Castor-Transport:Ankunft verzögert sich bis weit in die Nacht

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Hunderte Atomkraftgegner hat die Polizei bereits von der Straße nach Gorleben weggetragen. Doch andere haben sich an Betonpyramiden gekettet - und Traktoren versperren zusätzlich den Weg.

Mit deutlich massiveren Protesten als in den Vorjahren halten Hunderte Demonstranten den Atommülltransport ins Zwischenlager Gorleben auf. Während die Polizei die stundenlange Sitzblockade direkt vor dem Zwischenlager räumte, errichteten Atomkraftgegner weitere Hindernisse.

Demonstranten versperren die Zufahrt zum Zwischenlager in Gorleben. Die Polizei versucht, den Weg zu räumen - bisher ohne den erhofften Erfolg (Foto: Foto: Reuters)

Es gebe sechs neue Blockaden, an denen jeweils rund 60 Personen beteiligt seien, sagte ein Polizeisprecher am Montagabend.

Eine Blockade durch angekettete Anti-Atom-Aktivisten konnte erst gegen 22.15 Uhr beendet werden. Dann war auch der letzte der acht Aktivisten losgelöst, die sich am Mittag bei Grippel, etwa fünf Kilometer von Gorleben entfernt, in zwei Betonpyramiden festgekettet hatten. Die Polizei hatte da schon seit 14.45 Uhr versucht, die beiden gelben Pyramiden aus Stahlbeton mit Bohrhammer, Trennscheibe und Bohrer zu zerkleinern.

Kurz nach 22 Uhr kam es dann zu einer neuen Blockadeaktion. Die Polizei setzte am Montagabend Wasserwerfer ein, um die Demonstranten abzudrängen. Nach Angaben der Polizei versuchten rund 100 Menschen, auf eine Zufahrtstrecke zum Zwischenlager zu drängen. Räumpanzer standen bereit.

Die Atomkraftgegner im Wendland zogen durch ihre Proteste den aktuellen Atomtransport ins Zwischenlager Gorleben so lange hin wie keinen anderen zuvor. Gemessen am bislang letzten Transport im Jahr 2006, der 58 Stunden gedauert hatte, war die neue Lieferung am Montagabend bereits 17 Stunden länger unterwegs.

Der Zug mit dem Atommüll hatte in der Nacht zum Montag den dortigen Verladebahnhof erreicht. Die elf Atommüllbehälter aus der französischen Aufbereitungsanlage La Hague waren hier vom Zug auf Lastwagen verladen worden. Danach sollten sie auf der Straße die letzten 20 Kilometer nach Gorleben gefahren werden.

Allein vor dem Zwischenlager hatten noch bis zum frühen Abend etwa 400 Atomkraftgegner ausgeharrt, obwohl die Polizei bereits Stunden zuvor begonnen hatte, die Demonstranten wegzutragen. Nach Polizeiangaben wurden bis zum Abend mehr als 200 Atomkraftgegner in Gewahrsam genommen. Zwei Demonstranten seien wegen Steinwerfens festgenommen worden, sagte der Polizeisprecher.

Greenpeace schlägt Alarm wegen hoher Strahlenwerte

Die Umweltorganisation Greenpeace schlug wegen hoher Strahlenwerte Alarm. Die Strahlenbelastung durch den aktuellen Atommülltransport sei deutlich höher als bei früheren Castor-Transporten. 14 Meter von den Behältern entfernt liege die Neutronenstrahlung bei 4,8 Mikrosievert pro Stunde und damit 40 Prozent höher als beim Castor-Transport 2005.

Dies sei mehr als 500-mal so viel wie die natürliche Hintergrundstrahlung. Die Radioaktivität liege damit zwar vermutlich noch innerhalb der Grenzwerte. In unmittelbarer Nähe zu den Containern würde jedoch binnen weniger Stunden die zulässige Jahresdosis erreicht. "Die Belastung des Begleitpersonals, der Anwohner und Demonstranten ist unverantwortlich", kritisierte der Atomexperte von Greenpeace, Heinz Smital.

