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Die Parteien führen zwar einen Rentenwahlkampf, haben dafür aber keine langfristigen Konzepte anzubieten.

Von Franz Ruland

Für die Sicherung der Renten sind Konzepte notwendig, die weit in die Zukunft reichen. Nach 2020 wird die Bevölkerung Deutschlands sehr schnell altern. 2045 kommen bereits 55 über 65-Jährige auf 100 20- bis 64-Jährige, heute sind es noch 34. Deswegen wird nach Berechnungen des Arbeitsministeriums der Beitragssatz von heute 18,7 auf 23,6 Prozent steigen, das Rentenniveau vor Steuern von 48 auf 41,7 Prozent sinken. Diese Entwicklung geht auch noch nach 2045 weiter. Um gegenzusteuern, sollten, wegen der nötigen Übergangszeiten, die Entscheidungen in der nächsten Legislaturperiode fallen.

Die große Koalition hat trotzdem 2014 mit der "Rente ab 63" und der erweiterten "Mütterrente" die Rentenfinanzen langfristig weiter belastet und so das Problem noch vergrößert. Auch die Angleichung des Rentenrechts in den neuen Bundesländern kostet die Rentenversicherung viel Geld. Aus dem Versprechen von Andrea Nahles, der Bund werde die Kosten tragen, wurde nichts. Er beteiligt sich wie bei der "Mütterrente" nur marginal.

Keine der Parteien stellt in ihren Wahlprogrammen in Rechnung, dass die Rente langfristige Perspektiven braucht. Die Programme haben - wenn überhaupt - einen zu begrenzten Zeithorizont. Nur das dem Programm der SPD zugrunde liegende Papier des Bundesarbeitsministeriums rechnet bis 2045. Doch beschränkt sich die SPD auf die Zeit bis 2030. Für nachhaltige Lösungen ist das zu kurz, weil die Wirkungen der zum Teil sehr teuren Vorschläge auf die Zeit nach 2030 ausgeblendet werden. So schont man die Älteren und belastet die Jüngeren.

Keine Partei hat den Mut, unangenehme Wahrheiten auszusprechen. Dazu gehört die Notwendigkeit, die Altersgrenzen an die um bis zu fünf bis sechs Jahre weitersteigende Lebenserwartung anzupassen. Es ist dies der nicht einfache, aber einzig sinnvolle Weg, das Sinken des Rentenniveaus und den Anstieg des Beitragssatzes in Grenzen zu halten. Die durchschnittliche Rentenbezugsdauer hat sich seit 1960 auf 20 Jahre verdoppelt und wird sich mit der Lebenserwartung weiter verlängern. Das kann nicht ausschließlich zulasten der Beitragszahler gehen. Auch führen mehr Versicherungsjahre zu höheren Renten, mit denen Versicherte das Sinken des Rentenniveaus auffangen können. Deshalb darf eine weitere Erhöhung der Altersgrenze kein Tabu sein.

Für die SPD und die Linken aber ist es ein Tabu , die anderen Parteien schweigen. Die SPD will stattdessen das Rentenniveau durch eine "Haltelinie" sichern, nach der es bis 2030 nicht unter 48 Prozent sinken soll. Damit wegen der hohen Kosten der Beitragssatz nicht zu sehr steigt, soll er bei 22 Prozent gedeckelt werden. Da das nicht reicht, soll der Bund die fehlenden Mittel in Milliardenhöhe als "Demografiezuschuss" tragen. Die Rechnung wird nicht aufgehen. Noch nie ist, zumal bei solchen Summen, das Versprechen eingelöst worden,dass Leistungsverbesserungen bei der Rente aus der Kasse des Bundes bezahlt werden. Dies gilt künftig umso mehr, als der Bundeszuschuss, ebenso wie der Beitragssatz, ohnehin deutlich steigen wird. Außerdem erhöhen sich wegen des Alterns der Bevölkerung die Kosten von Kranken- und Pflegeversicherung. Auch bei vielen anderen Themen muss der Fiskus damit klarkommen, dass sich die Bevölkerung im Erwerbsalter von heute 50 Millionen bis 2060 auf 36 Millionen verringern wird. Der Forderung nach einem noch höheren Bundeszuschuss wird daher sofort die Forderung entgegengehalten werden, den Anstieg der Ausgaben und des Beitragssatzes durch eine Hebung der Altersgrenze zu begrenzen. Stets hat sich bisher die Finanzpolitik gegenüber der Sozialpolitik durchgesetzt.

