Aufstand der Araber:Tag des Herrn, Tag des Zorns

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Von Tunis über Kairo bis nach Amman: Auch in Jordanien treibt die Wut die Menschen hinaus auf die Straße. Sie eint der Schlachtruf: "Wir wollen den Wandel." Das gilt aber nur für die Regierung. Nicht für den König.

Peter Münch, Amman

Die Gläubigen blicken in der altehrwürdigen Al-Husseini-Moschee noch gen Mekka, da sammeln sich draußen schon die Demonstranten. Auf Pappschilder haben sie ihre Slogans geschrieben: für politischen Wandel, gegen Korruption, gegen den Friedensvertrag mit Israel. Ein paar hundert sind es, die dem kalten Regen trotzen, nicht mitgerechnet die Herren vom Geheimdienst, aber die bleiben bei diesem Sauwetter sowieso lieber in ihren Autos sitzen. Es ist ein Freitag in der neuen Zeit, in der arabischen Welt geht man zum Gebet und zum Protest.

Vor dem Sitz des neu eingesetzten jordanischen Ministerpräsidenten fordern Demonstranten demokratische Reformen. (Foto: REUTERS)

Der Tag des Herrn ist nun der Tag des Zorns. Auch in Amman. "Was in Tunesien und Ägypten passiert, ist eine große Motivation für uns", sagt Nihad Suher, ein Student, der zu den Organisatoren dieser Demonstration gehört. "Seit vier Wochen protestieren wir hier schon jeden Freitag." Verkrustet sind sie schließlich alle, die Regime von Tunis über Kairo bis nach Damaskus und Amman. Überall haben die Menschen die gleichen Sorgen, überall treibt sie die gleiche Wut. Die Jugend findet keine Jobs, die Familien drückt die Last der steigenden Preise, und wirkliche politische Mitsprache wird nirgends gewährt. Seit Jahrzehnten schon riecht alles modrig und verbraucht. Doch plötzlich gibt es Luft zum Atmen - draußen auf den Straßen und den Plätzen. Deshalb treibt es jetzt auch in der jordanischen Hauptstadt ganz unterschiedliche Menschen hinaus zum Protest: den linken Studenten Nihad Suher, den islamistischen Gewerkschaftsführer Abdul Hadi Falachad und auch den knorrigen Anwalt Samir Khirfan.

Sie alle fordern nun den Wandel, jeder beruft sich auf das Beispiel der Brüder in Ägypten. Doch so sehr sich die Parolen ähneln - die Ziele sind nicht immer gleich. Und Amman ist nicht Kairo.

Zum Protest vor der Moschee im Stadtzentrum haben sieben Jugendorganisationen und linke Gruppierungen aufgerufen. Es trifft sich die Generation Facebook, die jungen Frauen tragen enge Hosen und auf dem Kopf höchstens einen Regenschutz. Vergangene Woche sollen es noch 5000 bis 10.000 Menschen gewesen sein, die anschließend durch die Talal-Straße zogen. Doch dass es heute so wenige sind, hat nicht nur etwas mit dem Wetter zu tun. Viele Gründe gibt es dafür - einer ist die Zersplitterung des Protests. Denn die größere Demonstration findet an diesem Freitag ein paar Kilometer entfernt vor dem Amtssitz des Premierministers statt.

Hier wogt am Mittag ein Meer von roten und von grünen Fahnen, denn zum Protest gerufen haben ein linkes Parteienbündnis und die Islamische Aktionsfront, der politische Ableger der Muslimbruderschaft. Zusammen haben sie immerhin mehr als tausend Demonstranten auf die Beine gebracht. Die Männer marschieren lautstark vorneweg, ein paar verschleierte Frauen folgen am Ende des Zuges. Sie alle eint der Schlachtruf, der nun mitten im Regierungs- und Botschaftsviertel erschallt: "Wir wollen den Wandel." Sie verlangen Neuwahlen sowie Reformen in der Politik und in der Wirtschaft des Landes. Ein Massenprotest aber ist das noch nicht.

Und dass es so weit zumindest bis jetzt noch nicht gekommen ist, liegt vor allem an einem Mann: am König, Seiner Majestät Abdallah II. Für ihn ist dies eine Woche der Herausforderungen gewesen, auf die er gewiss gern verzichtet hätte, zumal es doch eigentlich so viel Anlass zur Freude gab: den 49. Geburtstag des Herrschers am vorigen Sonntag, und dazu noch an diesem Sonntag das zwölfte Thronjubiläum. Doch zum Feiern blieb keine Zeit, der König musste die Regierung feuern.

