Außenansicht:Nicht nur Gentechnik und Chemie

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Michael Krawinkel, 66, ist emeritierter Professur für Ernährung des Menschen mit Schwerpunkt Ernährung in Entwicklungsländern an der Universität Gießen. (Foto: oh)

Wie die umstrittene Fusion von Bayer und Monsanto der Welternährung dienen könnte.

Von Michael Krawinkel

Bei der Diskussion um die Übernahme von Monsanto durch Bayer geht es bisher vor allem um ökonomische und Umweltrisiken und um die Frage, ob Bayer die grüne Gentechnik wieder stärker in Europa verankern will. Es lohnt sich aber auch, mögliche positive Entwicklungen zu erörtern. So stellt sich die Frage, warum die Eigner von Monsanto überhaupt an Bayer verkauft haben. Vielleicht war es nicht nur der Preis, den Bayer zu zahlen bereit war, sondern auch die Ungewissheit hinsichtlich des bisherigen Geschäftsmodells von Monsanto.

Entscheidend wird sein, ob der Konzern weiter primär auf die transnationale Vermarktung von Saatgut und Agrarchemie setzt, oder ob er sich zu einem umfassend anbietenden Agrarkonzern im Sinne von Nachhaltigkeit und Nahrungssicherung entwickelt. Das Potenzial dazu hätte er.

Nicht nur in Europa, sondern auch in Nordamerika und anderen Teilen der Erde wächst die Zahl der Menschen, die grüne Gentechnik ablehnen: Neben Gesundheitsrisiken, die bis heute nicht systematisch untersucht sind, stehen ökonomische und ökologische Aspekte im Vordergrund. Insbesondere die Abhängigkeit der bäuerlichen Landwirtschaft von patentiertem Saatgut und dazugehörigen Agrarchemikalien wird kritisiert. Aber auch das Verschwinden von Biodiversität macht besorgt. Wie bei jeder zielgerichteten Pflanzenzüchtung werden Sorten entwickelt, die eine besondere Eigenschaft haben, während andere Eigenschaften zurückgedrängt oder verdrängt werden. So ist die Herbizid-Resistenz gerade darauf angelegt, dass allein die patentierte Pflanze einem Herbizid widersteht, während alle anderen eliminiert werden.

Das Problem der Welternährung kann primär nicht mit Pflanzenzüchtung und Agrarchemie auf globaler Ebene gelöst werden. Die UN-Ernährungsorganisation FAO bestätigt seit Jahren, dass die Erde genug Nahrung auch für neun Milliarden Menschen produzieren kann. Nicht nur die Agrarüberschüsse und die Entsorgung von Lebensmitteln über die Mülltonne im Norden, auch die riesigen Nachernteverluste im Süden zeigen: Nötig sind, global gesehen, nicht mehr Nahrungsmittel, der Mangel ist meist Folge lokaler Probleme. Hunger entsteht durch Umweltveränderungen und sozioökonomische Faktoren, die verhindern, dass natürliche Ressourcen optimal genutzt werden. Moderne Wissenschaft und Technik haben das dazu vorhandene indigene Wissen übergangen und gemeint, Produkte entwickeln zu können, ohne die lokalen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Auch der sogenannte verborgene Hunger, also der Mangel an einzelnen Nährstoffen wie Vitamin A oder Eisen, kann vermieden werden, wenn Menschen ausreichend Ernährungskompetenz haben und auf vielfältige Nahrung zurückgreifen können; dazu müssen sie nicht wohlhabend sein, es reicht, wenn niemand sie davon abhält, sich in eigener Souveränität zu versorgen.

Wenn sich der neue Bayer-Monsanto-Konzern diesen Herausforderungen stellt und die Strategie einer Landwirtschaft für die Ernährung entwickelt, kann er nachhaltig positiv für die Überwindung von Hunger und Mangelernährung wirken. Er müsste sich grundlegend von einem produzierenden zu einem Dienstleistungsunternehmen wandeln. So könnte eine nachhaltige Strategie aussehen:

Erstens : Die Kompetenz des Konzerns für Pflanzenzüchtung kann in den Dienst der bäuerlichen Landwirtschaft gestellt werden; das heißt, die Probleme in den verschiedenen Regionen werden erfasst und mit lokalen bäuerlichen Organisationen angepasste Lösungen gesucht. Das kann Beratung sein, etwa für integrierten Pflanzenschutz und die Erhaltung der Artenvielfalt. Um die Widerstandsfähigkeit gegenüber Änderungen des Klimas zu erhöhen, muss man nicht nur Pflanzen verändern. Man kann auch deren Vielfalt fördern, damit nicht alle angebauten Pflanzen gleichzeitig den Gefahren ausgesetzt sind. Hierfür sollte man aus Wissen und Erfahrung der lokalen Bevölkerung lernen. Entscheidend ist, dass die wissenschaftliche Arbeit problem- und nicht produktorientiert ist.

Zweitens: Neue Nahrungspflanzen können so entwickelt werden, dass sie ihre Nahrungsenergie weniger in Form von Zucker und Fett enthalten. Übergewicht und Fettsucht sind heute ein nicht minder großes Problem als die Mangelernährung - auch wenn die Bilder ausgemergelter Hungernder dramatischer sind als die der vielen Dicken, die an den Folgen von Herz-Kreislauf- und Zuckerkrankheit sterben.

Bis zu 40 Prozent der Agrarprodukte gehen im Süden nach der Ernte verloren

Drittens: Nachernteverluste sind immer noch ein vernachlässigtes Gebiet der Forschung. Angesichts von bis zu 40 Prozent Verlusten bei Reis, die bei Ernte, Transport, Lagerung, Verarbeitung und Vermarktung entstehen, liegt hier ein enormes Potenzial. Dabei bedarf es weniger eines globalen Ansatzes als der Untersuchung der Ursachen vor Ort und gemeinsam entwickelter präventiver Strategien. Ein Beispiel: Billige Moskitonetze, die mit verträglichen Insektiziden imprägniert werden, um der Malaria bei Menschen vorzubeugen, können auch zum Schutz vor Insekten in Speichern für Mais, Reis, Hirse oder Sorghum eingesetzt werden.

Viertens: Regierungen, gerade in Ländern mit Mangel- und Unterernährung, bedürfen fachlicher Unterstützung. Wenn die Staatseinnahmen zum nicht geringen Teil auf der Besteuerung landwirtschaftlicher Erträge beruhen, wird die Landwirtschaft diskriminiert: Da das bäuerliche Einkommen der Besteuerung unterliegt, gibt es wenig Anreiz für eine Steigerung der Produktion, und viele kleinbäuerliche Betriebe beschränken sich auf Subsistenz, also den Anbau zur Eigenversorgung.

Auch die Agrarhandelspolitik bedarf der Beratung. Solange billige - oft subventionierte - Agrarimporte aus Industrieländern das Angebot auf den Weltmärkten verzerren, haben die bäuerlichen Betriebe in den Entwicklungsländern kaum Chancen, sich erfolgreich zu entwickeln. Das bedeutet im ersten Schritt, dass sie wiederum ihre Produktion weitgehend auf Selbstversorgung reduzieren, und im zweiten Schritt, dass sie von agroindustriellen Betrieben übernommen werden. Letzteres führt - oft als "Direktinvestitionen" schöngeredet - dazu, dass transnationale Konzerne direkt Eigner der Agrarproduktion werden. Da in der Regel Arbeitsstandards und Gewerkschaften fehlen oder von den Regierungen bekämpft werden, geht dieser Prozess mit einer Verarmung der ehemaligen Kleinbauern einher.

Unter den Herausforderungen der globalen Landwirtschaft und Nahrungsproduktion wäre eine an Nachhaltigkeit orientierte Zukunftsstrategie für Bayer-Monsanto ein solides Geschäftskonzept.

© SZ vom 28.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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