Stuttgart 21: Abkratzprämie:20 Cent für einen Aufkleber

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Zwei Lokalpolitiker ärgern sich über die vielen Stuttgart-21-Aufkleber - und zahlen aus eigener Tasche eine Prämie. Die Reaktionen auf die Idee sind heftig: Initiator Rainer Kußmaul klagt über seltsame Gerüchte und "Psychoterror".

Laura Martin

Erst der Bahnhof, jetzt die Aufkleber: Stuttgart diskutiert über eine sogenannte "Abkratzprämie". Zusätzlich zu den Protesten gegen den Umbau des Bahnhofs zieren zahlreiche Aufkleber die Straßen. CDU-Stadtrat Dieter Wahl und der ehemalige SPD-Stadtrat Rainer Kußmaul empfinden das als Ärgernis und haben eine Belohnung für jeden entfernten Aufkleber ausgesetzt.

Am eigenen Körper können die Aufkleber ruhig bleiben, ebenso an dem eigenen Auto oder Rucksack. Im öffentlichen Bereich möchte der Altstadtrat Rainer Kußmaul die Aufkleber aber nicht sehen. (Foto: AFP)

sueddeutsche.de: Herr Kußmaul, Sie bieten ein besonderes Geschäft an: Für jeden abgekratzten Aufkleber bekommt man von Ihnen und dem CDU-Stadtrat Dieter Wahl 20 Cent. Sind es wirklich so viele Aufkleber, die in den Straßen Stuttgarts kleben?

Rainer Kußmaul: Hier in meiner Nähe waren über Monate hinweg an jedem Ampelmasten mindestens zehn Stück. Das ist ganz scheußlich. Gestern waren es interessanterweise an jedem Masten nur noch zwei. Aber das ist in jedem Viertel unterschiedlich. In der Innenstadt sind die Aufkleber an allen Ecken und Enden.

sueddeutsche.de: Aber es kleben doch nicht nur Aufkleber gegen den Umbau des Bahnhofs an den Wänden der Stadt.

Kußmaul: Wir haben in unserer Presseerklärung klar gesagt, dass es alle Aufkleber zum Projekt 21 betrifft. Es ist keine Aktion für oder gegen Stuttgart 21, sondern eine Aktion dafür, dass der Stadtraum allen Bürgern gehört. Denn viele haben jetzt das Gefühl, die Stadt gehöre den Stuttgart 21-Gegnern.

sueddeutsche.de: Und wie sind die Reaktionen?

Kußmaul: Wir werden in übelster Weise beschimpft, es herrscht eine Stimmung des Psychoterrors. Wir haben nicht aufgerufen, Aufkleber von Autos, Rucksäcken und Fahrrädern abzukratzen und so möglicherweise die Fahrzeuge zu beschädigen. Aber das Aktionsbündnis K21, das für den Erhalt des Kopfbahnhofes kämpft, hat uns schon gedroht, dass wir wegen Sachbeschädigung angezeigt werden, sobald so ein Fall auftritt. Da kann ich nur lachen.

sueddeutsche.de: An seinem Auto kann ja jeder machen, was er will...

Kußmaul: Genau, wir haben in unserer Erklärung ganz klar nur von den illegalen Aufklebern im öffentlichen Raum gesprochen. Von mir aus kann einer 1000 Aufkleber auf sein Auto kleben. Wer jetzt Aufkleber entfernt, wird fast schon als Gewalttäter dargestellt. So ist die Stimmung in Stuttgart.

sueddeutsche.de: Stehen die Abkratzer schon bei Ihnen Schlange, um sich ihre Belohnung für die Aufkleber abzuholen?

Kußmaul: Heute Morgen ist ein Hausmeister gekommen und hat 30 Stück abgeliefert. Er hat seine sechs Euro bekommen. Bei unserer Sekretärin hat sich einer gemeldet und gesagt, er wolle 600 Stück bringen, er sei aber noch am Arbeiten. Kleiner Gag: Neulich hat jemand sieben Aufkleber abgegeben und gedacht, dass es pro Aufkleber 20 Euro gibt, der war dann tieftraurig. Die CDU hat schätzungsweise um die 50 gesammelt.

sueddeutsche.de: Kein schlechtes Resultat.

Kußmaul: Es gibt auch schon Gerüchte, dass die Umbau-Gegner ihre Aufkleber einfach so bringen, also geschwind hinten das Papier wegreißen. Nach dem Motto: Die haben nur drei Cent gekostet und bei uns kriegen sie 20, und dann können sie wieder neue Aktionen damit finanzieren. Wie man damit umgeht, das müssen wir noch sehen, erst sollen sie mal kommen. Aber es bauscht sich zum großen Ding auf. Es war von uns als kleine popelige Aktion gedacht, dass es jetzt so eine große Außenwirkung erzielt, ist erstaunlich.

sueddeutsche.de: Das scheint ja durchaus kompliziert zu sein. Was ist denn, wenn man so einen Aufkleber gar nicht im Ganzen abkriegt, sondern nur mit einem halben kommt?

Kußmaul: Da muss man um Gottes Willen großzügig sein. Es kann nur nicht sein, dass dann einer mit 30, 40 Stück kommt, die alle nur halb sind. Das soll natürlich nicht sein. Einzelne ja. Aber ich hab schon den Eindruck, dass wir da jetzt noch ein Regelwerk erstellen müssten. Aber dazu haben wir keine Zeit und keine Lust.

sueddeutsche.de: Wie wird die Prämie finanziert?

Kußmaul: Ich habe 200 Euro gegeben, in kleinen Scheinen. Der Herr Wahl von der CDU hat es genauso gemacht und wenn die 400 Euro aufgebraucht sind, ist Schluss. Aber wir hoffen, dass durch die Aktion Bürger sagen: Ich geb auch 20 oder 30 Euro. Das sagen wir immer wieder in den Interviews - das Interesse der Medien ist unglaublich und der Aktion gar nicht angemessen.

sueddeutsche.de: Warum überlassen Sie die Aufgabe nicht der Stadtreinigung?

Kußmaul: Da wird nichts gemacht. Die Dinger hängen, es geschieht nichts.

sueddeutsche.de: Haben Sie selbst auch schon mal einen Aufkleber abgekratzt?

Kußmaul: Ja, ich habe gestern, als die Bild-Zeitung kam, für das Foto einen abgekratzt. Also nicht wirklich abgekratzt: Man muss mit dem Finger an der Ecke so ein bisschen ziehen bis es so drei, vier Millimeter absteht, und dann kann man den Rest abziehen.

sueddeutsche.de: Das haben Sie aber nur getan, als die Bild-Zeitung da war? Oder machen Sie es auch sonst privat?

Kußmaul: Nein, ich mache das nicht. Aber in meinem Bekanntenkreis ist ein Freund, für den ist das schon ein Hobby. Der zieht die immer ab, sobald er welche sieht, und da kam mir der Gedanke, eine Prämie auszusetzen. Das war mir dann die 200 Euro wert. Ich bin ja Polit-Rentner, ich brauche mich eigentlich nicht mehr in der Öffentlichkeit profilieren.

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