Asien:Strategische Waffe

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Pjöngjang verkündet, eine Wasserstoffbombe gezündet zu haben. Eine weitere Provokation, die absurderweise aber der Versuch sein könnte, neue Friedensverhandlungen auf den Weg zu bringen.

Von Christoph Neidhart

Mit dem Test einer Wasserstoffbombe am Mittwochmorgen hat Nordkorea seine Nachbarn wieder einmal überrumpelt. Am Neujahrstag hatte Jungdiktator Kim Jong Un noch Verhandlungsbereitschaft signalisiert, jetzt zerschlägt er alle Hoffnungen auf Entspannung. Aus der Sicht Nordkoreas besteht zwischen Verhandlungen und Atomtest kein Widerspruch, im Gegenteil: Der Norden hält Konzessionen überhaupt erst für möglich, wenn die andere Seite - Südkorea, die USA, aber auch China - anerkennt, dass das Regime nicht zu stürzen sei.

Die Bombe wurde am Mittwoch um 8.20 Uhr nordkoreanischer Ortszeit nahe Punggye im Nordosten des Landes gezündet. Dort befindet sich das Atomtestgelände Nordkoreas. Der Norden hat seit einigen Wochen eine eigene Zeitzone; seine Uhren gehen im Vergleich zu denen Südkoreas eine halbe Stunde nach. Seismische Messungen in Seoul und andernorts registrierten daher erst um 8.51 Uhr südkoreanischer Zeit ein Erdbeben der Stärke 5.1 in Punggye. Chinesische Seismologen erkannten sofort, dass es sich um ein künstliches Beben handelte. Um zehn Uhr Ortszeit meldete das Fernsehen in Pjöngjang dann, Nordkorea habe eine miniaturisierte Wasserstoffbombe getestet, der Versuch sei ein "perfekter Erfolg". Damit erklimme Nordkorea "als Atommacht die nächste Stufe". Das Land sei nun in der Lage, sich gegen die USA und andere Feinde zu verteidigen.

Kim Jong Un hat nach Einschätzung von Beobachtern jedoch nicht die Absicht, Nuklearwaffen einzusetzen. Sie sollen abschrecken, vor allem die USA. Deren früherer Vize-Präsident Dick Cheney hatte schon vor 15 Jahren in Pjöngjang einen "Regime-Change" mit militärischer Gewalt erwirken wollen. Die USA sollen Nordkorea nun als Atommacht akzeptieren. Implizit hat Washington das bei den Sechsergesprächen (mit China, Russland, Südkorea und Japan) 2007 bereits getan, zumindest als Mini-Atommacht. Nur hat das niemand offiziell gesagt.

"Ivy Mike" hieß die erste Wasserstoffbombe, die je explodierte. Die US-Armee zündete den Sprengsatz 1952 im Eniwetok-Atoll im Pazifik. (Foto: dpa)

Die Unterhändler aus den USA wussten schon damals, dass Pjöngjang höchstens dazu bereit ist, sein Arsenal zu reduzieren, nicht weiterzuentwickeln und - das wichtigste Anliegen Washingtons - nicht zu verkaufen. Nordkoreas Bombe dient nicht der Verteidigung des verarmten Landes, wie es die Propaganda behauptet, sondern dem Schutz des Regimes. Mit seinen Drohgebärden versucht es, sich auch nach innen Respekt zu verschaffen.

Die Sanktionen könnten nun noch einmal verschärft werden

Im Dezember hatte Kim gedroht, sein Land verfüge nun über Wasserstoffbomben, deren Konstruktion viel schwieriger ist als der Bau von Plutonium-gestützten Atombomben. In seiner Neujahrsansprache erwähnte er sein Nukleararsenal nicht. Südkoreanische Experten hatten in den letzten Monaten Hinweise darauf erlangt, dass der Norden an einer Wasserstoffbombe arbeite. Die Explosion jetzt stamme jedoch nicht von einer solchen Bombe, sagten Militärexperten. Pjöngjang hatte jüngst mehrmals mit Attrappen ballistischer Interkontinentalraketen geblufft.

Der Zeitpunkt des Tests hat die Experten überrascht, da Kim zu Neujahr dem Süden ein Angebot für verbesserte Beziehungen gemacht, dieses jedoch an den "guten Willen Seouls" geknüpft hatte. Konkret hieß das, Seoul solle auf seine Manöver mit den USA verzichten. Am Dienstag feuerte KCNA, die staatliche Nachrichtenagentur, eine Propaganda-Salve ab, in der Nordkorea das Recht auf Atomwaffen zur Selbstverteidigung reklamierte.

