Antisemitismus:"Verantwortung ist nicht verhandelbar"

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Steinmeier feierte Chanukka in der israelischen Botschaft. (Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Bundespräsident Steinmeier geißelt Antisemitismus. Er betont, es dürfe keinen Schlussstrich unter Teile der deutschen Geschichte geben.

Von Anna Dreher, Berlin

Die Stimmung ist feierlich, als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem israelischen Botschafter Jeremy Issacharoff die vier Kerzen auf dem Chanukkaleuchter anzündet. Es ist Freitagmorgen, gefeiert wird "70 Jahre Staatsgründung Israel" - und die israelische Botschaft in Berlin gibt zum Auftakt des Jubiläumsjahres 2018 einen Empfang. Die Gäste singen begleitet von Klaviermusik, dann spricht Steinmeier. Chanukka, sagt er, sei in der jüdischen Tradition schon immer ein besonders fröhliches, herzliches, familiäres Fest gewesen. Aber heute wolle er ohne Umschweife auf das zu sprechen kommen, was ihm auf der Seele liegt - und das wiederum ist nicht feierlich. "In derselben Woche", in der Juden in Deutschland die Kerzen ihrer Chanukka-Leuchter entzündeten, "haben auf deutschen Plätzen israelische Fahnen gebrannt. Das erschreckt mich und beschämt mich", sagt Steinmeier. Der Antisemitismus sei nicht überwunden und zeige sich auf vielfältige Weise, keine davon dürfe in Deutschland hingenommen werden.

Die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, Jerusalem als alleinige Hauptstadt Israels anzuerkennen, hat vielerorts Empörung ausgelöst. Die Furcht vor einer Eskalation des Nahostkonflikts ist gewachsen. Vor allem in der arabischen Welt waren die Reaktionen heftig, und auch in Berlin ist es zu antiisraelischen und antisemitischen Protesten gekommen. Nach Körperverletzungen, Flaschenwürfen und brennenden Fahnen mit Davidstern hatte es Festnahmen und Ermittlungen gegeben. Augenzeugen zufolge wurden zudem antisemitische Parolen gerufen.

Es gebe Dinge, sagt Frank-Walter Steinmeier am Freitag, die sich nicht verändern und zu Deutschland gehören. Wie auch die Verantwortung vor der eigenen Geschichte und die Lehren daraus. "Diese Verantwortung kennt keine Schlussstriche für Nachgeborene und keine Ausnahmen für Zuwanderer", sagt der Bundespräsident. "Sie ist nicht verhandelbar - für alle, die in Deutschland leben und hier leben wollen." Wer auf deutschen Plätzen die israelische Fahne in Brand setze, der verstehe oder respektiere nicht, was es heiße, deutsch zu sein: "Nur wenn Juden in Deutschland vollkommen zu Hause sind, ist diese Bundesrepublik vollkommen bei sich."

Seine Rede endet mit großem Applaus. Unter den Gästen sind auch Holocaust-Überlebende. Margot Friedländer ist gekommen, eine der bekanntesten deutschen Zeitzeugen. "Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch mal einen solchen Antisemitismus erleben würde. Was gerade passiert, ist schade und sehr traurig", sagt die 96-jährige Jüdin der SZ. "Ich habe das Gefühl, der Hass ist in den letzten Jahren öffentlicher, lauter geworden." Dabei sei Israel wichtig als Heimatland für die Juden.

Kirchenvertreter hatten sich diese Woche ebenfalls mit Sorge über die Ausschreitungen geäußert. Die evangelische Bischöfin Petra Bosse-Huber sagte, die gesamte Zivilgesellschaft sei aufgerufen, gegen Antisemitismus einzutreten. Der Bamberger katholische Erzbischof Ludwig Schick betonte, die Kirchen seien kategorisch gegen Antisemitismus. Dieser sei auch nicht mit außenpolitischen Fehlern anderer Staaten zu rechtfertigen. Deutsche Politiker verschiedener Parteien verurteilten den Hass auf Israel und sprachen sich für ein konsequenteres Vorgehen gegen antisemitische Demonstrationen aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte das Verbrennen israelischer Fahnen scharf kritisiert.

Am Freitag spricht nach dem Bundespräsidenten noch Botschafter Issacharoff. "Ich glaube", sagt er, "es gibt noch Grund für Optimismus für die israelische Region und ich hoffe, Deutschland wird uns weiterhin Partner sein." In einem Interview hatte er zuvor ein Verbot des Verbrennens von Flaggen gefordert. An diesem Morgen aber soll die Stimmung schnell wieder feierlich sein.

© SZ vom 16.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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