Persönliche Aufzeichnungen aufgetaucht:Einblicke in die Gefühlswelt Bowe Bergdahls

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Überforderter Soldat? Bowe Bergdahl in Gefangenschaft der Taliban (Archivfoto) (Foto: AP)

War Bowe Bergdahl ein verantwortungsloser Deserteur? Eine gute Freundin hat E-Mails und Tagebucheinträge des US-Soldaten veröffentlicht - die ein anderes Bild zeichnen.

Wenige Tage nachdem Bowe Bergdahl am 30. Juni 2009 seinen Außenposten in Afghanistan auf eigene Faust verlassen hatte, traf ein Päckchen bei Kim Harrison, einer langjährigen Freundin des US-Soldaten, ein. Darin: ein Laptop, der Roman "Atlas wirft die Welt ab" von Ayn Rand, ein beschädigter E-Book-Reader, Militärpapiere und ein blaues Notizheft. Der Inhalt des Päckchens sowie die Postings aus einem Facebook-Account, den die Nachrichtenagentur AP aufgespürt hat und der Bergdahl zugeschrieben wird, zeigen neue Facetten des jungen Mannes, der sich fünf Jahre lang in der Gewalt der Taliban befand und kürzlich im Tausch gegen afghanische Guantanamo-Häftlinge freigelassen wurde.

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Die Tagebucheinträge und E-Mails aus Bergdahls Computer, die Harrison nun an die Washington Post weitergegeben hat, stammen aus der Zeit zwischen dem 11. Juni 2008 - dem Beginn seiner Grundausbildung in Georgia - und Juni 2009, als der Soldat verschwand. Sie zeichnen das Bild eines Menschen, der sich große Sorgen macht. So schreibt er beispielsweise über Ängste vor seinem Einsatz:

"I'm worried. The closer I get to ship day, the calmer the voices are. I'm reverting. I'm getting colder. My feelings are being flushed with the frozen logic and the training, all the unfeeling cold judgment of the darkness."

Seine Verzweiflung formuliert er etwas später nochmal:

"Trying to keep myself together. I'm so tired of the blackness, but what will happen to me without it. Bloody hell why do I keep thinking of this over and over."

Und kurz vor seinem Verschwinden schickte Bergdahl eine E-Mail. Darin spricht er davon, von der Armee wegzugehen, vielleicht nach China.

Schon im Jahr 2006 hatte Bergdahl Probleme. Damals legte er die Grundausbildung bei der Küstenwache ab, die in den Vereinigten Staaten Teil der US-Streitkräfte ist. Er brach die Ausbildung nach 26 von 180 Tagen ab. Um die Gründe dafür gibt es lediglich Spekulationen, deren Wahrheitsgehalt sich schwer überprüfen lässt. Freunden zufolge sprach er davon, psychische Probleme vorgetäuscht zu haben, um aus dem Dienst entlassen zu werden. Die Bekannten sagen allerdings, ihrer Meinung nach hätte er diese Probleme wirklich gehabt. Die Küstenwache äußert sich nicht.

Zwei Jahre später ließ sich Bowe Bergdahl an der Infanterieschule von Fort Benning im US-Bundesstaat Georgia ausbilden. In dieser Zeit begann er mit den jetzt veröffentlichten Aufzeichnungen in dem blauen Notizblock. Wolf, Hund, Köter sei er seit seiner Kindheit genannt worden, schreibt Bergdahl auf den ersten Seiten. Er sei dazu bestimmt, als Wächter "am Rand der Welt" zu leben. Wofür diese Bilder stehen, ist unklar. Etwas später hält er fest: "Es ist wahr, der Job eines Soldaten ist es, zu sterben."

Vor seiner Abreise nach Afghanistan fertigt er Listen an wie "Movies 4 My Insanity" (Filme für meinen Wahnsinn), darauf "Hausboot" mit Cary Grant, "Das Schweigen der Lämmer" und "Der Englische Patient". Er beschreibt, wie er ohne Flugzeuge durch die ganze Welt reisen und Sprachen lernen wolle. Außerdem verfasste er Ideen für Geschichten, unter anderem über einen "verrückt werdenden Typen, der alleine durch die Welt wandert."

Facebook-Seite mit Kriegs-Notizen

Kein Wort findet sich in seinen Aufzeichnungen über die Taliban, kein Wort über die Politik in Afghanistan - dafür allerdings Bemerkungen zum Kriegsalltag: "Verglichen mit der Hölle vergangener Kriege sind wir nicht mehr als Pfadfinder. Wir verstecken uns vor Kindern hinter unseren hochbewaffneten Militärtrucks (...) und wir reden uns selbst ein, dass wir keine Feiglinge sind." Kurz vor seinem Verschwinden in Afghanistan bezeichnete er sich selbst als "einsamen Wolf".

Frustration zeigt sich auch auf seiner Facebook-Seite, die die Nachrichtenagentur AP ausfindig gemacht hat (und die mittlerweile nicht mehr zugänglich ist). Auf Facebook war Bergdahl demnach unter dem Namen "Wandering Monk" (Wandernder Mönch) aktiv. Sein letzter Post wurde dem Bericht zufolge am 22. Mai 2009 veröffentlicht - wenige Tage, bevor er verschwand. Darin ging es um eine Mission in den afghanischen Bergen, bei dem feindliche Angreifer auf die Soldaten schossen. Bergdahl schrieb über fehlende Unterstützung:

"Because commands were too stupid to make up there minds of what to do, we where left to sit out in the middle of no where with no support to come till late morning the next day. ... But Afghanistan mountains are really beautiful!"

Seine gute Freundin Harrison hat ihr eigenes Urteil über Bergdahl und die Armee gefällt: "Er ist das perfekte Beispiel für jemanden, der besser nicht in den Krieg gezogen wäre", sagte sie, die nach Bergdahls Willen auch seine sterblichen Überreste bekommen sollte, der Washington Post. Sie hat die Dokumente an die Zeitung weitergegeben, um der Öffentlichkeit ein anderes Bild von Bowe Bergdahl zu bieten. Zuletzt hatte es immer wieder Spekulationen gegeben, der Soldat sei desertiert, sogar von Sympathien mit Islamisten war die Rede.

In seinen Aufzeichnungen erscheint Bergdahl in der Tat nicht als verantwortungsloser Deserteur sondern eher als ein hin und her gerissener, vielleicht sogar ziemlich unglücklicher junger Mann. Was genau am Tag seines Verschwindens geschah, das erzählen weder die E-Mails und Tagebucheinträge, noch der Geheimbericht des amerikanischen Militärs und die Facebook-Seite. Das wird nur Bowe Bergdahl selbst erzählen können.

Doch der 28-Jährige wird noch im amerikanischen Militärkrankenhaus im rheinland-pfälzischen Landstuhl behandelt. Wann er befragt werden kann, ist unklar. Auch ein Zeitpunkt für seine Rückkehr in die USA ist nicht terminiert. Sein Zustand, so heißt es zurückhaltend aus dem Krankenhaus, sei allerdings stabil.

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