Mit dem Test fällt die Sicherheitslage in Nordostasien hinter das Jahr 1993 zurück. Damals wurde bekannt, dass das nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Machtbereichs isolierte Nordkorea Atomwaffen entwickelte und aus dem Atomsperrvertrag austrat. Ein Jahr später einigten sich Nordkorea und die USA im Genfer Rahmenabkommen, Pjöngjang gebe die Entwicklung von Gas-Grafitreaktoren und die Wiederaufbereitung von Kernbrennstäben auf - Prozesse, die für die Herstellung von Atomwaffen nötig sind. Das Abkommen gipfelte im Besuch der damaligen US-Außenministerin Madeleine Albright in Pjöngjang. Die Bush-Administration beendete den Annäherungskurs. Vize-Präsident Dick Cheney, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und der damalige Vize-Außenminister John Bolton brachten das Rahmenabkommen zum Platzen.

Chronik einer Eskalation

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(Foto: REUTERS)

1965: Nordkorea beginnt mit dem Bau eines atomaren Forschungsreaktors. 1985: Auf Druck Moskaus tritt Pjöngjang dem Nichtverbreitungsvertrag bei. 1992: Nordkorea lässt erstmals internationale Kontrollen seiner Atomanlagen zu. 2002: Das Regime in Pjöngjang gibt nach Angaben der amerikanischen Regierung zu, an waffenfähigem Uran gearbeitet zu haben. 2003: Nordkorea tritt aus dem Nichtverbreitungsvertrag aus, die Inspektoren der IAEA wurden bereits des Landes verwiesen. 2005: Das nordkoreanische Außenministerium erklärt, Atomwaffen zum Schutz gegen ein "feindlich gesinntes Amerika" zu besitzen. 2006: Nordkorea führt seinen ersten unterirdischen Atombombentest durch; der UN-Sicherheitsrat beschließt Wirtschaftssanktionen und ein Rüstungsembargo. 2009: Nordkorea gibt erneut einen erfolgreich durchgeführten unterirdischen Atomtest bekannt. 2012: Das Regime in Pjöngjang erklärt sich bereit, sein Programm zur Urananreicherung einzufrieren. Dafür soll das Land 240 000 Tonnen Nahrungsmittelhilfen erhalten. 2013: Als Reaktion auf den Start einer nordkoreanischen Langstreckenrakete verhängt der UN-Sicherheitsrat neue Sanktionen gegen Nordkorea. China stimmt der Resolution zu. Zwei Tage später führt Nordkorea seinen dritten Atomwaffentest durch. 2016: Nordkorea verkündet, eine Wasserstoffbombe gezündet zu haben.

Robert Carlin, langjähriger Nordkorea-Experte der CIA und des US-Außenministeriums, macht die drei Politiker mitverantwortlich für das Atomprogramm. Sie hätten Washingtons Nordkorea-Politik "in den Abgrund gestoßen", die sich "seither im freien Fall befindet", wie er kürzlich sagte. Japan reagierte verärgert auf den Test, Premier Shinzo Abe nannte ihn "eine Bedrohung der Sicherheit Japans". Südkoreas Präsidentin Park Geun Hye will Nordkorea "mit unseren Partnern bestrafen". Auch China, das vom Norden mit dem Test vor den Kopf gestoßen wurde, ließ verlauten, es sei "strikt gegen den Test". Die USA zweifelten den erfolgreichen Test einer Wasserstoffbombe durch Nordkorea an. Die US-Erkenntnisse würden sich nicht mit den Angaben aus Pjöngjang decken, sagte der Sprecher von US-Präsident Barack Obama, Josh Earnest. Der UN-Sicherheitsrat kam zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Das international weitgehend isolierte Nordkorea hatte bereits in den Jahren 2006, 2009 und 2013 Atomwaffentests vorgenommen. Der UN-Sicherheitsrat verschärfte nach jedem Test die Sanktionen gegen das kommunistische Land. Der vierte Atomtest sei "ein klarer Verstoß gegen die Resolutionen des Sicherheitsrates", sagte der Vorsitzende des Gremiums, Uruguays UN-Botschafter Elbio Rosselli, nach der Dringlichkeitssitzung. Der Sicherheitsrat werde mit der Arbeit an einer neuen Resolution beginnen.

Wenn Nordkorea sein Drehbuch nicht geändert hat, dürfte der Atomtest, so paradox das klingen mag, indirekt ein Auftakt zu neuen Verhandlungen werden. Pjöngjang hat Seoul und Washington immer wieder mit Drohgebärden zu Verhandlungen gezwungen. Unklar ist, ob Pjöngjang das auch als selbsternannte Atommacht noch gelingt. Alle fünf anderen Parteien der Sechsergespräche verlangen, Nordkorea müsse auf seine Atomwaffen verzichten. Das wird der Norden nicht tun. So wird das Patt in Nordostasien weiterbestehen.

© SZ vom 07.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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