausfallen: Mit welch großen Vorschusslorbeeren war Barack Obama nach seinem Wahlsieg 2008 bedacht worden: mit dem Friedensnobelpreis geadelt und in einer Fotomontage auf dem Cover von Time abgebildet als Wiedergeburt von Franklin D. Roosevelt, mit demselben optimistischen Lächeln.

Doch war all der Optimismus schon nach der ersten Amtszeit vorbei, zu ernüchternd wirkte Obamas Zwischenbilanz - nicht zuletzt in der Außen- und Sicherheitspolitik: Sein Versprechen, das Gefangenenlager Guantánamo zu schließen, hielt er nicht. In Afghanistan erhöhte er den militärischen Einsatz massiv und bestimmte zugleich den Rückzugstermin. Die Folge: Irritation und Frustration bei den Verbündeten, Genugtuung und Ermutigung auf Seiten von Taliban und al-Qaida. In Libyen stimmte Obama erst einer Intervention zu, beteiligte sich dann aber nur halbherzig, was den Krieg unnötig in die Länge zog und die Zahl der Opfer deutlich erhöhte - mit destabilisierenden Folgen bis heute. In Syrien und im Irak wiederholte sich dieses Verhalten in ähnlicher Weise. Die Konsequenz nicht nur für die Region, sondern auch für das angrenzende Europa: die größte Flüchtlingskrise seit den Balkankriegen in den Neunzigerjahren.

Damit reiht sich Obama in die Riege von Präsidenten der Demokratischen Partei ein, die in Europa die hohen Erwartungen nicht zu erfüllen wussten. Die außenpolitische Bilanz der amerikanischen Präsidenten seit dem Zweiten Weltkrieg fällt aus deutscher und europäischer Perspektive keineswegs zugunsten der Demokraten aus. Vielmehr verteilen sich die Erfolge auf beide Parteilager, wobei die Gesamtbilanz der Republikaner positiver ausfällt. Dwight D. Eisenhower, Richard M. Nixon, Ronald Reagan und George H. W. Bush senior haben sich große Verdienste um Deutschland und Europa erworben.

Unter Eisenhower wurde die Bundesrepublik in die Nato aufgenommen und damit auch sicherheitspolitisch fest im Westen integriert. Nixons Politik der Abrüstung und Entspannung gegenüber der Sowjetunion und China schuf den Rahmen für Willy Brandts Ostpolitik. Reagan verschärfte mit neuen Waffenprogrammen in der Endphase des Wettrüstens die ökonomische Krise des Warschauer Pakts, von der sich dieser nicht mehr erholen sollte. Und Bush senior gilt zusammen mit Helmut Kohl als Architekt der Wiedervereinigung Deutschlands und Europas.

Die demokratischen Präsidenten Obama, Clinton und Kennedy haben Europa meist enttäuscht

Aufseiten der Demokraten konnte hingegen lediglich Harry S. Truman nachhaltige Erfolge auf dem alten Kontinent erzielen. Nicht nur rettete er Westberlin mit der Luftbrücke, sondern legte mit der Währungsreform und dem Marshallplan zugleich wichtige Grundlagen für das deutsche Wirtschaftswunder.

Drei Jahre vor dem Amtsantritt von Obama hat der amerikanische Politikwissenschaftler Joseph S. Nye als Vater der Unterscheidung zwischen "harter" und "sanfter" Macht eine Art Verhaltensleitfaden für Präsidenten seines Landes entwickelt. Er lässt deutlich werden, warum Demokraten den hohen Erwartungen oft kaum gerecht geworden sind, während die in Europa meist unbeliebteren Republikaner in ihren außenpolitischen Amtsgeschäften positiv zu überraschen wussten - mit George W. Bush junior als negative Ausnahme.

Für John F. Kennedy, Bill Clinton und Obama gilt Nyes Mahnung: Große Reden reichen nicht. Zwar verstanden es diese drei demokratischen Präsidenten wie kaum einer ihrer republikanischen Vorgänger oder Nachfolger, ein inspirierendes Bild von der Zukunft zu entwerfen und zu kommunizieren. Aber woran es ihnen letztlich in ähnlicher Weise mangelte wie dem wegen seiner undurchdachten Politik gescholtenen Bush junior, ist nach Nye die Grundlage einer erfolgreichen politischen Vision: die genaue Diagnose der Weltlage, wobei Realismus und Risikobereitschaft ebenso ausbalanciert sein müssen wie Ideale und Möglichkeiten.

So begann Kennedy das Engagement in Vietnam, obwohl das französische Scheitern im Indochinakrieg zuvor Warnung genug hätte sein müssen. Und anstatt die bereits zum Zeitpunkt von Kennedys Ermordung erfolglose Vietnampolitik zu revidieren, erhöhte Lyndon B. Johnson von Jahr zu Jahr die Zahl der Truppen in Indochina - mit verheerenden Folgen für das Ansehen Amerikas in Europa.

Clinton und Obama verhielten sich in ihren Amtszeiten zwar zurückhaltender bei der Entsendung von Bodentruppen in neue Kampfeinsätze, griffen aber dafür immer wieder zu Luftschlägen, um gegen feindliche Regime und Terroristen vorzugehen - eine Strategie, die sich langfristig ebenfalls als wenig erfolgreich erwies, ob im Nahen Osten, am Hindukusch, in Afrika oder auf dem Balkan.

Erstaunlich ist auch, dass sich Clinton bei den Europäern weiterhin einer großen Beliebtheit erfreut, obwohl wesentliche Ursachen der globalen Finanzkrise in seiner Politik der Deregulierung begründet liegen - ein Desaster historischen Ausmaßes für Amerika wie für Europa.

Heute bleibt für die Europäer nur zu hoffen, was bereits vor Obamas Wiederwahl 2012 galt: dass der amerikanische Präsident sein Augenmerk nicht ganz auf den pazifischen Raum richtet. Noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatte das Weiße Haus seinen europäischen Partnern so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wie unter dem ersten selbsternannten "pazifischen Präsidenten".

Wie sich die Szenen von 2009 und 2017 doch ähneln: Schon vor Obamas Amtsantritt rätselten Kommentatoren, welche Europapolitik die USA betreiben würden. Existierte eine solche überhaupt? Eine Deutschlandpolitik war nicht erkennbar. Und dennoch fieberten die meisten Europäer 2012 erneut mit Obama mit. Ihre Logik schien zu lauten: Lieber ein eher europäisch wirkender Demokrat, der sich allerdings wenig für Europa zu interessieren schien, als ein Vertreter der Republikaner, mit deren Wesensart und Auftreten die Europäer traditionell fremdeln, selbst wenn Amerikas republikanische Präsidenten für Europa im Durchschnitt die bessere Wahl waren. Entsprechend tief sitzt heute die Enttäuschung auch über die zweite Amtszeit Obamas. Donald Trump hingegen wird nach dem Shitstorm in Europa zu seiner Wahl nur positiv überraschen können.

© SZ vom 19.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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