Amerikanischer Drohnenkrieg:Was die Regierung unter Aufklärung versteht

Training the drones

Nur ein Übungsflug: Eine Drohne vom Typ Predator wird in Victorville, Kalifornien auf den Start vorbereitet.

(Foto: Don Bartletti/Los Angeles Times/Polaris)

Haben die USA Drohnenflüge von Stützpunkten in Deutschland aus organisiert? Washington dementiert. Berlin ist damit zufrieden - obwohl sich die Bundesregierung womöglich eines Verbrechens schuldig macht.

Von John Goetz und Frederik Obermaier

Es ist schon ein bemerkenswerter Vorgang und er wirft Fragen auf. Etwa, wie ernst es die Bundesregierung mit der Aufklärung wirklich nimmt, wenn die Vereinigten Staaten betroffen sind: Da erfährt sie aus der Zeitung, dass ihr amerikanischer Verbündeter von deutschem Boden aus den völkerrechtlich umstrittenen Drohnenkrieg unterstützt, dass Deutschland sich damit womöglich eines Verbrechens schuldig macht. Und was macht Berlin? Schickt einen Fragebogen nach Amerika. Damit ist die Sache erst mal erledigt.

So geschehen, nachdem SZ, NDR und WDR im Jahr 2013 über Deutschlands Rolle im US-Drohnenkrieg berichtet hatten. Angriffe in Somalia - wie jener am vergangenen Freitag, bei dem drei Männer getötet wurden - werden demnach vom US-Oberkommando Africom in Stuttgart mitbefehligt. Daneben spielt der US-Stützpunkt in Ramstein auch bei Drohnenangriffen in Pakistan und in Jemen eine zentrale Rolle. Die Daten der ferngesteuerten Fluggeräte werden den Recherchen zufolge via Ramstein an die Piloten übermittelt. Auch eine wichtige Analysezentrale für Drohneneinsätze hat dort ihren Sitz.

Ohne die deutschen Airbases wären die Angriffe wohl gar nicht möglich

Das alles klingt sehr technisch, doch in der Summe zeigen Details, dass amerikanische Drohnenangriffe am Hindukusch sowie am Horn von Afrika - bei denen auch regelmäßig Zivilisten getötet werden - ohne die amerikanischen Stützpunkte in Deutschland nicht möglich wären. "Es ist egal, wo die Drohnen im Einsatz sind: Immer fließen ihre Daten über Ramstein", sagt der Ex-Drohnenpilot Brandon Bryant. Für kurze Zeit, so berichtete es der Autor Richard Whittle vor Kurzem, saßen sogar die Piloten bewaffneter Drohnen in Ramstein.

Mittlerweile beschäftigen die US-Drohnen auch die deutsche Justiz. Angehörige von Opfern eines Angriffs in Jemen haben vor dem Verwaltungsgericht Köln Klage eingereicht. Seit 2013 prüft zudem die Bundesanwaltschaft, ob sie ein Ermittlungsverfahren eröffnen soll. Die Prüfung dauert nach Angaben der Behörde noch an.

Was weiß die Bundesregierung? Oder besser: Was müsste sie wissen?

Für die Bundesregierung steht viel auf dem Spiel: Laut einem Bundestagsgutachten aus dem Jahr 2014 darf Deutschland "völkerrechtswidrige Militäroperationen", die "durch ausländische Staaten von deutschem Territorium" aus durchgeführt werden, nicht dulden. Wenn Berlin davon wisse, dass das US-Militär Terrorverdächtige völkerrechtswidrig per Drohne hinrichte, aber nichts dagegen unternehme, könnte dies "eine Beteiligung an einem völkerrechtlichen Delikt darstellen". Die Frage ist nur: Was weiß die Bundesregierung eigentlich? Oder anders: Wie viel müsste sie wissen?

Ein Mitarbeiter des Bundesverteidigungsministeriums witterte jedenfalls schon früh Gefahr. Wenige Tage nach den ersten Medienberichten über Ramstein, Africom und Co. warnte er seinen Chef: Es könne verhängnisvoll werden, wenn man der Öffentlichkeit lediglich mitteile, dass die Bundesregierung nichts wisse über grundgesetzwidriges Handeln. Bei der Bevölkerung könne dies "zur Feststellung führen, dass diese ein Informationsdefizit bezüglich der Aktivitäten der US-Streitkräfte in Deutschland habe". Einfacher ausgedrückt: Die Bürger könnten vermuten, dass die Regierung keinen Schimmer hat, was ihre amerikanischen Verbündeten auf deutschem Boden so alles treiben.

Berlin verlässt sich allein auf das, was Washington sagt

In den folgenden Monaten versicherte die Regierung, man nehme entsprechende Medienberichte ernst, außerdem erinnere man die Amerikaner "fortgesetzt", "eindringlich", "mit Nachdruck" sowie "fortgesetzt eindringlich" an die Beantwortung ihres Drohnen-Fragebogens. Auf Fragen von Journalisten und Parlamentariern antwortete die Regierung stets, dass von US-Stützpunkten aus bewaffnete Drohnen "weder geflogen noch befehligt werden". In dieser Woche hieß es schließlich: Drohnen würden von Deutschland aus "in keiner Weise gesteuert" oder entsprechende Flüge "durchgeführt" und die Befehle für ihre Einsätze in Afrika kämen aus Washington, nicht etwa aus Stuttgart. Das alles weiß die Bundesregierung jedoch nicht etwa, weil sie ihre Experten gefragt und sich Zugang zu den Stützpunkten verschafft hätte. Nein, die US-Regierung hat es so mitgeteilt. Darauf verlässt sich Deutschland.

Will die Regierung keine Aufklärung?

Jenen "Fragebogen", auf dessen Beantwortung die Bundesregierung angeblich so gedrungen hat, erachteten die Amerikaner jedenfalls "als beantwortet", teilte das Auswärtige Amt jüngst auf Fragen der Linkspartei-Abgeordneten Andrej Hunko und Niema Movassat mit. Man sehe die Angelegenheit damit als "geklärt" an, schrieb eine Staatssekretärin. Die Fragen bleiben also weitgehend unbeantwortet. Und die Bundesregierung nimmt das einfach so hin. "Das Auswärtige Amt will keine Aufklärung, inwiefern US-Standorte in Deutschland am tödlichen Drohnenkrieg der US-Armee in Afrika und Asien beteiligt sind", kritisieren die Parlamentarier Hunko und Movassat. "Das ist nicht nur undemokratisch, sondern es erfüllt den Tatbestand der Strafvereitelung."

Bleibt noch der NSA-Untersuchungsausschuss. Neben der Spionage gehört auch Deutschlands Rolle im US-Drohnenkrieg zum Untersuchungsauftrag. Mehrere Ministerien haben bereits Hunderte Seiten an den Ausschuss geschickt. Auf einigen Seiten, die SZ und NDR einsehen konnten, geht es um ein Gespräch des Auswärtigen Amtes mit dem damaligen US-Verteidigungsminister Chuck Hagel im Jahr 2014. Thema war die Rolle der amerikanischen Stützpunkte in Deutschland bei Drohnenangriffen. Was genau sie dabei besprochen haben, wie viel oder wenig die deutsche Seite nachgebohrt hat, erfahren die Mitglieder des Untersuchungsausschusses aus den Dokumenten allerdings nicht. Das Auswärtige Amt hat die entsprechenden Angaben geschwärzt. Zum Wohle des Staates, wie auf den Unterlagen vermerkt ist.

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