Armenien:Bekenntnis zu den Glaubensbrüder

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Papst Franziskus nennt das historische Massaker an den Armeniern schon lange einen Völkermord - nun zeigt er bei einem Besuch im ältesten christlichen Land der Erde zusätzliche Solidarität.

Von Julian Hans, Eriwan

Das stärkste Zeichen hatte Franziskus sich für den Schluss aufgehoben. Ein Bild, das im Gedächtnis bleiben soll, wenn der Papst wieder abgereist ist und die Gebete verklungen sind.

Hell strahlte der schneebedeckte Gipfel des Ararat im Sonnenlicht, das Nationalsymbol der Armenier. Der Überlieferung zufolge soll dort Noahs Arche gelandet sein. Bis zu ihrer Vertreibung vor 101 Jahren siedelten die Armenier in den Provinzen rund um den Berg. Heute liegt er auf türkischem Staatsgebiet - aber Armenien erkennt den 1923 festgelegten Grenzverlauf mit der Türkei bis heute nicht an. Auf armenischer Seite liegt auf einer Anhöhe im Tal das Kloster Chor Virap.

Hier die Klostermauern, dort der Ararat, dazwischen die Grenze, die Ankara vor 23 Jahren schloss, als Armenien Krieg gegen das mit den Türken verbündete Aserbaidschan führte. Gemeinsam mit dem Oberhaupt der armenisch-apostolischen Kirche, Katholikos Karekin II., ließ Franziskus zwei weiße Tauben in Richtung des Ararat steigen.

Die dreitägige Reise war Pilgerfahrt und Friedensmission zugleich. Armenien gilt als das älteste christliche Land der Erde. Die armenische apostolische Kirche pflegt gute Beziehungen zu Rom. Katholikos Karekin II. beherbergte den Papst in seiner Residenz in Etschminadsin, 20 Kilometer außerhalb der Hauptstadt. Sie ist das geistliche Zentrum der Kirche, deren neun Millionen Gläubige zu großen Teilen über die Erde verstreut in der Diaspora leben - in Russland zum Beispiel, in den USA und auch in Argentinien, wo Franziskus in seiner Zeit als Bischof Jorge Mario Bergoglio Freunde unter den armenischen Glaubensbrüdern hatte.

Weitere OSZE-Beobachter sollen in die Grenzregion Berg-Karabach entsandt werden

Von den etwa drei Millionen Einwohnern der Kaukasusrepublik zählen sich 90 Prozent zur armenischen apostolischen Kirche. Katholisch sind nur etwa 200 000. Im Jahr 301 soll König Trdat III. das Christentum als Staatsreligion eingeführt haben. Zum 1700. Jubiläum reiste 2001 Johannes Paul II. nach Eriwan. Diesmal war ein anderer Jahrestag Anlass für den Besuch: die Vertreibung der Armenier aus dem Osmanischen Reich 1915. Schon vor einem Jahr hatte Franziskus vom "ersten Völkermord im 20. Jahrhundert" gesprochen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan berief darauf seinen Botschafter aus dem Vatikan ab und warnte den Papst, diesen "Unsinn" zu wiederholen.

Doch Franziskus war kaum gelandet, da mahnte er am Freitag, die Tragödie des Genozids habe den Beginn einer Reihe entsetzlicher Katastrophen im vergangenen Jahrhundert markiert. Die Menschheit müsse aus diesen Gräueln lernen, um Konflikte friedlich zu lösen. Das Christentum habe als Teil der armenischen Identität dem Volk geholfen, sich nach schweren Prüfungen wieder aufzurichten. In der Gedenkstätte Zizernakaberd gedachte er am Samstag schweigend der 1,5 Millionen Opfer des Genozids.

Das armenische Volk verbrachte den größten Teil seiner Geschichte unter der Herrschaft anderer Imperien - der Perser, des Osmanischen Reiches, des russischen Zarenreiches und zuletzt der Sowjetunion. Das kleine Land im Südkaukasus ist umgeben von den muslimischen Nationen Aserbaidschan, Iran und Türkei. Nur im Norden grenzt es an das christliche Georgien.

Kritik aus der Türkei wies der Vatikan zurück. "Der Papst ist Friedensreisender, kein Kreuzfahrer", betonte sein Sprecher Federico Lombardi. Der stellvertretende Premierminister Nurettin Canikli nannte die Aussage des Papstes "sehr bedauerlich", sie sei Zeichen einer "Mentalität der Kreuzzüge".

Wie weit die Region von einem echten Frieden entfernt ist, zeigte sich im Frühjahr. Seit Monaten hatten sich Soldaten entlang der Waffenstillstandslinie immer wieder Scharmützel geliefert, bei denen regelmäßig Menschen starben. Am 1. April eskalierten sie zu einem Krieg, in dem Aserbaidschan erstmals Territorien zurückeroberte. Als die Kämpfe nach vier Tagen gestoppt wurden, waren auf beiden Seiten jeweils mindestens hundert Soldaten getötet worden.

Es folgten hektische Verhandlungen, der russische Präsident Wladimir Putin schaltete sich ein, der armenische Präsident Sersch Sargsjan traf Angela Merkel in Berlin. Der Viertagekrieg habe dazu beigetragen, den Karabach-Konflikt wieder auf die internationale Agenda zu heben, sagen westliche Diplomaten in Eriwan. Der Waffenstillstand halte so gut wie seit Jahren nicht mehr.

In diesem Moment könnte ein zusätzlicher Impuls hilfreich sein, der vom Besuch des Papstes ausgeht. Bei einem Friedensgebet auf dem Platz der Republik im Zentrum der armenischen Hauptstadt rief Franziskus die jungen Armenier am Samstag dazu auf, sich nicht mit dem Status quo abzufinden, sondern "Friedensstifter" zu werden. Aus dem Geist des Christentums heraus müsse das Gedenken an den Völkermord vor 101 Jahren zur Quelle für Versöhnung werden und dürfe nicht zu Vergeltung führen.

Eine Vermittlergruppe aus 13 Staaten, die sich seit 1992 in der weißrussischen Hauptstadt Minsk trifft, ist jahrelang auf der Stelle getreten. Nun signalisiert Eriwan grundsätzlich Bereitschaft, fünf besetzte Provinzen zu räumen, die Karabach umgeben. Weil sie Armenien mit der Exklave verbinden und strategisch eine Pufferzone bilden, wird darum gestritten, wie sichergestellt werden kann, dass Aserbaidschan danach nicht auch Berg-Karabach einnimmt.

Die Tauben und auch der Papst sind weggeflogen. Zurück bleiben Menschen, die die guten Absichten in Politik umsetzen müssen. In dieser Woche reist der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach Eriwan. Vergangene Woche hatten Sersch Sargsjan und der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew in Sankt Petersburg vereinbart, mehr OSZE-Beobachter in der Grenzregion zuzulassen. Deutschland hat in diesem Jahr den Vorsitz der Organisation inne.

© SZ vom 27.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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