Außenansicht:20 Jahre und viele Skandale

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Hermann Bachmaier, 77, war mehr als 20 Jahre Abgeordneter für die SPD im Deutschen Bundestag. Er arbeitet als Rechtsanwalt. (Foto: privat)

Mit dem "ständigen Bevollmächtigten" kann der Bundestag die Geheimdienste wirksam kontrollieren.

Von Hermann Bachmaier

Seit drei Tagen gibt es ein neues Amt im Deutschen Bundestag. Arne Schlatmann ist seit dem 1. Januar der erste sogenannte ständige Bevollmächtigte zur Kontrolle der Geheimdienste. Die Erwartung an den erfahrenen Verwaltungsbeamten Schlatmann ist, dass die Überwachung der Überwacher so wesentlich verbessert wird. Allerdings wird in der Begründung des Gesetzentwurfs auch darauf hingewiesen, dass es sich beim Leiter dieser Dienststelle um keinen "Geheimdienstbeauftragten" handelt, der als "eigenständiger politischer Akteur" agiert. Damit wollte man den Eindruck vermeiden, dass das Parlament sich seiner "ureigenen Aufgabe" der Geheimdienstkontrolle entzieht.

Dennoch ist unverkennbar, dass so ein wesentlicher Schritt hin zu einer schon lange notwendigen stärkeren Professionalisierung der gebotenen Kontrolle stattfindet. Dieser Schritt ist richtig und längst überfällig. Aufgabe des der CDU angehörenden Spitzenbeamten ist es, diese neu geschaffene Institution mit Leben zu erfüllen, sodass Bundesnachrichtendienst (BND), Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst (MAD) endlich wirksamer kontrolliert werden. Leicht wird diese Aufgabe nicht werden.

Parlament und Regierung haben sich schwer damit getan, der schon lange notleidenden Geheimdienstkontrolle endlich einen angemessenen Rahmen zu geben. Bereits 1996, also vor zwanzig Jahren, haben Peter Struck, Otto Schily und ich in den Turbulenzen der sogenannten Plutoniumaffäre gefordert, das Amt eines Geheimdienstbeauftragten zu schaffen. Damals standen BND und Kanzleramt im Verdacht, in den illegalen Import von waffenfähigem Plutonium von Moskau nach München verstrickt zu sein. Der Geheimdienstbeauftragte sollte dem seit Jahrzehnten bewährten Amt des Wehrbeauftragten nachgebildet werden. Wir hatten damals bereits einen ausgearbeiteten Gesetzentwurf vorgelegt, der im Rahmen einer fraktionsinternen Anhörung der SPD-Fraktion durch erfahrene Fachleute auf den Prüfstand genommen wurde. Leider hat die kurze Zeit später ins Amt gewählte neue rot-grüne Regierung unser Anliegen nicht weiterverfolgt.

Bei den in steter Regelmäßigkeit folgenden weiteren Geheimdienstskandalen wurde zwar immer wieder die mangelnde Kontrollfähigkeit der parlamentarisch zuständigen Organe beklagt, ohne dass sich Parlament und Regierung dazu durchringen konnten, die Geheimdienstkontrolle substantiell zu verbessern. In der Regel wurden nur personelle Verbesserungen bei den Kontrollorganen vorgenommen. Lediglich einmal hat man vorsichtig Neuland betreten und im Jahr 2008 die Institution eines sogenannten Sachverständigen geschaffen, der bei Bedarf mit der Aufklärung von einzelnen, kompliziert gelagerten Sachverhalten beauftragt werden konnte.

Schon dieser erste vorsichtige Schritt blieb nicht ohne Wirkung. Vor allem der ehemalige Bundesrichter Gerhard Schäfer hat in dieser Funktion aufgezeigt, was professionelle Aufklärungsarbeit leisten kann. In der Folgezeit hat sich neben anderen auch der ehemalige Präsident des BND Hansjörg Geiger, der ja wissen musste, wovon er sprach, für eine institutionelle Verbesserung ausgesprochen - nämlich einen Geheimdienstbeauftragten zu installieren. Von der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion wurde in der Folgezeit sogar ein Gesetzentwurf vorgelegt, der einen "ständigen Beauftragten" vorsah, nicht unähnlich der Einrichtung des jetzt beschlossenen "ständigen Bevollmächtigten".

