32-Stunden-Woche für Eltern:Was die "Vision" der Ministerin für Familien bedeuten würde

Weniger Arbeit, mehr Zeit für die Familie: Obwohl die Bundesregierung die Ministerin auflaufen lässt, sorgt Manuela Schwesigs Forderung für Aufsehen. Welche Auswirkungen hätte die 32-Stunden-Woche? Und wie reagiert die Frauenlobby?

Von Johanna Bruckner, Nakissa Salavati und Markus C. Schulte von Drach

Manuela Schwesig ist Familienministerin - und damit Mitglied der Bundesregierung. Als Familienministerin hat sie den Vorschlag gemacht, eine Familienarbeitszeit von 32 Stunden pro Woche einzuführen. Es ist ihr erster inhaltlicher Vorstoß im neuen Amt, die Ministerin sendet damit ein wichtiges Zeichen, zeigt, was ihr wichtig ist, wohin sie will.

Trotzdem hat sie sich damit ihre erste Abfuhr aus den eigenen Reihen eingehandelt. Die Idee sei in dieser Legislaturperiode kein Thema, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. "Ministerin Schwesig hat da einen persönlichen Debattenbeitrag gemacht. Sie selber spricht ja von ihrer Vision", sagte Seibert. Kern für die schwarz-rote Koalition werde es sein, das bereits im Koalitionsvertrag vorgesehene "Elterngeld Plus" umzusetzen und den Ausbau der Betreuungsplätze voranzubringen. Darüber hinaus werde die Regierung für eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeiten sorgen, "ohne dabei zusätzliches Steuergeld einzusetzen".

Auch eine Sprecherin der Ministerin sagte, für Schwesig stehe zunächst das Elterngeld Plus im Vordergrund, das einen ersten Schritt zu einer Familienarbeitszeit markiere. Diese wiederum sei für Schwesig ein langfristiges Ziel. Diesen Eindruck hatte Schwesig allerdings nicht vermittelt. Deshalb hatte ihr Vorschlag hohe Wellen geschlagen.

Was hat Manuela Schwesig konkret vorgeschlagen?

Acht Stunden mehr Zeit sollen Eltern für den Nachwuchs haben - zumindest in den ersten drei Lebensjahren der Kinder. Das ist das Ziel, das Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) mit ihrem Vorschlag einer verkürzten Wochenarbeitszeit für Eltern verfolgt. Wie sie erklärte, sollen bei berufstätigen Paaren beide Elternteile statt einer 40-Stunden-Woche eine kürzere "Familienarbeitszeit" von zum Beispiel 32 Stunden als Regelarbeitszeit vereinbaren können.

Paare sollen dadurch möglichst wenig finanzielle Einbußen oder andere Nachteile erleiden - aber wie das gehen soll, ist noch nicht klar. Schwesig spricht von einem Partnerschaftsbonus und davon, dass "ein Teil des Lohnausfalls" aus Steuermitteln erstattet werden könnte. Das heißt, der Staat soll einspringen. "Vollzeit muss für Eltern neu definiert werden", sagte Schwesig dem Handeslblatt.

Unklar ist noch, ob Eltern einen Rechtsanspruch auf verkürzte Arbeitszeit erhalten sollten. Allerdings wird Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) Schwesig zufolge ein Gesetz einbringen, mit dem die Rückkehr der Eltern in Vollzeitarbeit gewährleistet würde.

Schwesigs Idee entspricht im Prinzip Vorschlägen einer Studie, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin im Auftrag der SPD- und gewerkschaftsnahen Friedrich-Ebert-Stiftung und der Hans-Böckler-Stiftung angefertigt hat. Darin heißt es: 60 Prozent der Eltern mit jungem Kind wünschten sich, dass beide Partner gleich viel arbeiten und Zeit für Haushalt und Familie haben. Den Wunsch könnten aber nur etwa 14 Prozent dieser Familien auch umsetzen.

Was verspricht sich die Familienministerin von ihrem Vorschlag?

Eltern sind gezwungen, Beruf und Familie bzw. die Betreuung der Kinder, unter einen Hut zu bringen. Meist bedeutet die Entscheidung für Kinder, dass ein Partner die Arbeit einschränkt oder sogar aufgibt. Es drohen finanzielle Nachteile und der berufliche Aufstieg oder die Weiterbildung sind gefährdet. Umfragen zeigen, dass es fast immer die Frauen sind, die sich in Familien um Kinder und Haushalt kümmern. Das bedeutet meist, dass sie die Arbeit mindestens auf Teilzeit reduzieren - und die führt selten bis in die Chefetage.