Angesichts der anschwellenden Proteste entließ Abdallah II. am vergangenen Dienstag den Premierminister Samir Rifai samt seiner Minister. Zum neuen Regierungschef ernannte er Maruf al-Bachit, einen Mann des Sicherheitsapparats, der das Amt schon einmal innehatte von 2005 bis 2007. Der königliche Auftrag: Er solle "dem Volk ein besseres Leben ermöglichen". Überdies versprach der Monarch noch "echte politische Reformen, welche die öffentliche Beteiligung am Entscheidungsprozess erhöhen". Dann machte er sich sogleich auf den Weg zu seinen unruhigen Untertanen. Im Norden stattete er am Mittwoch den Bewohnern einiger Dörfer einen Überraschungsbesuch ab, um "die Bedürfnisse der Bevölkerung zu überprüfen", wie anschließend vermeldet wurde. Am Donnerstag empfing er in Amman eine Gesandtschaft der Muslimbrüder.

So viel Aktivität zeigt Wirkung, ein Teil der Protestierer will nun erst einmal abwarten, wie sich die neue Regierung schlägt. Es ist also vor allem des Königs Gespür für die Stimmung, die den größten Unterschied ausmacht zwischen Amman und Kairo. Er versucht, der Protestbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen, bevor es zum Sturm kommt - und das hat schon immer gut funktioniert in Jordanien. Denn die haschemitischen Herrscher sind politische Alchemisten: Die Fragilität ihres Staates wandeln sie um in Macht.

Die Sorge um die Stabilität gehört in Jordanien gewissermaßen seit jeher zur Staatsräson. Es gibt einen natürlichen Gegensatz zwischen den alteingesessenen Stämmen im Osten und den palästinensischen Flüchtlingen, die mittlerweile die Mehrheit der Bevölkerung von 6,5 Millionen Menschen stellen. In dieser prekären Lage ist es allein das Königshaus, das den Zusammenhalt des Staates sichert. Sakrosankt erscheint der Herrscher überdies, weil er seine Herkunft direkt vom Propheten Mohammed ableitet, mittlerweile in der 43.Generation. Per Gesetz ist Kritik am Königshaus verboten. Und wenn es trotzdem einmal eng wird, fungiert als Puffer zwischen Volk und Monarch immer noch die Regierung, die nach Belieben ernannt und entlassen werden kann. Im Zweifel ist eben immer der Premier schuld, nie der König.

So kommt es, dass nun zwar Demonstranten durch Jordaniens Hauptstadt ziehen, welche die Regierung stürzen wollen wie in Tunis oder Kairo, aber niemand stellt dabei Abdallah II. in Frage. Egal ob bei den Studenten oder bei den Islamisten - überall ist das gleiche Credo zu hören: "Wir wollen keinen Regimewechsel, nur einen Politikwechsel". Die Revolution trägt also Purpur in Amman.

Wenn der Sturm weiter durch die gesamte arabische Welt fegt, wird ihn auch Abdallah II. kaum mit ein paar Gesten des guten Willens bändigen können. Die Menschen dringen auf Veränderung, und auch wenn es nicht um den Thron geht, so geht es doch um die faktisch fast absolute Macht des Königs. Allzu lange schon leistet er sich ein Parlament und eine Regierung treuer Jasager, allzu lange schon verfolgt er eine Wirtschaftspolitik, die von vielen im Land als ungerecht empfunden wird. Dagegen begehren sie nun auf. Und die Anwälte, angeführt von Samir Khirfan mit Anzug, Krawatte und stets glimmender Zigarette, sind mitten drin im Protest. "Wir wollen einen neuen Premierminister, Neuwahlen und eine neue Wirtschaftspolitik", fordert er.

Abdallahs Befreiungsschlag mit der Entlassung der Regierung und der Ernennung seines langjährigen Vertrauten al-Bachit zum Ministerpräsidenten reicht vielen also doch nicht. Die Muslimbrüder und die Islamische Aktionsfront werfen dem Premier Wahlfälschung in seiner vorherigen Amtszeit vor, und an seiner Reformkraft hegen viele Zweifel. "Wir wollen jetzt nicht nur Versprechungen hören, sondern auch Taten sehen", sagt der Gewerkschaftsführer Falachad, als der Demonstrationszug, der beim Amtssitz des Premiers gestartet war, sein Ziel erreicht: die ägyptische Botschaft.

Hier wollen die Demonstranten von Amman den Geist von Kairo beschwören. "Denn dort geht es nicht nur um die Zukunft von Ägypten", sagt Falachad, "es geht um alle arabischen Nationen."

© SZ vom 05.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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