Afrika:Die Mär vom schwachen Milizenführer

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Die Jagd ist offiziell beendet, doch Experten warnen vor Konys Armee.

Von Isabel Pfaff, München

Er gilt als der bekannteste und meistgesuchte Verbrecher Afrikas - und doch entkommt er seinen Verfolgern seit knapp 30 Jahren immer wieder: Joseph Kony, Gründer und Anführer der berüchtigten Miliz "Lord's Resistance Army" (LRA). Kony, geboren im Norden Ugandas und heute wohl etwa 55 Jahre alt, gründete die LRA Mitte der 1980er-Jahre. Unter einem christlich-fundamentalistischen Label begann seine Miliz gegen die ugandische Regierung zu kämpfen und terrorisierte dabei fast zwei Jahrzehnte lang die Bewohner Nordugandas. Verfolgt von der ugandischen Armee wichen die Kämpfer schließlich in die Wälder der Nachbarstaaten aus. Die LRA soll mehr als 100 000 Menschen getötet und Zehntausende entführt und versklavt haben - mehrheitlich Kinder.

Vor Kurzem haben die ugandischen Streitkräfte angekündigt, ihre jahrzehntelange Jagd auf Kony zu beenden. Auch die etwa 100 US-Spezialkräfte, die die Ugander seit 2011 bei ihrer Verfolgung unterstützten, werden auf Betreiben des neuen US-Präsidenten Donald Trump gerade abgezogen. Die Begründung in beiden Fällen: Kony und seine LRA seien derart geschwächt, dass sie keine Gefahr mehr darstellten. Doch immer mehr Beobachter warnen nun: Diese Einschätzung könnte ein Trugschluss sein.

Zwar ist die LRA seit einigen Jahren tatsächlich nur noch ein Schatten der einst gefürchteten Miliz von etwa 20 000 Mann. Experten schätzen, dass sie auf weniger als 100 Mitglieder geschrumpft ist. Das hängt zum einen mit den politischen Entwicklungen in der Region Zentralafrika zusammen: Kony konnte lange Jahre auf die Unterstützung der sudanesischen Regierung zählen, die ein Interesse daran hatte, Ugandas Regierung zu schwächen. Diese nämlich unterstützte die Unabhängigkeitsbewegung im Südsudan. Mit dessen Abspaltung vom Norden 2011 wurde Konys LRA für das Regime in Khartum wertlos.

Zum anderen hat sich das Amnestie-Programm der ugandischen Regierung als erfolgreich erwiesen: Seit 2000 haben etwa 13 000 LRA-Kämpfer in diesem Rahmen ihre Waffen niedergelegt. Die Berichte der Deserteure bestätigen die Schätzungen zur aktuellen Größe der Miliz. "Die LRA befindet sich in Auflösung", sagte etwa Bosco Kilama vor wenigen Wochen bei einer Pressekonferenz in Uganda. Der hochrangige LRA-Kommandeur hat sich den ugandischen Behörden vergangenen Monat gestellt. "Kony wird alt und verliert den Einfluss auf seine Soldaten."

Trotzdem halten mehrere Beobachter den Abzug der ugandischen und US-amerikanischen Truppen für verfrüht. Martin Ewi, Forscher am südafrikanischen Institute for Security Studies, warnt vor dem "riesigen Vakuum", das nun in den Gebieten entstehe, wo ugandische und amerikanische Soldaten bis vor Kurzem operierten. Seiner Ansicht nach war es, neben anderen Faktoren, auch die militärische Präsenz, die die LRA zuletzt klein gehalten hatte.

Das Haupteinsatzgebiet der Truppen war der Osten der Zentralafrikanischen Republik - ein Landstrich, der auch ohne die LRA seit Jahren unter Krieg und Gewalt leidet. Lokale Milizen nutzen dort das Machtvakuum, attackieren Zivilisten und finanzieren sich über Holz-, Elfenbein- und Diamantenschmuggel. Ohne den militärischen Druck Ugandas und der USA könnten sich die LRA-Kämpfer auf ähnliche Weise am Leben halten und neu formieren - und damit die gesetzlose Region zwischen Uganda, Kongo, dem Südsudan und der Zentralafrikanischen Republik noch unsicherer machen als sie ohnehin schon ist.

Auch die Rechercheure des "LRA Crisis Tracker" geben keine Entwarnung. Sie sammeln und analysieren die Aktivitäten der LRA seit 2011. Demnach geht der Terror der Miliz bis heute weiter, egal wie geschwächt sie ist: In den vergangenen zwölf Monaten allein soll die LRA 12 Menschen getötet und 548 entführt haben. Das sind zwar weniger Angriffe als in den Jahren zuvor. Doch die Zahlen, so warnte der Analyst Ewi schon im vergangenen Jahr, könnten rasch wieder steigen, wenn die Regionen sich selbst überlassen werden.

Joseph Kony mag nicht mehr der mächtige, grausam-berüchtigte Rebellenführer sein, den die Welt in griffigen Medienkampagnen einst kennenlernte. Die Bevölkerung ist trotzdem noch immer nicht sicher vor seiner Miliz.

© SZ vom 05.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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