Wenn Eltern in der Woche acht Stunden oder - wenn beide sich beteiligen - sechzehn Stunden mehr Zeit für ihre Kinder zur Verfügung haben, sind das mehr eineinhalb bzw. drei Stunden pro Wochentag. Davon könnten Eltern und Kinder deutlich profitieren. Auch kann diese zusätzliche Zeit die Organisation der Kinderbetreuung etwa in Kitas erleichtert.

Schwesig zufolge wäre es auch für die Wirtschaft "ein großer Vorteil, wenn zukünftig mehr Fachkräfte, insbesondere gut ausgebildete Frauen, tätig sind, weil sie spüren: Beruf und Familie - das geht zusammen". Im ZDF-"Morgenmagazin" erklärte sie, vor allem kleine und mittlere Betriebe könnten dann damit rechnen, dass eine Frau nach der Elternzeit zurück in den Job kommt - wenn sie nicht die vollen 40 Stunden arbeiten muss.

Wie steht es derzeit um die Familienpolitik in Deutschland?

Väter oder Mütter haben derzeit die Möglichkeit, in den ersten zwölf oder 14 Monaten nach der Geburt eines Kindes vom Staat Elterngeld zu beziehen, wenn sie ihre Kinder selbst betreuen wollen. Sie müssen die Zeit aufteilen. Geht nur ein Elternteil in Auszeit, so wird für zwölf Monate gezahlt, gehen beide, stehen 14 Monate zur Verfügung. Eltern können mit 65 bis 100 Prozent des Einkommens rechnen, maximal allerdings mit 1800 Euro. Spitzenverdiener gehen leer aus. Wer nicht gearbeitet hat, erhält den Mindestbetrag von 300 Euro. Es ist möglich, Elterngeld zu erhalten, wenn die Teilzeitbeschäftigung nicht 30 Stunden pro Woche überschreitet.

Das Elterngeld sollte dazu führen, dass sich auch mehr Väter im ersten Jahr nach der Geburt um den Nachwuchs kümmern. Es hat sich jedoch gezeigt, dass der Großteil der Männer das Angebot des Gesetzgebers nicht in vollem Umfang nutzt.

Außerdem hat die Regierungskoalition ein ElterngeldPlus vereinbart. Eltern, die nach der Geburt in Teilzeit in die Arbeit zurückkehren, können demnach ein Elterngeld für 28 Monate erhalten, allerdings ist es dann nur halb so hoch wie das gewöhnliche Elterngeld. Nehmen beide Elternteile diese Möglichkeit in Anspruch, werden sie einen Bonus von zehn Prozent erhalten.

Neben dem Elterngeld behält die Koalition auch das Betreuungsgeld für Eltern bei, die für Kinder in den ersten drei Lebensjahren keine staatlich geförderte Betreuung - in einer Kita - in Anspruch nehmen. Es beträgt derzeit noch 100 Euro und kann vom 15. bis zum 36. Lebensmonat des Kindes bezogen werden.

Wie reagieren die Union und die Opposition auf Schwesigs Vorschlag?

Schon bevor Regierungssprecher Steffen Seibert vor die Presse getreten war, hatte es negative Reaktionen aus der Union gegeben. "Ich frage mich, wo das Geld herkommen soll." Diese Frage stellte sich Michael Fuchs (CDU), Vizevorsitzender der Unionsfraktion, in der Berliner Zeitung. Kurt Lauk, Chef des CDU-Wirtschaftsrats, bezeichnete den Vorschlag in der Bild-Zeitung als "Irrweg".

Von Grünen kam Zustimmung. Die Idee sei im Kern gut, sagte Fraktionschef Anton Hofreiter RP-Online. Eine Umsetzung sei aber wenig wahrscheinlich. Auch für die Linken geht Schwesigs Vorschlag in die richtige Richtung. Schließlich fordert die Partei ebenfalls eine vollzeitnahe Teilzeit bei vollem Lohnausgleich. Den Kindern zuliebe bräuchte Deutschland ein familienfreundlicheres Arbeitsklima für Frauen und Männer, so dass beide Eltern ohne finanzielle Einschnitte sich an der Erziehungsarbeit beteiligen können", sagte Fraktionsvize Klaus Ernst Handelsblatt Online.

Wie stehen Arbeitgeber und Gewerkschaften zu dem Vorschlag?

