Außenansicht:Digitalisierung schafft Unzufriedene

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Die Bundesregierung muss die Ausbildung modernisieren. Das wird auch gegen Populisten helfen.

Von Dennis J. Snower

Deutschland ist eben doch nicht so außergewöhnlich wie gedacht. Das war der Tenor vieler Kommentare aus dem Ausland, als das Ergebnis der Bundestagswahl feststand. Auch hier legen Populisten und rechte Parteien zu, weil Menschen ihre Interessen bislang vernachlässigt und ihre Zukunftschancen schwinden sehen. Und tatsächlich: Auch hierzulande empfinden offenbar viele Menschen eine globalisierte und digital vernetzte Welt mit offenen Gesellschaften als Bedrohung ihres Lebensmodells. Sie fühlen sich in einer solchen Welt machtlos, und die Ablehnung der Flüchtlingspolitik ist dafür nur ein Ventil. Man wählt aus Frust AfD.

Eine Politik, die dem entgegenwirken will, muss versuchen, Menschen zu befähigen, Arbeit und Privatleben in einer digitalisierten und global vernetzten Welt souverän gestalten zu können. Digitalisierungspolitik darf nicht nur Infrastruktur und digitale Sicherheit umfassen, sie muss die Förderung von Fähigkeiten ausbauen, die Menschen den Computern und Maschinen voraus haben. Digitalisierung greift in praktisch alle Lebensbereiche ein: Sekundenschneller Datenaustausch, Robotik, künstliche Intelligenz - digitale Technologien haben sich längst im privaten und geschäftlichen Alltag etabliert. Sie zwingen Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle grundlegend zu überdenken. Gleichzeitig ermöglichen sie Innovationen, die gute Wachstumschancen bieten. Die industrielle Produktion und auch der Dienstleistungssektor verändern sich massiv. Routine-Jobs werden obsolet - Roboter und Computer übernehmen diese und ersetzen die Menschen. Auf der anderen Seite bringt die Digitalisierung neue, hochwertige Tätigkeiten mit sich. Doch diese erfordern entsprechende Qualifikationen.

Das Problem: Die Digitalisierung steigert die Produktivität von Maschinen in Hochgeschwindigkeit, während Menschen länger brauchen, um ihre Fähigkeiten und Ziele anzupassen. Sie dabei zu unterstützen, ist eine staatliche Aufgabe. Diese besteht darin, jene Fähigkeiten zu fördern, die so etwas wie menschliche Kernkompetenzen sind und die keine Maschine, kein Computer, kein Roboter auf absehbare Zeit ersetzen kann: Soziale Kompetenzen wie Kreativität, Teamarbeit und Einfühlungsvermögen sind Alleinstellungsmerkmale von Menschen, die ausgebaut werden müssen, um die Digitalisierung zu bewältigen.

Konkret geht es eben nicht mehr vorrangig darum, Menschen Routinetätigkeiten und theoretisches Wissen beizubringen. Das sind genau die Fähigkeiten, die in nächster Zeit obsolet werden. Vielmehr müssen sich Aus- und Weiterbildung auf eine Kombination aus sozialen und technischen Kompetenzen konzentrieren. Gerade in technischen Berufen wird es künftig darauf ankommen, analytische und kreative Fähigkeiten mit hoher sozialer Kompetenz zu verknüpfen. Eine Entwicklung übrigens, die Frauen in die Hände spielen dürfte, denn sie verfügen häufig über eine höhere Sozialkompetenz als Männer.

Wer über kulturelle Grenzen hinausblicken kann, hat einen Wettbewerbsvorteil

Zugleich muss auch Beweglichkeit besser trainiert werden, denn Güter und Dienstleistungen werden künftig individueller für spezifische Kunden angeboten. Wer nur Optimierung und Standardisierung beherrscht, wird scheitern. Anpassungsfähigkeit und Kreativität sind auch in der sich neu organisierenden Arbeitswelt wichtig. Mit der Digitalisierung lässt sich das Arbeiten in weltumspannenden Netzwerken organisieren. Hier werden jene im Vorteil sein, die sich schnell auf neue Situationen einstellen können. Zugleich müssen die Arbeitskräfte von morgen globale Zusammenhänge deutlich besser erkennen und über kulturelle Grenzen hinweg agieren können. Die globale Wirtschaft macht es notwendig, unterschiedliche kulturelle Perspektiven einzunehmen.

Wie wichtig Sozialkompetenz ist, hat auch die OECD erkannt, die diese in die Pisa-Studien integrieren will. Damit werden soziale Kompetenzen mess- und vergleichbar.

Doch wie soll dieses lebenslange Lernen finanziert werden? Mittelfristig wäre es sinnvoll, das deutsche Sozialsystem komplett umzubauen und Sozialkonten zu schaffen, auf die anstelle von Steuern und Abgaben ein nach Alter und Einkommen gestaffelter Beitrag überwiesen wird. Daraus würden dann Ausgaben für Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung und eben Weiterbildung finanziert. Jeder wüsste, dass das auf sein Sozialkonto eingezahlte Geld ihm zusteht, wenn er es braucht. Die Konten der Wohlhabenden könnten besteuert und die der weniger Wohlhabenden subventioniert werden - auf diese Weise könnte jedes politisch gewollte Maß an Umverteilung gewährleistet werden. Eine staatliche Extra-Förderung für digitale Weiterbildung könnte natürlich auch auf die Sozialkonten der Menschen fließen.

Zumindest in Sachen Finanzierung findet sich in den Wahlprogrammen der Parteien einiges: Teile von CDU und CSU plädieren für einen Rechtsanspruch auf geförderte Bildungsteilzeit und einen steuerfinanzierten Grundzuschuss für Beschäftigte, die für Weiterbildung ihre Arbeitszeit reduzieren - analog zum Elterngeld. Ganz ähnlich funktioniert das "Bildungszeit Plus" genannte Konzept der Grünen: Hier soll die Weiterbildung im digitalen Zeitalter mit einer auf die jeweilige Einkommenssituation zugeschnittene Mischung aus Darlehen und Zuschuss finanziert werden.

Die FDP verfolgt hingegen das Konzept des sogenannten Bildungssparens: Nach dem Vorbild von Bausparverträgen sollen die Menschen Bildungssparverträge abschließen, um Geld für die Finanzierung von Aus- und Weiterbildung zurückzulegen und so das lebenslange Lernen zu fördern. Jeder Euro, den die Menschen dort einzahlen, würde vom Staat bezuschusst. Die SPD hat ein "persönliches Erwerbstätigenkonto" mit 20 000 Euro Guthaben für jeden Erwachsenen beim Start ins Arbeitsleben zum Ziel. Das Konzept werden die Sozialdemokraten jetzt wohl nicht umsetzen können. Einkommensausfälle bei Qualifizierung und Weiterbildung, Existenzgründung oder ehrenamtlichem Engagement sollen so kompensiert werden.

Diese Konzepte zeigen, dass der steigende Bedarf an Aus- und Weiterbildung in einer digitalisierten Welt prinzipiell erkannt wurde. Aber es ist die Auswahl der geförderten Kompetenzen, bei der ein Umdenken stattfinden muss: Nur durch hochwertige Weiterbildung mit einem Fokus auf spezifisch menschliche Kompetenzen und auf Kenntnisse globaler Zusammenhänge und Abhängigkeiten kann Deutschland seine Stärke erhalten. Wenn Menschen befähigt werden, in einer sich verändernden Welt souverän zu agieren, werden sie sich auch nicht von Isolationismus und Nationalismus verführen lassen.

© SZ vom 09.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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