Außenansicht:Die neue Macht der Manipulation

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Der Informatiker Sandro Gaycken, 42, war lange aktiv im Chaos Computer Club und berät heute Unternehmen und Institutionen wie die Nato in Fragen der Cybersicherheit. (Foto: Privat)

Google und Facebook können die Meinung ihrer Nutzer beeinflussen. Das ist gefährlich.

Von Sandro Gaycken

Demokratie und Internet sind immer weniger miteinander zu vereinbaren. In totalitären wie demokratischen Staaten nehmen die Zensur von Inhalten und die massenhafte Überwachung der Nutzer zu; Desinformation und Propaganda entwickeln sich mehr und mehr zu effektiven antidemokratischen Instrumenten.

Gegenwärtig wird ein Effekt als neue große Bedrohung diskutiert: der SEME (Search Engine Manipulation Effect). Er wird seit 2012 von Robert Epstein vom American Institute for Behavioral Research and Technology erforscht. Epstein konnte nachweisen, dass die gezielte Manipulation der Ergebnisse von Websuchen zu politischen Themen in Suchmaschinen eine Meinungsänderung zugunsten des Manipulators bewirkt. Eine sehr effektive Art der Beeinflussung, wie es scheint: Mehr als ein Viertel der Suchenden änderten ihre Haltung. Einzelbewertungen wie zum Beispiel zum Fracking konnten ebenso modifiziert werden wie das Wahlverhalten im Ganzen. Und alles völlig unbewusst; kaum ein Proband hat Manipulationen auch nur vermutet. Denn das Internet und seine Suchmechanismen werden als objektive Instanzen erachtet, Ergebnisse von Google oder Yahoo als vollkommen neutral.

Ob die Algorithmen aber wirklich unabhängig sind, weiß niemand. Sie sind streng geheim. So verschaffen sie den Betreibern eine enorme Macht.

Das wohl mächtigste Unternehmen dieser Art ist Google. Mit seinen gigantischen Marktanteilen hätte der Konzern ein De-facto-Monopol auf die Meinungsbildung in den meisten Ländern. Vermeintliche Alternativen sind zudem oft keine: Die Kosten für das Crawlen des stetig wachsenden Internets, des Suchens nach Begriffen und Kontexten, sind drastisch gestiegen, sodass viele andere Suchmaschinen ihre Daten mit Google verbinden. Das jüngste Beispiel ist Yahoo. Wer dort versucht, einer möglichen manipulativen Macht von Google zu entkommen, surft doch nur wieder auf Google.

Epstein mutmaßte unlängst sogar, dass der demokratische Prozess durch Google längst manipuliert werde. Hillary Clinton hat im April 2015 Stephanie Hannon von Google als Chief Technical Officer engagiert. Kurz darauf eröffnete Eric Schmidt, CEO von Google, eine Firma mit dem Namen "The Groundwork" und dem erklärten Ziel, Clinton zur Präsidentin zu machen. Was genau dort passiert, weiß kaum jemand. Aber wenn Google die Macht seiner Algorithmen einsetzt, könnten viele Millionen nicht fest entschlossene Wähler völlig unbewusst zu Clinton-Anhängern manipuliert werden.

Mit dem Newsfeed wurde bereits die Stimmung großer Gruppen erfolgreich verändert

Auch bei Facebook entsteht eine Variante einer Manipulationsmaschine. Die Firma bietet seit einiger Zeit gezieltes politisches Marketing an. Trump etwa hat das gebucht. Von Facebook als "politisch moderat" gelabelte Personen erhalten seit einiger Zeit deutlich mehr und für die Zielgruppe feingeschliffene Werbung des Republikaners. Aber einfache Werbung durch Einblendungen oder Post Booster muss dabei nicht alles sein.

Im Fall von Facebook liegen die perfiden Untiefen stärker in der Macht der Profilbildung und der assoziativen Manipulation. Der Konzern kann mit seinen eigenen, ebenfalls unbekannten Algorithmen leicht politische Profile über seine Nutzer anlegen. Der Vergleich der Profile ermöglicht dann die Identifikation weiterer Korrelationen zwischen anderen Interessen und von dort neue Rückschlüsse auf politische Haltungen. Da der Algorithmus auf allen Daten arbeitet, quer über alle Links und Likes, ergeben sich gigantisch viele Korrelationen. Viele Tausend Datenpunkte können entstehen und die genaue Struktur und Rangfolge politischer Interessen abbilden. Die Präzision könnte so hoch sein, dass die Profile bereits als Unterwanderung des Wahlgeheimnisses erachtet werden könnten. Vor allem ergeben sie aber viele und unendlich feine und subtile Optionen der Beeinflussung, die in der hohen Dynamik sozialer Medien sogar stetig gemessen und verbessert werden können.

Technische Ansatzpunkte gäbe es viele. Der Facebook-Newsfeed wurde in Experimenten bereits erfolgreich genutzt, um Stimmungen großer Gruppen zu verändern, und könnte politisch manipulativ eingesetzt werden. Erst im Mai dieses Jahres berichteten Facebook-Angestellte, dass sie tatsächlich implizit dazu angehalten würden, konservative Nachrichten zu unterdrücken. Ein Gerücht, das sich jedoch nicht bestätigen ließ. Die effektivste Technik zur Manipulation dürften aber die Filter sein, die Posts nach Präferenzen vorsortieren oder frei suggerieren oder einfach nur Sequenzierungen aufbauen. Auf der Basis des Wissens über assoziierte Interessen können sogar durch scheinbar apolitische Informationen spezifische Haltungen intensiviert werden. Bekannte psychologische Effekte wie der Ankereffekt, die illusionäre Korrelation oder das Anpassen an die Meinung einer Referenzgruppe treten automatisch zugunsten solcher assoziativen Manipulationen ein. Und wie bei Google wäre die Manipulation weder wahrnehmbar noch prüfbar.

Die Demokratie hat also ein weiteres, ein neues Problem mit dem Netz: Die politische Kommunikation im Sinne von Habermas ist schwer deformiert. Der herrschaftsfreie Diskurs mit seinen hohen Ansprüchen an objektive Wahrheit, normative Richtigkeit und subjektive Wahrhaftigkeit hat natürlich nie wirklich existiert. Aber die Wahl einer politisch voreingestellten Zeitung oder eines Stammtisches ist immerhin noch eine eigene Wahl in der Beschränkung der objektiven Wahrheit. Die neuen, hoch granularen, zentralisierten Möglichkeiten der gezielten und vollkommen unsichtbaren, unkontrollierbaren politischen Manipulation dagegen sind etwas völlig anderes - eine diabolische Verrenkung demokratischer Meinungsbildung.

Die Demokratie und ihre Institutionen müssen dagegen angehen. Die Algorithmen und Geschäfte der Datenkonzerne müssen transparent sein und überprüfbar werden. Unabhängiges, geprüftes Wissen muss verstärkt angeboten werden. Für solche Maßnahmen muss sich die Netzpolitik allerdings erst zu einer Netz-Realpolitik entwickeln. Sie ist immer noch zögerlich bei der Regulierung der Datenmächte. Ja, die Themen sind komplex; die IT-Firmen haben Zweifel und Kritik zerstreut; die Wahlumfragen treiben andere Themen. Und demagogische Netzaktivisten beschreien den Untergang, sobald die Politik das Internet auch nur anspricht. Trotzdem muss der Gesetzgeber jetzt hart durchgreifen. Sonst verlieren wir die Kernelemente der Demokratie an das unsichtbar Böse dieser Maschine.

© SZ vom 21.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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