Ohne eine höhere Altersgrenze ist die Rente nicht zu sichern

Ohne den höheren Bundeszuschuss aber ist das Konzept der SPD nicht realisierbar. Dies gilt noch mehr für das Konzept der Linken, die das Rentenniveau bei 53 Prozent stabilisieren und die Altersgrenze auf 65 Jahre zurückführen wollen. Sie sind, da sich für sie kein Koalitionspartner abzeichnet, am freiesten, mit Versprechen zu werben, die sie nicht zu halten brauchen.

Käme es zu einer Neuauflage der schwarz-gelben Koalition, wäre deren rentenpolitischer Kurs schwer vorherzusagen. Nach Meinung der Bundeskanzlerin ist die Rentenversicherung bis 2030 gut aufgestellt; die Weiterentwicklung für die Zeit danach soll in einem parteiübergreifenden gesellschaftlichen Konsens unter Einbeziehung der Tarifpartner geregelt werden, wofür eine Rentenkommission bis 2019 Vorschläge unterbreiten soll. Das Eingeständnis, inhaltlich kein Konzept zu haben, verspricht nichts, schließt auch nichts aus. Beschrieben wird abgesehen davon, dass die Rente zentraler Pfeiler der Altersvorsorge bleiben soll, nur das Vorgehen. Die FDP will die Höhe der Renten von der durchschnittlichen Lebenserwartung abhängig machen und so einen fairen Ausgleich zwischen den Generationen schaffen. Außerdem solle die Altersvorsorge "nach dem Baukastenprinzip organisiert" werden. Betriebliche und private Vorsorge müssten daher attraktiver werden, auch weil das Rentenniveau zu berücksichtigen hat, dass die Bevölkerung altert. Alle Details bleiben offen. Schon deshalb ist nicht absehbar, wie die am Status-quo orientierte CDU und die eine Neugestaltung propagierende FDP sich auf ein gemeinsames Regierungsprogramm einigen werden.

Auf die Diskussion, ob Altersarmut künftig steigt, reagieren nur die Linken und fordern eine Mindestrente von 1 050 Euro für jeden. Details und insbesondere Finanzierung bleiben offen. Die SPD variiert die von der CDU entwickelte, aber gescheiterte Idee einer "Lebensleistungsrente" zur "Solidarrente", die ebenso wie die "Garantierente" der Grünen etwas oberhalb der Grundsicherung liegen soll. (Nur) wer jahrzehntelang versichert war, soll im Alter nicht zum Sozialamt müssen. Ordnungspolitisch richtig soll die "Solidarrente" aus Steuermitteln finanziert werden. Auch Ursula von der Leyen hatte dies seinerzeit als Arbeitsministerin versprochen, das Versprechen aber schnell wieder zurücknehmen müssen. Haupteinwand ist, dass es mangels Daten auf Jahrzehnte nicht ausgeschlossen werden kann, dass überwiegend Menschen die Solidarrente erhalten, die nur geringfügig gearbeitet haben. Freibeträge bei der Grundsicherung wären daher der bessere Weg.

So hat, weil tragfähige Konzepte fehlen, die von der CDU vorgeschlagene Rentenkommission wohl die meisten Chancen. Ob ihr dann wie bei den Rentenreformen 1957 und 1989 eine Lösung im gesellschaftlichen Konsens gelingt, muss, weil sich die Fronten verhärtet haben, bezweifelt werden. Gut wäre es, weil nur so das Vertrauen in die Rentenversicherung gestärkt würde.

© SZ vom 14.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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