Außenansicht:Das Unbehagen an Angela Merkel

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Markus Linden, 44, ist Politikwissenschaftler an der Universität Trier. (Foto: N/A)

Der unpolitische Regierungsstil der Bundeskanzlerin fördert bei ihren Gegnern die Neigung zum Pöbeln.

Von Markus Linden

Angela Merkels Kanzlerschaft wird seit Langem von einem Unbehagen begleitet. Auch Intellektuelle ließen sich schon zu zornigen Aussagen hinreißen. Konservative können kaum verhehlen, wie sehr es sie schmerzt, wenn eine Ostdeutsche das Wertefundament ihres Milieus an den Zeitgeist anpasst beziehungsweise über den Haufen wirft. Gertrud Höhlers Anti-Merkel-Pamphlet "Die Patin" von 2012 zeigt, wie tief der Stachel sitzt. Grenzöffnung und Homo-Ehe sind nur Fortsetzungen einer subjektiven Leidensgeschichte, die bei Höhler schon damals zu Übersprungshandlungen führte, etwa in Form sexistischer Angriffe. Männer in der CDU hielten sich bei Machtkämpfen an ungeschriebene Regeln, Merkel jedoch nicht, glaubt Höhler zu wissen. Der Medientheoretiker Norbert Bolz lässt sich zu Ähnlichem hinreißen, wenn er Merkel bescheinigt, sie sei "fleißig und diszipliniert, kinderlos, geschieden und, seien wir ehrlich, manchmal hässlich". Auf der anderen Seite des politischen Spektrums kritisiert Wolfgang Streeck das "System Merkel". Die Medien betrieben "Hofberichterstattung", und Deutschland sei geprägt durch eine "nationale Konsenskultur, die die konformistische Hinnahme auch erstaunlichster Behauptungen kollektiv obligatorisch macht".

Die Intention der Kritiker dürfte zu einem wesentlichen Teil inhaltlicher Natur sein. Der Linke Streeck kritisiert das von Merkel gestützte globale Finanzsystem. Konservativen geht es um die Erhaltung ihres Programms. Beides ist legitim, und doch kommt die Ablehnung schroff und personalisiert daher. Dafür muss es Ursachen geben. Hier geht es darum, wie überhaupt Politik gemacht wird. Ungeachtet konkreter Inhalte manifestiert sich im Regierungsstil Merkels der vorübergehende Erfolg des Apolitischen.

Die Homo-Ehe ist nur das jüngste Beispiel für Merkels Ignoranz gegenüber den hergebrachten Institutionen Parlament, Partei und Programm. Die Kanzlerin setzt schlicht den demoskopisch ermittelten Mehrheitswillen um. Nach der Reaktorkatastrophe in Japan war die alte Position zur Kernkraft nicht mehr mehrheitsfähig. An der Grenze abgewiesene syrische Familien wären im Herbst 2015 nicht vermittelbar gewesen. Was Martin Schulz verzweifelt als "Anschlag auf die Demokratie" bezeichnet hat, es untergräbt den politischen Prozess, dessen Wesen doch die konflikthafte Auseinandersetzung ist. Andererseits folgt diese Regierungsweise aber einer Logik, die populäre Floskeln wie "nah bei den Menschen sein" auszeichnet. Warum nicht das Mehrheitsfähige tun? Warum die Politik im Parlament skizzieren, zur Diskussion stellen, und danach vielleicht implementieren, wenn man mittels Brigitte-Talk und Anne Will lenken und vollziehen kann? Warum offen streiten, wenn die Ergebnisse demoskopischer Analyse sich als Vernunft verkaufen lassen, wenn Vernunft und Moral gut kommunizierbar sind und sich in den meisten Fällen auch mit Merkels einzig identifizierbarem Grundwert vertragen: dem Glauben an ökonomische Freiheit und freien Handel?

