Außenansicht:Der Akademiker als Exportschlager

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Sebastian Wolf, 38, ist Privatdozent und Vertretungsprofessor für Politik- und Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz. (Foto: Privat)

Wer in Deutschland Professor werden will, muss lange Durststrecken auf sich nehmen.

Von Sebastian Wolf

Im Englischen gibt es den Witz, in den USA könne man nach erfolgreicher Promotion "assistant professor" (Assistenzprofessor) werden. In Deutschland hingegen reiche es nur zum Titel eines "assistant to a professor" (Assistent eines Professors). Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass man als "assistant professor" bereits ein selbständiger Wissenschaftler mit relativ klarer Zukunftsperspektive ist. Erfüllt man bestimmte Leistungskriterien in Forschung und Lehre, wird die Anstellung verlängert; nach einer festgelegten, zumindest aber absehbaren Zeit ist man entfristeter Professor oder in Großbritannien Lecturer.

Strebt man hingegen in Deutschland eine akademische Karriere an, arbeitet man meist als wissenschaftlicher Mitarbeiter und ist damit in nahezu jeglicher Hinsicht abhängig vom Lehrstuhlinhaber. Auch als Nachwuchsgruppenleiter, Junior- oder Vertretungsprofessor hat man selten eine langfristige Perspektive. Es existiert nur eine verschwindend geringe Anzahl unbefristeter Stellen unterhalb der wenigen Professuren. So sind 80 bis 90Prozent aller Wissenschaftler in Deutschland mit befristeten Verträgen beschäftigt, die oft eine Laufzeit von nur wenigen Monaten aufweisen.

Die gesetzliche Grundlage für die Tatsache, dass ein Forscher in der Bundesrepublik nicht selten ein Dutzend oder mehr befristeter Verträge anhäuft, bevor ihm (oder ihr) erst mit vielleicht 40 Jahren klar wird, dass er wie die meisten seiner promovierten Kollegen wohl nicht dauerhaft in der Wissenschaft arbeiten kann, liefert das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Dieses Gesetz ermöglicht es, vereinfacht formuliert, wissenschaftliches Personal während eines Zeitraums von im Regelfall zwölf Jahren beliebig oft befristet zu beschäftigen. Nach zunehmenden Protesten des betroffenen akademischen Prekariats (trotz ihrer Häufigkeit gelten befristete Arbeitsverhältnisse immer noch als "atypische Beschäftigungen") und verstärkter Medienberichterstattung hat die Bundesregierung erkannt, dass hier etwas getan werden muss.

Kern des kürzlich vorgelegten Entwurfs zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ist folgender Passus: "Die vereinbarte Befristungsdauer ist jeweils so zu bemessen, dass sie der angestrebten Qualifizierung angemessen ist." Zudem sollen Arbeitsverträge nur auf der Grundlage des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes befristet werden dürfen, "wenn die befristete Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung erfolgt". Diese Einschränkungen sind gemacht worden, damit die angesprochenen Kurzbefristungen nicht ohne guten Grund vereinbart werden können. So sollen beispielsweise Einjahresverträge für Doktoranden nicht mehr möglich sein. Denn wer kann schon in so kurzer Zeit eine Dissertation verfassen? Allerdings braucht man keine komplexe Gesetzesfolgenabschätzung oder die im Entwurf vorgesehene Evaluation nach vier Jahren, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass die schwarz-rote Gesetzesinitiative kein nachhaltiges Instrument darstellt.

Auch ein geändertes Gesetz wird nichts an der Praxis der Ketten- und Kurzzeitverträge ändern

Denn nach der Promotion kann man "sich auch künftig durch Erbringung weiterer wissenschaftlicher Leistungen und Tätigkeiten in der Lehre für die Übernahme einer Professur qualifizieren". Das bedeutet faktisch, dass Ketten- und Kurzzeitverträge an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen auch in Zukunft problemlos möglich sind. Sie werden weiterhin das deutsche Wissenschaftssystem dominieren und die persönlichen Lebensumstände Tausender Wissenschaftler und ihrer Angehörigen belasten. Man kann solche perspektivlosen Kurzzeitverträge nämlich stets mit der Begründung versehen, sie dienten der weiteren wissenschaftlichen Qualifizierung des Arbeitnehmers.

Maßnahmen wie die Exzellenzinitiative haben unzählige Forscher und Wissenschaftsmanager produziert, für die es nach dem Auslaufen der Drittmittel keine "Anschlussverwendung" an den Universitäten gibt. Es ist eine bittere Ironie, dass das viele zusätzliche Geld, das in den vergangenen Jahren in die Forschung geflossen ist, die Beschäftigungsperspektive etlicher Wissenschaftler eher verschlechtert als verbessert hat. Es haben vor allem jene profitiert, die ohnehin schon unbefristet beschäftigt sind und waren: die Professoren. Der Wissenschaftsforscher Caspar Hirschi sieht in Deutschland eine beispiellose und ineffiziente "Überschussproduktion von jungen Wissenschaftlern. Sie macht Deutschland beim akademischen Personal zum Exportweltmeister".

Der Bundesregierung ist freilich in einem Punkt zuzustimmen: Für die Schaffung einigermaßen verlässlicher Karrierewege in der Wissenschaft sind vor allem die Hochschulen und die Bundesländer zuständig. Weshalb die Universitäten in der Vergangenheit keine ernsthaften Versuche unternommen haben, die Lage des Mittelbaus zu verbessern, ist recht offensichtlich: Es liegt im ureigenen Interesse der Lehrstuhlinhaber und Fakultäten, das akademische Personal prekär und abhängig zu beschäftigen. Dementsprechend bilanziert Hirschi: "Eine umfassende Strukturreform der deutschen Universität wird, da können die Verhältnisse noch so absurd sein, nie aus Professorengremien heraus erfolgen."

Was könnte daher auf der zuvorderst zuständigen Landesebene getan werden? Politiker wie die baden-württembergische Bildungsministerin Theresia Bauer wollen einerseits den Universitäten mehr Freiräume geben und andererseits die Beschäftigungssituation jüngerer Forscher verbessern. Sie bemerken aber offenbar nicht das Dilemma, dass die Hochschulen in der Vergangenheit größere Spielräume nicht nennenswert genutzt haben, um den Mittelbau besserzustellen. Deshalb sollten die Länder gezielt entsprechende Anreize setzen: Ein guter Teil der langfristigen Mittelzuweisungen sollte nur dann fließen, wenn die Universitäten die Quote dauerhaft beschäftigter Dozenten unterhalb der Professur erheblich erhöhen. Das Ganze ließe sich sogar relativ kostenneutral als Wettbewerb der Lehrstühle untereinander organisieren - ein Weg, der die drittmittelversessenen Hochschulen bestimmt mobilisieren würde.

Doch aus dem etablierten Lehrbetrieb heraus ist kaum eine Initiative zu erwarten. Und die Betroffenen selbst rotieren bisher noch relativ atomisiert im akademischen Hamsterrad. So bleibt im Mittelbau der Hochschulen auch mit einem neuen Gesetz alles beim Alten. Der renommierte Soziologe und langjährige Professor Richard Münch beschrieb diese Position einmal als "die Masse der Nachwuchswissenschaftler, die in dem oligarchischen System ohne Zukunftsaussichten ausgebeutet werden".

© SZ vom 29.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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