Erst jetzt, zwanzig Jahre später und nach einer Vielzahl neuer Geheimdienstskandale, die gezeigt haben, dass unser bisheriges Kontrollsystem unzulänglich ist, hat der Gesetzgeber den entscheidenden Schritt gewagt. Erst jetzt hat man die Konsequenz daraus gezogen, dass mit den bislang zuständigen Institutionen eine auch nur leidlich effektive Geheimdienstkontrolle nicht zu schaffen ist. Auch die nun gefundene Lösung des "ständigen Bevollmächtigten", der eng an das parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages angegliedert ist, trägt noch immer der Sorge Rechnung, die Geheimdienstkontrolle könnte sich verselbstständigen und allzu weit vom Parlament entfernen.

Dennoch wird durch diese neu geschaffene Institution ein wesentlicher Schritt getan - hin zur Verbesserung einer dringend gebotenen nachhaltigen Kontrolle. Wenn überhaupt eine wirksame Kontrolle der Nachrichtendienste möglich ist, dann auf diesem Wege.

Erst die Enthüllungen um die NSA und den NSU haben die Abgeordneten umdenken lassen

Für die Funktionstüchtigkeit eines demokratischen Staates ist es aber unverzichtbar, so mächtigen Einrichtungen wie den Geheimdiensten auf die Finger zu sehen und Gewähr dafür zu bieten, dass kontrollfreie Nischen staatlichen Handelns nicht hingenommen werden. Als Mitglied von Untersuchungsausschüssen und des parlamentarischen Kontrollgremiums musste ich immer wieder erleben, dass die bislang zuständigen Institutionen des Parlaments schon strukturell nicht in der Lage waren, der Gefahr eines unkontrollierten und gefährlichen Eigenlebens der Geheimdienste wirkungsvoll zu begegnen. Es bleibt zu hoffen, dass der neue Bevollmächtigte seine Wirkung nicht verfehlen wird.

Von nicht zu unterschätzender Bedeutung dürfte auch die jetzt dem parlamentarischen Kontrollgremium gesetzlich auferlegte Pflicht sein, einmal jährlich eine öffentliche Anhörung der Präsidentinnen und Präsidenten der Nachrichtendienste durchzuführen. Damit wird ein wichtiger ergänzender Beitrag zur Transparenz der Geheimdiensttätigkeit geleistet. Man darf gespannt sein, ob durch die jetzt beschlossenen Maßnahmen endlich die regelmäßig wiederkehrenden Geheimdienstskandale zumindest seltener werden. Ganz verschwinden werden sie schon deshalb nicht, weil die Geheimdienste immer die Gefahr in sich tragen, in der abgeschotteten Grauzone, in der sie sich häufig bewegen, die Grenzen des Zulässigen zu überschreiten.

Am Ende bleibt noch die Frage, woran es denn liegen mag, dass es zwanzig Jahre dauern musste, bis endlich ein Erfolg versprechender Lösungsvorschlag zur Beseitigung einer Schwachstelle im parlamentarischen Kontrollgefüge wenigstens annäherungsweise umgesetzt wird. Hätte der Gesetzgeber schon früher entschlossener gehandelt, wäre möglicherweise nicht nur mancher Skandal vermieden worden, sondern auch die damit immer wieder verbundene Frage, ob Geheimdienste überhaupt kontrollierbar seien. Doch erst unter dem Eindruck der Enthüllungen um die NSA und den NSU konnten sich die Parlamentarier über Parteigrenzen hinweg dazu durchringen, ein wichtiges Kontrollinstrument zu schaffen. Jetzt muss sich Arne Schlatmann nur noch bewähren.

© SZ vom 03.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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