Armenien:Jubel in Eriwan

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Sersch Sargsjan bestimmte lange die Politik in Armenien, Proteste zwingen ihn nun zum Rückzug. Am Montag wurde die Opposition zu breit.

Von Julian Hans, Eriwan

Weniger als eine Woche nach seiner Ernennung ist Armeniens Regierungschef Sersch Sargsjan von seinem Posten zurückgetreten. "Die Straße will nicht, dass ich dieses Amt innehabe. Ich erfülle ihre Forderung", schrieb er in einer Stellungnahme, die am Montag gegen 16.30 Uhr Ortszeit auf der Internetseite der Regierung veröffentlicht wurde.

Früher am Nachmittag hatte die Generalstaatsanwaltschaft bereits den Oppositionspolitiker Nikol Paschinjan aus dem Arrest entlassen. Paschinjan hatte die Protestbewegung angeführt, die binnen elf Tagen das ganze Land erfasst hatte und Sargsjan schließlich zum Rücktritt zwang. Einen Verhandlungsversuch mit Paschinjan hatte Sargsjan am Sonntagmorgen nach wenigen Minuten abgebrochen. Kurz danach hatte er Paschinjan festnehmen lassen.

Nachdem die Demonstrationen auch ohne den Anführer weiter anschwollen, musste Sargsjan anerkennen, dass es aussichtslos war, weiter an der Macht festzuhalten. "Nikol Paschinjan hatte recht. Ich hatte unrecht", schrieb Sargsjan in seiner Erklärung. Für die Situation gebe es Lösungen, aber er werde keine davon wählen, "das ist nichts für mich", hieß es weiter - offenbar als Anspielung auf eine mögliche gewaltsame Niederschlagung der Proteste.

Mit dem Rücktritt des 63-Jährigen geht eine Ära zu Ende. Seit dem Krieg mit dem Nachbarland Aserbaidschan in den 1990er-Jahren hatte er die Politik des Landes auf unterschiedlichen Posten bestimmt. Nach zwei Amtszeiten als Präsident wäre seine Herrschaft gemäß der Verfassung in diesem Jahr zu Ende gegangen. Aber Sargsjan ließ die Verfassung ändern, alle Macht auf den Premier übertragen und sich entgegen früheren Versprechen am vergangenen Dienstag zum Regierungschef wählen.

Das war der Auslöser, der viele Armenier auf die Straßen trieb. Sie leiden unter der Vetternwirtschaft, die eine kleine Gruppe von Verwandten und Weggefährten Sargsjans reich gemacht hat, während die Mehrheit der drei Millionen Bürger in Armut lebt. Nachdem über Tage vor allem junge Menschen Straßen blockiert und das öffentliche Leben zeitweise lahmgelegt hatten, traten am Montag auch Lehrer, Universitätsdozenten und Ärzte in den Streik, Angehörige der Sicherheitskräfte liefen zu den Protestierenden über.

Als die Nachricht von Sargsjans Rücktritt bekannt wurde, brach in der Hauptstadt Jubel aus. Bis in die Nacht tanzten die Menschen auf den Straßen. In einer Rede vor mehr als 100 000 Menschen auf dem Platz der Republik versprach Nikol Paschinjan einen sanften Übergang und forderte Demonstranten und Sicherheitskräfte zu gegenseitigem Respekt auf. Den Angehörigen der alten Eliten versprach er, es werde keine Rache geben: "Wir bauen ein Land der Gleichheit und der nationalen Einheit", sagte er.

Wer immer auf Sargsjan folgt, steht vor der schweren Aufgabe, die korrupten Strukturen zu zerschlagen, die Wirtschaft zu beleben und die Hoffnungen nicht zu enttäuschen, die die Armenier in den Wandel gelegt haben.

© SZ vom 24.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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