US-Wahlkampf:Der Preis der Unabhängigkeit

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Um für mögliche Schmutzkampagnen gerüstet zu sein, verzichtet Barack Obama auf staatliche Hilfen - er bevorzugt das Geld seiner Kleinspender. Und hat damit großen Erfolg.

Christian Wernicke, Washington

Barack Obama liebt das Pathos, die große Geste. Selbst, wenn es um Kleingeld geht. "Inspiriere jemanden, seine Unabhängigkeit zu erklären", ruft der Demokrat per Video im Internet seinen Anhängern zu. Potentielle Gönner erhalten E-Mails, die an die "Declaration of Independence" erinnern, das Dokument der Gründerväter von 1776: Bis zum 4. Juli, dem 232. Jubiläumstag der Erklärung, möchte Obama 75000 Mitbürger mobilisieren, per Obolus im Cyberspace "die erste wahrlich vom Volk finanzierte Präsidentschaftskampagne" zu unterstützen. Seine Bettelbriefe verklären jede Spende zum Akt der Befreiung von einem "zerrüttetem System" - per Mausklick, ab 25 Dollar.

Barack Obama hat mit seiner Strategie das meiste Geld in der Geschichte eines amerikanischen Wahlkampfes gesammelt. (Foto: Foto: AP)

Das System, das Obama da schilt, ist Amerikas staatliche Wahlkampffinanzierung. Den Zwängen dieses Paragraphenwerks hat sich der Demokrat, zum leisen Entsetzen vieler Parteifreunde, soeben entzogen - als erster Kandidat seit 1972. Damals hatte der Kongress unter dem Eindruck des Watergate-Skandals die öffentlichen Zuschüsse eingeführt, um den Einfluss des großen Geldes auf die Politik zurückzudrängen.

Obama hat mehrfach versprochen, er wolle - wenn sein republikanischer Gegner denn systemgerechte Waffengleichheit akzeptiere - sich den Regeln unterwerfen. John McCain sagte zu, Obama widerrief nun dennoch. Das Recht zu solch einem "Opt-out" hat der Senator. Aber Amerikas Medien und die Republikaner halten ihm "Heuchelei" und " Wortbruch" vor.

Größter Eintreiber aller Zeiten

Laut Gesetz stehen den Kandidaten der beiden großen US-Parteien im Kampf um das Weiße Haus 2008 jeweils 84,1 Millionen Dollar zu. Die Steuergelder strömen, sobald die zwei Präsidentschaftsbewerber von ihren Parteitagen offiziell nominiert worden sind. Diese Krönung erwartet Obama Ende August, die Republikaner wollen John McCain Anfang September auf den Schild heben.

Eine Bedingung für die Finanzspritze aus Washington jedoch ist, dass die Aspiranten ihre Kriegskasse deckeln und auf private Spenden verzichten. 84 Millionen Dollar für neun Wochen Kampagne bis zum 4. November, dem Wahltag - das sollte schließlich genügen. Obama will mehr. Längst hat er sich an mehr gewöhnt. Der anfängliche Außenseiter ist der größte Spendeneintreiber in der Geschichte aller amerikanischen Kampagnen. Mit 287 Millionen Dollar sammelte er von Januar 2007 bis Ende Mai bereits mehr Geld ein als George W. Bush im gesamten Wahlkampf vor vier Jahren (271,8 Mio).

Zum Vergleich: John McCain brachte es bisher auf 115 Millionen. Zwar hat Obama einen Rückgang bei seinen Spenden hinnehmen müssen. Den von der Wahlkommission am Samstag veröffentlichten Zahlen zufolge erhielt er im Mai 21,9 Millionen Dollar von seinen Anhängern. Das waren deutlich weniger als in den Monaten zuvor. Durchschnittlich nimmt Obamas Kampagne aber täglich eine Million Dollar ein, und das Geld fließt schnell wieder ab. Seine PR-Manager erkundigten sich beim TV-Sender NBC sogar nach den Preisen für die teuerste Sendezeit der Saison - nach den Werbepausen während der Olympia-Übertragungen.

Obama rechtfertigt seinen Systembruch als Tat im eigentlichen Sinne des Gesetzes. Nicht Konzerne oder Washingtoner Lobbyisten, sondern die kleinen Leute hätten seinen Wahlkampf finanziell befeuert: 93 Prozent der mehr als drei Millionen Überweisungen an seine Kampagne waren Beträge unter 200 Dollar - also weit weniger als das gesetzliche Limit von 2300 Dollar pro US-Bürger. Vor allem das Internet spülte ihm eine Flut von Kleinstspenden aufs Konto. Das sei, so schwärmt Obama, "eine neue Art der Politik" - seine Kasse sei voll, ohne dass er auf Tribute angewiesen sei, die mit heimlicher Hoffnung auf Gefälligkeiten unterschrieben worden seien. Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Obama sammelte zugleich mehr Schecks über eintausend oder mehr Dollar ein als Hillary Clinton, über deren Großspender sich der "Underdog" aus Chicago noch vergangenes Jahr gern mokierte.

Kein Feind in Sicht

Mehr Verständnis erntet Obama, wenn er seine Absage an den Millionenzuschuss vom Staat als Notwehr erklärt. Denn Republikaner spenden anders als Demokraten. Konservative Sponsoren zahlen lieber aufs Konto ihrer Partei. Der Kassenwart der Republikaner zählte Ende Mai 54 Millionen Dollar auf dem Konto, sein linker Kollege nur vier. Und Amerikas Linken und Liberalen steckt die Erinnerung an 2004 in den Knochen, als ein paar Millionäre eine Hetzkampagne gegen John Kerry alimentierten und (mutmaßlich wahlentscheidend) dessen Leumund als Vietnamsoldat mit Lügen zersetzten. "Wir sehen uns Gegnern ausgesetzt, die sich als Meister erwiesen haben im Spiel mit dem zerbrochenen System", sagte Obama.

Will sagen: Er müsse, um sich und seine Frau Michelle gegen Schmähkampagnen der äußersten Rechten zu schützen, die Fesseln des öffentlichen Systems abwerfen. Leider. Bisher ist aber nirgendwo ein solcher Feind zu entdecken. John McCain, als Senator Co-Autor restriktiver Gesetze zur Parteienfinanzierung, hat erklärt, er missbillige Schmutzkampagnen. Und die republikanischen Spender zaudern, weil das System strenger geworden ist - und weil, so sagt ein Berater, "niemand gern seine Millionen hergibt, um sich von McCain dann abbürsten zu lassen".

Barack Obama verspricht derweil, er wolle als Präsident eine Reform der Wahlkampffinanzierung vorantreiben. Um (auch) das zu erreichen, rief er zu erneuten Spenden auf. Obamas Berater glauben, er müsse mindestens 200, besser 300 Millionen Dollar bunkern, um die letzten neun Wochen des Wahlkampfs durchzustehen. Unabhängigkeit hat ihren Preis.

© SZ vom 23.06.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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