AfD:Tote sind nicht rechtlos

Lesezeit: 4 min

Darf die Partei ihre Stiftung nach Gustav Stresemann benennen? Die Enkel des nationalliberalen Staatsmannes wehren sich dagegen - und hätten vor Gericht gute Chancen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Man kann nicht behaupten, die AfD und jene, die sie unterstützen, lägen auf der faulen Haut. Noch schwelt der Streit darüber, ob die AfD sich einer Stiftung bedienen darf, die den Namen Gustav Stresemanns trägt; die AfD hat darüber noch nicht entschieden. Derweil beeilt sich die in Jena ansässige, seit 2011 zunächst nur als juristische Hülle existierende Gustav-Stresemann-Stiftung, den möglichen Rechtsstreit für eine Märtyrerkampagne zu nutzen. Die Stiftung müsse gegen "erhebliche Widerstände" agieren, man wolle ihr "aus Gründen der Zeitgeisterei den Namen Stresemann streitig machen", heißt es in einem Spendenaufruf auf der Homepage. Es werde sogar behauptet, "der nationalliberale Realpolitiker würde heute die beharrlichen Rechtsbrüche der rotgrünschwarzen Einwanderungspolitik unterstützen", steht dort anklagend auf rotem Grund. Wer das wann und wo behauptet hat? Das bleibt raunend im Dunkeln.

Eine Klage könnte verhindern, dass sich die Euro-Gegner auf den Pro-Europäer berufen

Dass es - sollte die AfD das Vorhaben wirklich umsetzen - zur Klage kommt, ist absehbar. Die Enkel Walter und Christina Stresemann sind dazu fest entschlossen, aus nachvollziehbaren Gründen; Christina Stresemann, Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof, steht der AfD politisch wie habituell so fern, wie man einer Partei nur fernstehen kann, auch ihr Bruder war "schockiert", als er von den Plänen hörte. Dies nehmen sie auch für den Großvater in Anspruch: dass er zu einer rechtspopulistischen Partei, deren geistige Vorläufer ihn, Außenminister in der Weimarer Republik, immer wieder scharf angegriffen haben, auch heute auf Distanz ginge.

Hätte die AfD tatsächlich eine Chance, vor Gericht den Namen für ihre Zwecke zu kapern? Weil Gustav Stresemann tot ist und sich nicht mehr dagegen wehren kann, dass der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland ihn für seine angeblich AfD-kompatible Außen- und Europapolitik vereinnahmt? Ein Blick auf die juristischen Argumente zeigt: Dass die Partei damit durchkäme, ist eher unwahrscheinlich.

Denn Tote sind keineswegs rechtlos. Seit der Mephisto-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1971 weiß man, dass der Anspruch auf Ehre und Respekt über den Todestag hinauswirken kann; man spricht hier vom "postmortalen Persönlichkeitsrecht". Damals ging es um das Buch von Klaus Mann über den ehrgeizigen Opportunisten Hendrik Höfgen, der in der Nazizeit Karriere als Schauspieler gemacht hatte - eine Romanfigur, hinter welcher der 1963 gestorbene Gustaf Gründgens nur allzu leicht zu erkennen war. 1998 griff das Oberlandesgericht Köln diesen Ansatz in einem Verfahren auf, der dem aktuellen Stiftungsstreit ähnlich ist. Es ging um einen Wahlslogan einer rechtsradikalen Partei: "Auch Konrad Adenauer und Kurt Schumacher würden deshalb heute Die Republikaner wählen." Adenauers Enkel zog vor Gericht und bekam Recht. Der einstige Bundeskanzler werde "gegen grobe Entstellungen seines abgeschlossenen Lebensbildes, gegen die er sich nicht mehr selbst verteidigen kann, auf Verlangen seiner Angehörigen geschützt".