Politik zeichnet sich durch Alternativen und Optionen aus - normalerweise

Aus der Perspektive einer politischen Theorie, die sich dem Pluralismus verpflichtet fühlt und etwa bei den Arbeiten des Politikwissenschaftlers Ernst Fraenkel (1898 - 1975) ansetzt, sieht die Bewertung dieser Mehrheitskanzlerschaft indes anders aus. Die Begradigung von Alternativen in Form großer Koalitionen und abgeräumter Wahlkampfthemen ist demnach grundsätzlich apolitisch und desintegrativ, denn Politik zeichnet sich durch öffentliche Konflikte und Optionen aus. Fraenkel kritisiert nicht zuletzt die Außerkraftsetzung der innerparteilichen Demokratie. Erika Steinbach hatte einen solchen Vorwurf in der Bundestagsdebatte zur Homo-Ehe an Merkel gerichtet. Der Bundestagspräsident rüffelte sie dafür. Norbert Lammert erinnerte Steinbach an das freie Mandat. Konsequenterweise hätte er Merkel rügen müssen, denn die hatte die Abstimmung schließlich für die Fraktion freigegeben. In ihrem Interview mit jungen Youtubern inszenierte sich Merkel gar als positive Agendasetzerin, obwohl sie gegen die "Ehe für alle" stimmte.

Das Problem der theoretischen Kritik ist, dass Merkels Regierungsstil scheinbar funktioniert. Man sieht sich leicht dem Vorwurf ausgesetzt, gegen Windmühlen zu kämpfen und aus der Zeit gefallenen Idealen anzuhängen. Realisten argumentieren so, aber auch Vertreter einer Politikauffassung, bei der ungewohnten Positionen schnell das Etikett "populistisch" angehängt wird. Hat Merkel den Populismus nicht auf ihre unpolitische Art weitgehend demaskiert? Ist nicht der Versuch von Martin Schulz gescheitert, subjektiv empfundene Gerechtigkeitslücken gegen die Orientierung am ökonomischen Gesamtnutzen ins Feld zu führen? Hat sich der konfliktive Pluralismus überlebt?

Die Antwort lautet: Nein. Es sind die repräsentierten Alternativen, die Politik ausmachen, politische Handlungsmöglichkeiten schaffen und die Eindämmung vermeintlicher ökonomischer Zwänge ermöglichen. Die Vermittlungsebene der Parteien, Fraktionen und innerparteilichen Strömungen ist dafür unerlässlich. Letztlich werden politische Milieus dadurch nicht nur abgebildet, sondern auch strukturiert und in Dialog gebracht. Ohne Politik keine politische Integration.

Die Euro-, nicht die Flüchtlingskrise war die Geburtsstunde der AfD. Es war die Zeit, in der der Parlamentarismus unter exekutivem Druck eilige Entscheidungen traf. Die FDP führte zwar eine Mitgliederbefragung durch, aber von Seiten der Führung wurde die innerparteiliche Debatte auch bei den Liberalen als Makel betrachtet. Der Populismus ist eine Folge der Konsenspolitik und der mangelnden Zurechenbarkeit, denn schließlich waren aus Bürgersicht meistens alle dafür, egal für was. So entsteht der Eindruck eines Parteienkartells. Dass die AfD auf Bundesebene stagniert, liegt an der gemäßigten politischen Kultur des Landes. Trotzdem bleibt die politische Integration des Landes prekär, denn der kollektive Antipopulismus ist kein Ersatz für klar zu identifizierende parteipolitischer Konflikte.

Deshalb gibt es eine Parallele zwischen der Intellektuellenkritik an Merkel und der Bevölkerungswut: Man überzieht. Die Neigung zum Pöbeln wächst, wenn der politische Prozess die Debatte in vermittelnden Institutionen überspringt. Derselbe Effekt ist bei Intellektuellen feststellbar, die sich überfahren fühlen. Diesen Kritikern sei geraten, sich eher auf die politischen Verfahrensweisen denn auf die Politikinhalte zu beziehen. Ansonsten gerät das Problem einer zunehmend apolitischen Regierungsweise aus dem Blick - und man wirkt nur noch beleidigt.

© SZ vom 13.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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