Athen:Thriller mit Tsipras

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Zwischen Hoffen und Bangen: Die Menschen in Athen warteten auch am Sonntag auf eine Entscheidung der Politiker. (Foto: Angelos Tzortzinis/AFP)

Wenn er bei der Euro-Gruppe Glaubwürdigkeit gewinnen will, muss der Premier sein Kabinett schnellstens umbilden.

Von Mike Szymanski, Athen

Was für eine Nacht im Athener Parlament: Sie bringt Verlierer hervor, die sich wie Sieger aufführen. Und sie lässt ihre Gewinner am Erreichten verzweifeln. Ist Alexis Tsipras nicht gerade noch Großes gelungen? 251 der 300 Abgeordneten im Parlament haben in der Nacht zu Samstag für Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket gestimmt. Das heißt: für weitere harte Einschnitte. Und nun soll das wieder nicht reichen? Denn keine 24 Stunden später fordern die Kreditgeber, Athen solle noch mehr sparen, soll nachlegen. Es sei immer noch nicht genug. Aber Tsipras weiß: Mit dieser Regierung wird es keine weiteren Zugeständnisse geben können. Der Premierminister ist an einem Endpunkt angekommen. Seine Koalitionsregierung hat die Schmerzgrenze überschritten. Der Chef der Rechten, Verteidigungsminister Panos Kammenos, twittert am späten Sonntagabend angesichts der Forderungen aus Brüssel: "Die wollen uns erdrücken. Es reicht!" Auch innerhalb des Syriza-Bündnisses wächst der Unmut.

Ohne die Stimmen der Opposition wäre der Premier untergegangen

17 Abgeordnete von Syriza haben entweder nicht an der Abstimmung im Parlament teilgenommen, sich enthalten, indem sie - eine Besonderheit in diesem Parlament - mit "anwesend" oder sogar direkt gegen den Kurs ihrer Regierung stimmten. Ohne die Stimmen aus der Opposition wäre Tsipras untergegangen.

Schon werden die Szenarien durchgespielt: Tsipras könnte es dabei belassen, die Saboteure auszutauschen. Womöglich baut er die Regierung umfassend um und holt die Opposition ins Boot - eine Regierung der nationalen Einheit. Sogar über Neuwahlen wird spekuliert, sollten die Spannungen innerhalb von Syriza die Koalition zerreißen. "Ein Thriller", schreibt die liberale Zeitung To Ethnos.

Das Parlamentsvotum entwickelt seine eigene Dynamik. Zu den Abweichlern in der linken Partei gehören Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou und zwei Minister: der für das Energieressort zuständige Panagiotis Lafazanis und Vizesozialminister Dimitris Stratoulis. Auf die Kreditgeber in Brüssel macht all das einen desaströsen Eindruck: Das Parlament zeigt sich offen für weitere Reformen, an den Schalthebeln der Macht aber sitzen weiterhin die Gegner einer solchen Politik. Kann das wirklich wahr sein?

Wirtschaftsminister Giorgos Stathakis bringt als einer der Ersten eine Kabinettsumbildung zur Sprache. Es sei nun Tsipras Aufgabe, mit den Abweichlern umzugehen. Er legt Saboteuren in der Regierung nahe, zurückzutreten. Auch Dora Bakoyannis, Ex-Außenministerin und Abgeordnete der konservativen Nea Dimokratia, sagt der Süddeutschen Zeitung: "Tsipras muss die Regierung umbilden. Er kann nicht länger mit Leuten zusammenarbeiten, die das Programm nicht umsetzen."

Seit Tagen wird schon über Rücktritte spekuliert. Muss sich Tsipras vom radikalen Flügel seiner Syriza trennen? "Linke Plattform" heißt diese Gruppierung. An deren Spitze steht Energieminister Lafazanis. "Ich stütze die Regierung, aber nicht die Sparprogramme, die zur Fortsetzung der Armut führen", rechtfertigt er seine Enthaltung bei der Abstimmung. Für Vize-Finanzminister Dimitris Mardas ist das ein Ärgernis. Er sieht darin eine Politik "irgendwo zwischen Rosa Luxemburg und Che Guevara". Völlig abgehoben - ätzt er auf seiner Facebook-Seite.

Aber es geht längst nicht mehr um einzelne Politiker. 15 Parlamentarier von Syriza haben zwar für das Hilfspaket und die neuen, harten Reformschritte gestimmt, dann aber in einer Erklärung ausgeführt, dass sie nicht hinter dieser Politik stünden: "Bei den Vorschlägen handelt es sich um ein weiteres Sparprogramm, das keine Antwort auf die wirtschaftspolitischen Probleme des Landes gibt", heißt es in der Erklärung. Es steckt noch eine Botschaft dahinter: An dieser Stelle ist Schluss. Für weitere Zugeständnisse an Brüssel wird Tsipras im eigenen Lager keine Unterstützung mehr bekommen.

Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis war auch nicht da, als Tsipras ihn gebraucht hätte. Er schenkte sich die Nachtsitzung im Parlament. Varoufakis unternahm mit seiner Frau und seiner Tochter lieber einen Wochenendausflug auf die Ferieninsel Ägina. Fotos davon im Internet werden noch in der Nacht der Debatte herumgezeigt. In einem Brief an Parlamentspräsidentin Konstantopoulou schreibt Varoufakis, wenn er da gewesen wäre, hätte er mit Ja gestimmt. Er ist aber nicht da.

Dann kommt auch noch die Nachricht, dass Schäuble über einen Grexit auf Zeit nachdenke. Die Nea-Dimokratia-Politikerin Bakoyannis warnt davor: "Es ist wichtig, dass Europa gewinnt und Griechenland nicht zum Symbol der Anti-Europäer wird." Sie ist besorgt - und überrascht von Schäuble. Aber auch Varoufakis überrascht. Er führt schon das große Wort, bevor Schäubles Idee überhaupt öffentlich ist. Im Guardian schrieb er, er sei überzeugt, dass der Deutsche Griechenland aus der Währungsunion herausdrängen wolle. Dafür hatte er Zeit.

© SZ vom 13.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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