Natürlich wäre absehbar, dass in so einem Prozess über das Weltbild des nationalliberalen Politikers gestritten würde. "Er wollte die Außenpolitik Bismarcks fortsetzen und Deutschland wieder als gleichberechtigten Spieler im Konzert der Mächte etablieren", sagte Gauland der FAZ. "Er wird zu Unrecht für die Idee der Vereinigten Staaten von Europa in Anspruch genommen. Die hat er nie gewollt." Richtig daran ist, dass zu Stresemanns Zeiten niemand von den Vereinigten Staaten von Europa gesprochen hat und damit auch Stresemann nicht. Trotzdem vernebelt Gaulands Aussage die tiefe Kluft, die sich zwischen dem damals proeuropäisch handelnden Außenminister und den Anti-Europäern von der AfD auftut. Stresemann hat 1925 mit den Verträgen von Locarno einen deutsch-französischen Verständigungskurs begründet und die Grundlage für die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund gelegt. Dafür erhielt er 1926 den Friedensnobelpreis. "Ich lehne es ab, die wirtschaftliche Vereinigung und Vereinfachung der europäischen Staaten als eine Utopie anzusehen. Ich halte es vielmehr für eine unbedingte Pflicht, in dieser Richtung zu arbeiten", sagte er 1929, bereits todkrank, in seiner letzten Rede vor dem Völkerbund. Über seinen Tod berichteten die Pariser Morgenzeitungen in größter Aufmachung, schrieb der Publizist Harry Graf Kessler in sein Tagebuch. "Es ist fast so als ob der größte französische Staatsmann gestorben wäre."

Und die AfD? Will laut Parteiprogramm erst einmal den Euro abschaffen - den übrigens Stresemann bereits in seiner Völkerbund-Rede vorausgedacht hatte: "Wo bleibt in Europa die europäische Münze, die europäische Briefmarke?"

Es dürfte den Enkeln also nicht allzu schwerfallen, den Unterschied zwischen Stresemann und der AfD deutlich zu machen. Komplizierter wäre wohl die Frage, ob der Persönlichkeitsschutz eine derart lange Zeit über den Tod hinaus wirkt. Falls nicht, hätten sie aber noch einen zweiten Trumpf auf der Hand: das Namensrecht. Es gibt ein ziemlich frisches BGH-Urteil, das wie gemacht ist für die Causa Stresemann. Es geht dort um ein Landgut unweit von Berlin, das einst im Eigentum der Industriellenfamilie Borsig gestanden hatte. Seit 2004 bietet ein neuer Eigentümer kulturelle Veranstaltungen an - und wollte sein Anwesen mit dem Namen Borsig schmücken. Ein Nachfahre der Familie klagte und gewann - weil sich der neue Gutsbesitzer seinen Namen angemaßt hat.

In dem Urteil von 2015 prägt der BGH den sprechenden Begriff "namensmäßige Zuordnungsverwirrung". Eine solche "Verwirrung" könne auch dann eintreten, wenn ein Name zur Kennzeichnung "bestimmter Bestrebungen" genutzt werde, mit denen dann Familienangehörige in Verbindung gebracht würden. Dagegen können sie einschreiten, sobald der falsche Eindruck entstehe, "der engste lebende Nachfahre einer Familie habe dem Benutzer ein Recht zur Verwendung des Familiennamens unter Hinzufügung des Vornamens eines verstorbenen Familienangehörigen erteilt". Also genau wie bei Stresemann versus AfD: Die Enkel wehren sich ja auch deshalb, weil sie nicht in die Nähe einer Partei gerückt werden wollen, die sie nicht unterstützen. Das müsste gar nicht die böse AfD sein, es kann auch Gründe geben, warum man generell Distanz zu Parteien hält.

Das Namensrecht dürfte im Prozess die einfacher zu spielende Karte sein. Es käme nicht darauf an, wie sich nun die Stresemann'sche Politik zum AfD-Programm verhält - eine Frage, für die jede Seite vermutlich Historiker und Politologen aufbieten würde. Laut BGH reicht für eine Abwehr der Namensokkupation "bereits das Interesse des Namensträgers, nicht mit anderen Personen (...) in Beziehung gebracht zu werden." Und dieses Interesse ist bei den Enkeln Stresemanns wirklich nicht zu übersehen.

© SZ vom 06.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: