Außenansicht:Mali muss ein neuer Staat werden

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Warum der Einsatz der Bundeswehr in Nordafrika scheitern wird.

Von Leonhard Harding

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat angekündigt, weitere deutsche Soldaten zur Unterstützung der von den UN geleiteten Mission Minusma nach Mali zu entsenden. Die Pläne betreffen jedoch nur die militärische Seite und lenken von der politischen Problematik des Staates Mali ab. Militärisch kann dieser Konflikt nicht gelöst werden. Die Präsenz ausländischer Soldaten kann im Gegenteil, wie der malische Journalist Aliou Hasseye glaubt, den radikalen Nationalismus weiter schüren. Die radikalen Kräfte könnten sich militärisch aufrüsten und einen neuen Staat Mali gründen, ein "theokratisches Regime nach den Vorstellungen der Terroristen".

Der alte Konflikt in Mali schien einer Lösung nähergekommen zu sein, als am 1. März ein Friedensabkommen beschlossen wurde. Die Regierung Malis unterzeichnete den Vertrag am 15. Mai, die bewaffneten Gruppen aus dem Norden erst am 20. Juni: sowohl die Anführer der Tuareg-Rebellion, als auch die Gruppen, die eine Zusammenarbeit mit der Regierung angestrebt hatten.

Dann kam der Überfall auf das Hotel Radisson Blu in der Hauptstadt Bamako am 20. November, danach wurde der Friedensprozess blockiert. Der Überfall reiht sich in eine Serie von Attentaten ein: Im März wurde die Bar La Terrasse in Bamako überfallen, fünf Menschen wurden getötet. Im August folgte ein Anschlag auf das alte Hotel Le Byblos in der Stadt Sévaré mit zehn Toten, im November der Überfall auf das Radisson Blu mit 20 Toten und einige Tage später wurde das Lager der UN-Friedenstruppen in Kidal mit Raketen beschlossen. Drei Menschen kamen dabei um. Zu allen Überfällen haben sich die seit Jahren operierenden dschihadistischen Gruppen bekannt: Ansar Dine und eine salafistische Gruppe, Al-Mourabitoune. Hinzugekommen ist eine neue Gruppe, FLM, die für die Interessen der Peul in Zentralmali kämpft. Die Botschaft der Gruppe Ansar Dine nach dem Raketenbeschuss ist eindeutig: "Wir bekennen uns im Namen aller Mudschahedin zum Angriff auf das Lager in Kidal; das ist unsere Antwort auf die Entehrung unseres Landes durch die Feinde des Islam."

Der Konflikt hatte schon mir dem Ende der Kolonialzeit militante Formen angenommen. Sprecher der Tuareg, die am Rande der Sahara als Nomaden leben, lehnten ihre Eingliederung in den neuen Staat Mali ab und forderten einen eigenen Staat für alle Tuareg-Gruppen im Großraum Westafrika. Für dieses Anliegen kämpften sie in mehreren Rebellionen. Der Konflikt erhielt Anfang 2012 eine neue Dimension, als die bewaffneten Tuareg mit militanten islamistischen Gruppen die größeren Städte des Nordens Timbuktu, Gao und Kidal eroberten. Die Tuareg riefen einen eigenen Staat aus, "Azawad", die Dschihadisten führten die Scharia ein und wollten das ganze Land zu einem islamischen Staat machen. Im Januar 2013 begann eine von der Regierung in Bamako erbetene Offensive der französischen Luftwaffe, der es gelang, die Städte zurückzuerobern.

Das Ziel der militärischen Intervention war und ist die Abwehr der islamistischen Gruppen und die Rückeroberung des Nordens. Minusma und die "Opération Barkhane" der Franzosen haben zwar die Tuaregrebellen und die islamistischen Gruppen geschwächt;Waffenverstecke wurden ausgehoben und große Mengen Drogen gefunden. Aber die Sicherheit in den Städten, ihrem Umfeld und auf den Verbindungswegen ist weiter nicht gewährleistet.

Auch die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai 2013 haben nicht zu einer Lösung des Konflikts geführt. Der neue Präsident Ibrahim Boubacar Keita wird von kritischen Beobachtern als Mitglied der alten Oligarchie bezeichnet, von der eine Konfliktlösung nicht zu erwarten sei. Er besteht in seinen politischen Forderungen auf der Einheit und Laizität des Staates und lehnt eine weitergehende Autonomie einzelner Gebiete ab.

Selbst der Friedensvertrag von Algier hat die Lage nicht entscheidend verändert. Die Tuaregrebellen verzögerten die Unterschrift, weil ihr zentrales Anliegen, die Unabhängigkeit in einem neuen Staat Azawad, nicht anerkannt wird und Autonomie oder föderale Strukturen nicht einmal zur Diskussion stehen. Der Text schreibt in der Tat in Artikel 1 die Forderungen der Regierung fest und spricht von nationaler Einheit, territorialer Integrität und Souveränität des Staates, republikanischer Grundform und vom laizistischen Charakter des Staates.

Das Abkommen schlägt zwar einen Prozess der Dezentralisierung vor. Ein solcher Prozess war auch schon mit früheren Entscheidungen der Regierung eingeleitet worden, hat aber nicht zu einer Befriedung geführt, weil er nur die Verlagerung von Verwaltungsstrukturen zum Inhalt hatte. Auch die kulturelle und sprachliche Diversität der Gruppen wird anerkannt, aber die Bezeichnung "Azawad" wird zu einem symbolischen Begriff herabgestuft, ohne politische Bedeutung.

Als schwerwiegende Lücken des Vertrages benennt ein Bericht der International Crisis Group, dass er die Lösungsansätze der Vergangenheit, Dezentralisierung und Klientelismus, fortschreibe, die Wiederherstellung von Ordnung und Stabilität in den Vordergrund stelle, während die Bevölkerung im Norden eine echte Veränderung anstrebe, also die Anerkennung ihrer kulturellen Eigenständigkeit und ihres Selbstbestimmungsrechts, den Zugang zu grundlegenden sozialen Leistungen, Beschäftigung und Gerechtigkeit.

Der Staat Mali muss daher seine eigene Identität als Staat vieler Völker und Kulturen auf der Basis einer breiten Beteiligung der Bevölkerung neu definieren: seine Strukturen als Zentral- oder Bundesstaat, seine Werte, sein Verständnis der Rolle der Religion und sein Geschichtsbild. Das Bekenntnis zur Laizität ist zu überdenken, da mehr als 90 Prozent der Bevölkerung sich zum Islam bekennen.

Der französische Politologe Gilles Holder fordert zudem, dass das nationale Geschichtsbild, das auf der Verherrlichung des alten Reiches Mali fußt, dessen Blütezeit im 14. Jahrhundert lag, neu geschrieben und die Geschichtsbilder aller Völker des Landes einbeziehen muss.

Ein Friedensvertrag hat keine Lösung des Konflikts gebracht, die militärische Intervention Frankreichs und der Vereinten Nationen haben das Land nicht befriedet. Eine Ausweitung der militärischen Aktionen kann nur die Rebellen und die Islamisten zurückdrängen, aber auch keine Lösung herbeiführen. Eine politische Lösung muss gefunden werden, ein neuer Staat muss aufgebaut werden, der die Erwartungen der Menschen erfüllt und den auch die unterschiedlichen Bevölkerungsteile für sich akzeptieren können.

© SZ vom 22.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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