Anti-Atom-Bewegung:Kampfplatz Gorleben

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Die Anti-Atom-Proteste in Gorleben sind mächtiger geworden. Denn der Wahlkampf 2009 hat ein Thema, das so heiß ist wie die Glaskokillen aus La Hague: Im Zentrum steht die Frage, ob es CDU und FDP gelingt, die Laufzeit der Kraftwerke zu verlängern.

Wolfgang Roth

Wenn der elfte Transport mit Atommüll aus der französischen Anlage La Hague im Wendland eingetroffen ist, hat sich entlang der Schienen und Straßen ein Ritual wiederholt, das man, je nach Standpunkt, höchst überflüssig oder sehr angemessen finden kann. Es ist jedenfalls unvermeidlich in einem Land, dessen Bevölkerung nach wie vor ein gespaltenes Verhältnis zur Kernenergie hat. Unvermeidlich auch in einer Region, in der seit vielen Jahren mit großem Aufwand ein mögliches Endlager erkundet wird, ohne dass je untersucht wurde, ob der strahlende Abfall an einem anderen Ort der Republik sicherer untergebracht wäre.

Polizisten tragen Demonstranten beiseite, die die Zufahrt zum Zwischenlager in Gorleben blockieren. (Foto: Foto: Reuters)

Gewaltiges Polizeiaufgebot

Unvermeidlich ist aber auch, dass das brisante Material zurückgenommen werden muss. Es gibt also keine Alternative dazu, die Behälter bis zu ihrer Ankunft im Zwischenlager von Gorleben mit einem gewaltigen Polizeiaufgebot zu sichern. Das hat mit aller rechtsstaatlichen Konsequenz zu geschehen, aber es steht einer Demokratie gut an, dabei peinlich das Demonstrationsrecht zu beachten und gelassen auf gewaltfreie Formen zivilen Ungehorsams zu reagieren.

Es ist etwas leiser geworden in den letzten Jahren um den Tross der Castoren. Dass der Protest diesmal wieder mächtiger wurde, ist leicht zu erklären. Der Atomkonsens aus dem Jahr 2001, dessen Kern das Gesetz zur "geordneten Beendigung der Kernenergienutzung" in Deutschland ist, hat an den Rändern der Anti-Atom-Gemeinde für Frieden gesorgt. Nun aber zeichnet sich ab, dass die Stromkonzerne die Leistung ihrer Reaktoren so steuern werden, dass bis zur nächsten Bundestagswahl kein Meiler mehr außer Betrieb geht. Und dieser Wahlkampf hat ein Thema, das so heiß ist wie die Glaskokillen aus La Hague: Im Zentrum steht die Frage, ob die Laufzeit der Kraftwerke, wie von Union und FDP angestrebt, weit über das Jahr 2020 hinaus verlängert wird.

Die SPD würde fast schon Selbstmord begehen, stünde sie nicht zu ihrem mit den Grünen erkämpften Ausstiegsbeschluss. Und sie hätte ein massives Glaubwürdigkeitsproblem, würde sie nach der Wahl, in einer durchaus realistischen Neuauflage der großen Koalition, nicht mehr zu dieser Position stehen. Keine Partei ist bei diesem Thema so in der Zwickmühle wie die SPD. In den eigenen Reihen gibt es durchaus Abgeordnete, die längere Laufzeiten befürworten, sie können es aber nicht allzu laut sagen. Auch im Wahlvolk könnte sich die Stimmung nach und nach verändern, weil die Klimaschutzprogramme, zumal in Zeiten der Rezession, nicht nur dem Finanzminister, sondern zwangsläufig auch der Allgemeinheit Opfer abverlangen.

Kein Reaktor wäre genehmigungsfähig

Der Grundkonflikt ist und bleibt unlösbar, weil er mit der Wahrnehmung von Risiko zu tun hat. Wer sich ein zumindest in Deutschland extrem unwahrscheinliches, aber extrem hohes, von keiner Assekuranz zu tragendes Risiko wie eine Kernschmelze ersparen will, denkt keineswegs irrational. Kernkraft ist nun einmal die Energieform, bei der so komplexe Sicherungssysteme nötig sind, dass der Mensch von dieser Komplexität überfordert sein kann. Rational ist aber auch die Überlegung, dass ein folgenschwerer Unfall bisher nur in Tschernobyl passierte - unter Standards, die mit den hiesigen bis heute nicht vergleichbar sind. Dass diese Standards so hoch sind, ist allerdings in erster Linie einer atomkritischen Bevölkerung zu verdanken: Kein einziger der bestehenden Reaktoren in Deutschland wäre heute noch genehmigungsfähig.

Die Klimaschutzziele der Bundesregierung mit dem mittelfristigen Ausstieg aus der Atomkraft zu verbinden, ist möglich, aber alles andere als leicht. Moderne Kohlekraftwerke sind sinnvoll, soweit sie wirklich ineffiziente Vorläufermodelle ersetzen. Was darüber hinausgeht, ist von Übel. Ob das Abtrennen und Einlagern von Kohlendioxid technisch machbar ist und zu vertretbaren Kosten gelingt, steht derzeit in den Sternen. Wer in der Hoffnung auf diese neue Technik Atomstrom durch Kohlestrom ersetzen will, arbeitet quasi mit einem ungedeckten Scheck.

Klimaschutz, auch wenn es Geld kostet

Die weit effizientere Nutzung der Energie und das langfristig sowieso alternativlose Erschließen erneuerbarerer Ressourcen kosten viel Geld. Es wäre eine Illusion zu glauben, von der Wärmedämmung über sparsamere Autos bis zu einem leistungsfähigeren, die Schwankungen der Windräder und Solaranlagen abfederndes Stromnetz könne der Staat alles über Förderprogramme finanzieren. Ob die Bevölkerung bereit ist, auf diese Weise Klimaschutz mit dem Atomausstieg zu verbinden, wird sich in den Wahlen des nächsten Jahres zeigen.

Gorleben bleibt so oder so der symbolische Ort, an dem sich Widerstand gegen die Kernenergie bündelt - nicht so sehr, weil noch zwei Atommülltransporte aus Frankreich und einige aus Großbritannien kommen. Die Bereitschaft oder den Mut zu einer ergebnisoffenen Standortsuche für ein Endlager hat weder Union noch SPD. Solange das so ist, formiert sich der Massenprotest im Wendland. Sollte aber je ein anderer Standort ins Visier kommen, würde das nur bedeuten, dass der Schauplatz wechselt: "Gorleben ist überall." Keine leichte Aufgabe für die Politik, gleichwohl eine, der sie sich nicht entziehen darf.

© SZ vom 11.11.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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