Während 2005 noch die alten Castorbehälter verwendet wurden, werde der Atommüll nun in neuen französischen Containern des Typs TN85 transportiert, die für stärker strahlendes Material gebaut worden seien. Smital zeigte sich daher überrascht über die hohen Strahlenwerte. Er habe zwar mit stärker strahlendem Material gerechnet, aber auch mit einer besseren Abschirmung. "Dass man solche Behälter zulässt, ist eigentlich skandalös", sagte Smital.

"Keine Überschreitungen der Grenzwerte festgestellt"

Als Konsequenz müssten entweder die Container verbessert oder weniger radioaktives Material transportiert werden. Dies gelte besonders, da künftig deutlich stärker radioaktives Material aus La Hague nach Deutschland zurückgeschickt werde. Zugleich belegten wissenschaftliche Erkenntnisse, dass Niedrigstrahlung gefährlicher sei als gedacht.

Nach Angaben des niedersächsischen Umweltministeriums lag die Strahlung der Behälter vor der Abfahrt in Frankreich jedoch unter den zulässigen Grenzwerten. "Auch bei den Messungen an den in Dannenberg bereits umgeladenen Behältern haben wir keine Überschreitungen der Grenzwerte festgestellt", sagte Ministeriumssprecherin Jutta Kremer-Heye.

Gabriel kritisiert Gleisbesetzungen

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hat die Blockadeaktionen kritisiert. "Das Besetzen von Gleisen können wir nicht akzeptieren", sagte Gabriel. Deutschland sei dazu verpflichtet, den Transport sicherzustellen. Ein Grund für das Ausmaß der Proteste liege darin, dass Union und FDP den Ausstieg aus der Atomenergie "faktisch aufgekündigt" hätten. Dadurch sei ein Konflikt, der beigelegt schien, neu entfacht worden. Viele Menschen, die hofften, dass die Laufzeiten der Atomkraftwerke begrenzt werden, seien nun besorgt und beunruhigt.

Der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus appellierte unterdessen an die Atomgegner, Gorleben als nationales Endlager zu akzeptieren. "Wir haben das Endlager, und ich finde, es gibt klare Beschlüsse", sagte der CDU-Politiker in Berlin.

Grüne und SPD fordern neue Debatte

Wer die Begrenzung der Atomlaufzeiten wolle - was er nicht teile -, der müsse auch zu dem Endlager stehen. "Der Müll muss entsprechend versorgt und gelagert werden", sagte Althaus. "Deshalb würde ich mir wünschen, dass die Leute sehen, dass der Konsens auf beiden Seiten eingehalten wird."

Vertreter von Grünen und SPD forderten hingegen, die Suche nach einem Atommüllendlager neu zu beginnen. "Ich glaube, dass man die Suche neu aufmachen muss, damals ist ja politisch entschieden worden für Gorleben", sagte die stellvertretende Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Bärbel Höhn, im Bayerischen Rundfunk.

Gorleben habe viele Schwächen. Man müsse ähnlich wie in Frankreich und in der Schweiz eine offene Suche durchführen, auch mit Alternativstandorten, um dann zu sehen, wo "der bestmögliche Standort" ist. Bei Gorleben sei nicht sicher, dass es sich um die beste Wahl handele. "Da muss man auch andere untersuchen."

Auch Umweltstaatssekretär Michael Müller (SPD) äußerte Zweifel am Standort Gorleben. Im ARD-"Morgenmagazin" erklärte der Politiker: "Wir wollen ein offenes Verfahren. Es gibt ja beispielsweise auch durch das Verfahren in der Schweiz Kriterien, wie man es anders machen könnte als in Deutschland."

© Reuters/AFP/AP/dpa/ots/gal/ihe/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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