Die Arbeitgeber sträuben sich gegen einen politischen Eingriff: Teilzeit wie die 32-Stunden-Woche könne ein sinnvolles Modell sein, um Familie und Beruf zu vereinbaren, allerdings "muss die konkrete Ausgestaltung dann in den Betrieben gefunden werden", sagt Achim Dercks, Hauptgeschäftsführer vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). "Viele Arbeitgeber reagieren bereits flexibel auf die Bedürfnisse junger Familien und haben kreative Lösungen gefunden." Politische Eingriffe seien oft kontraproduktiv: Sie verhinderten individuell passende Modelle und seien "leider oft von mangelndem Verständnis für betriebliche Notwendigkeiten geprägt".

Für Jörg Wiedemuth, Tarifexperte bei Verdi, kommt dagegen die Politik endlich in der Realität an: "Der Vorschlag ist überfällig." Denn in der Regel würden Männer ihre Arbeitszeit gerne reduzieren, während teilzeitbeschäftigte Frauen lieber mehr arbeiten wollen. Völlig problemfrei sei Schwesigs Vorschlag allerdings nicht. Erstens müsse geklärt werden, wie hoch der Partnerbonus ausfalle: "Viele Familien können sich eine 32-Stunden-Woche nicht leisten, es müsste also möglichst der gesamte ausfallende Lohn ersetzt werden. Anders bei einkommensstarken Familien, sie können einen höheren Ausfall verkraften. Der Lohnausgleich muss also sozial gestaffelt werden". Außerdem: Wer ersetzt die Eltern am Arbeitsplatz? Betriebe müssten neu einstellen - wie und ob das funktioniere, darauf müsse Schwesig ebenfalls Antworten geben.

Wie reagiert die Frauenlobby?

Beide Elternteile haben mehr Zeit für die Familie, ohne Einkommenseinbußen befürchten zu müssen. Das klingt insbesondere aus Sicht der Frauen geradezu paradiesisch, sind sie es doch, die sich immer noch hauptsächlich um Kinderbetreuung und -erziehung kümmern - und dafür im Beruf zurückstecken. Lob für die Initiative von Familienministerin Schwesig kommt deshalb vom Deutschen Frauenrat, der Interessenvertretung von mehr als 50 Frauenverbänden in Deutschland. "Der besondere Charme ihres Vorschlages besteht darin, dass beide Elternteile gleichzeitig ihre Arbeitszeit verkürzen und somit ihre Familienaufgaben gleichberechtigt aufteilen können", kommentiert Hannelore Buls, Vorsitzende der Frauenlobby, den Vorschlag.

Der setzt allerdings auch voraus, dass tatsächlich Mütter wie Väter ihre Arbeitszeit reduzieren wollen, um sich mehr für und in der Familie zu engagieren. Beim Elterngeld hat sich jedoch gezeigt, dass die Bereitschaft dazu, noch immer eher gering ist. Der Großteil der Männer nutzt das Angebot nicht in vollem Umfang.

Vor diesem Hintergrund spricht sich Eva Hartmann, Leiterin der Geschäftsstelle des Deutschen Ingenieurinnenbundes (dib e.v.), dafür aus, das "begrüßenswerte Angebot der 32-Stunden-Woche" gesetzlich an die Bedingung zu koppeln, dass zumindest zeitweise beide Elternteile ihre Arbeitszeit zurückfahren. "Das ist auch wichtig, um das Image der Teilzeitarbeit zu verbessern, die ja heute immer noch als Karrierehemmnis gilt." Wenn Frauen wie Männer Teilzeit arbeiteten, bestehe die Chance, dass Führungspositionen irgendwann nicht mehr zwangsläufig mit Vollzeitbeschäftigten besetzt würden. "Ohne eine rechtliche Regelung ändert sich im Alltag und in den Köpfen der Chefs nichts", sagt Hartmann.

Annette Bruhns, Vorsitzende des Vereins ProQuote Medien, hält die Befürchtung, dass am Ende überwiegend Frauen langfristig im Job reduzieren, für übertrieben. "Frauen verdienen immer mehr und kommen heute häufiger in Führungspositionen. Und Männer bleiben immer öfter eine Zeitlang fürs Kind daheim. Unsere Arbeitswelt vollzieht einen notwendigen Kulturwandel - je schneller, umso besser." Zusätzliche gesetzliche Anreize, die beide Elternteile zu Erziehungsarbeit ermuntert, wären hilfreich. "In der Schweiz beispielsweise nutzen viele Eltern, Mütter wie Väter, die Möglichkeit, Vier-Tage-Wochen zu machen, auch in Leitungsfunktionen." Dass viele Männer in Deutschland nach der Geburt nur kurz im Job aussetzten, liege auch an den Frauen, die freiwillig länger zu Hause blieben. "Gleichberechtigung ist keine Einbahnstraße - auch manche Frau muss ihr Rollenbild überdenken."

Mit Material von Reuters.

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