Außenansicht:Geburtstag ohne Feier

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Vor 20 Jahren wurde die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag beschlossen. Die Institution ist wichtig - und muss dringend neu belebt werden. Heute verhindert das Vetorecht der Großmächte, dass Verbrechen wie in Syrien verfolgt werden.

Von Klaus Rackwitz

Klaus Rackwitz, 58, Jurist, ist seit September 2016 Direktor der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien. Zuvor war er beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag tätig. (Foto: Leon Greiner; Internationale Akademie Nürnberger Prinzipien/LÉROT)

Rom am 17. Juli 1998: Jubel und Beifall erfüllen den Saal, Freudentränen laufen bei manchen über die Wangen - mit 120 Stimmen, sieben Gegenstimmen und 21 Enthaltungen wird der Entwurf des Römischen Statuts zur Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofes von den Delegierten der diplomatischen Konferenz der Vereinten Nationen angenommen. Es war ein historisches Ereignis, ein Meilenstein und die Vollendung dessen, was 1946 mit der Verabschiedung der Nürnberger Prinzipien durch die erste Generalversammlung der Vereinten Nationen in London begann. Endlich ein Ende der Straflosigkeit für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, endlich eine weltweit zuständige juristische Instanz, mit unabhängigen Richtern und einer Anklagebehörde, die frei von politischer Einflussnahme die Ermittlungen ohne Ansehen der Person durchführt.

Den Haag, 20 Jahre später. Der in Rom vereinbarte Internationale Strafgerichtshof hat seinen permanenten Sitz am Rand der Düne von Scheveningen gefunden, ein imposantes Gebäude ist es, weithin sichtbar und Eindruck erweckend. Mehr als 800 Mitarbeiter hat das Gericht, das im Sommer des Jahres 2002 seine Arbeit aufgenommen hat. Eine Feier findet hier nicht statt, keine Luftballons, keine Musik, Sektausschank; stattdessen ein Symposium, das Thema lautet: Gibt es Wege für die internationale Gesellschaft, um die Anstrengungen zur Sicherstellung strafrechtlicher Verantwortung für die schwersten Verbrechen wieder zu beleben?

Ein Titel, der die Komplexität der Materie ausdrückt und Zeugnis dafür ablegt, dass noch lange nicht erreicht wurde, was man vor 20 Jahren in Rom vorhatte: sicherzustellen, dass Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht ungesühnt bleiben.

Ungesühnte Verbrechen der schwersten Form - das war nach den Nürnberger und den Tokioter Prozessen gegen die Hauptschuldigen für den Zweiten Weltkrieg und die Verbrechen, die begangen wurden, der Normalfall. Erst 1994, also 48 Jahre nach dem Nürnberger Urteil des Internationalen Militärtribunals, wurde durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein Ad-hoc-Gericht für das frühere Jugoslawien errichtet. Ebenso wie das Tribunal von Nürnberg war dies ein Gericht, das erst nach Ausbruch der Gewalt und nach den Verbrechen entstand und nicht vorher, wie das sonst im Strafrecht weltweit der Fall ist. Bis dahin blieben jene straflos, die Kriege angezettelt, Nachbarstaaten überfallen und Zivilisten massakriert hatten.

Und heute? Was müssen wir täglich mit ansehen in Syrien, im Irak, in Afghanistan, Jemen? Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, verübt von allen an den Konflikten beteiligten Parteien, ungesühnt oder nicht verfolgt.

Die schwachen Versuche, eine wirksame Strafverfolgung zum Beispiel für die an der Zivilbevölkerung verübten Verbrechen einzusetzen, scheitern im UN-Sicherheitsrat an den Großmächten Russland, China und den USA - alle drei übrigens keine Vertragsstaaten des Römischen Statuts und daher nicht von dessen Zuständigkeit und Rechtsprechung betroffen. Schon in Rom war man gegen dieses Gericht, hat entweder offen dagegen gestimmt oder sich, wie Russland (vermutlich), enthalten.

Der Sicherheitsrat kann Fälle, auch soweit sie Nichtvertragsstaaten betreffen, an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag überweisen. In den Fällen des Sudans und Libyens ist das geschehen; die Vetomächte, die nicht Vertragsstaaten des Gerichts sind, hatten sich enthalten und so eine Verweisung möglich gemacht. Im Falle Syriens aber wird eine entsprechende Resolution des Sicherheitsrates verhindert.

Damit sind wir eigentlich genau wieder dort, wo wir 50 Jahre lang nach Nürnberg waren - Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit bleiben ungesühnt, jedenfalls weitgehend, wenn man die wenigen Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof einmal ausnimmt - sie sind bestenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein. Müssen wir in Zeiten von "America First", dem Austritt wichtiger Staaten aus multilateralen Organisationen wie der WTO oder der Europäischen Union nicht sogar damit rechnen, dass Strafverfolgung, so sie denn nicht Taten betrifft, die unmittelbar uns betreffen, der Vergangenheit angehört?

Nein, so weit sollte man nicht gehen. Auch nach dem Inkrafttreten des Römischen Statuts hat die internationale Staatengemeinschaft - übrigens mit der aktiven Unterstützung zum Beispiel der Vereinigten Staaten - Sondergerichte gegründet und unterstützt, für die der Strafgerichtshof in Den Haag aus rechtlichen Gründen nicht zuständig sein kann. Erst in jüngster Zeit wurde in Den Haag ein solches eigenes Gericht für mutmaßliche Verbrechen, die in Kosovo begangen wurden, errichtet. Chefankläger ist Jack Smith, ein Amerikaner, ernannt von Donald Trumps Justizminister. Auch finanziell unterstützen die USA dieses Gericht. Aber tatsächlich scheint eine Strafverfolgung nur dort stattzufinden, wo es den Großmächten ins Konzept passt. Genau das lähmt den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen seit Langem de facto häufig: das Vetorecht einiger weniger zu Lasten vieler anderer.

Hier sollte man ansetzen, wenn man zum echten Mehrheitsprinzip bei internationalen Organisationen zurückkehren will, wie damals in Rom, als wichtige Staaten mit ihrer ablehnenden Haltung die Gründung eines Weltstrafgerichtes nicht verhindern konnten. Initiativen in diese Richtung gibt es schon; annähernd hundert Staaten unterstützen die Idee eines - wenigstens freiwilligen - Verzichts auf das Vetorecht, darunter Frankreich, eines der fünf Länder, die dieses Privileg zurzeit besitzen. Andere Initiativen versuchen, das Vetorecht auf juristischem Wege auszuhebeln - jedenfalls in den Fällen, in denen es dazu genutzt wird, Strafverfolgung für Kriegsverbrechen zu verhindern; eine "Advisory Opinion" des Internationalen Gerichtshofes soll das ermöglichen. Ob es zu einem entsprechenden Antrag der Vollversammlung der Vereinten Nationen (in der die Großmächte keine Vetomöglichkeit haben) kommt, ist jedoch ungewiss. Was es braucht, ist eine gemeinsame Anstrengung der Zivilgesellschaft, so wie damals in Rom, wo sich weit mehr als tausend Nichtregierungsorganisationen aus der ganzen Welt zu einer Koalition zusammengeschlossen haben. Und wenn das erreicht ist, wenn der Sicherheitsrat dann, wie im Römischen Statut vorgesehen, Fälle wie Syrien oder Jemen an den Internationalen Strafgerichtshof verweist - dann haben wir alle Grund zum Feiern - egal wie viele Jahre nach der historischen Abstimmung in Rom.

© SZ vom 17.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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