Vermisste Feuerwehrleute in Tianjin:Peking fürchtet die Wut der Angehörigen

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  • Die Zahl der Todesopfer von Tianjin ist auf 112 gestiegen. Und immer noch werden 95 Menschen vermisst - darunter viele Ersthelfer.
  • Angehörige von Feuerwehrleuten fordern Aufklärung und Respekt: Viele der Männer, die zum Brandherd beordert wurden, waren bei der Hilfsfeuerwehr.
  • Die chinesische Regierung kontrolliert streng, welche Informationen über die Katastrophe an die Öffentlichkeit gelangen. Dutzende Webseiten, die angeblich Gerüchte verbreiteten, wurden bestraft.

112 Tote, 95 Vermisste

Immer neue, schlechte Nachrichten kommen aus der chinesischen Hafenstadt Tianjin. Nachdem es am Samstag erneut zu Explosionen auf dem Areal gekommen war und das Gelände wegen austretender Gase evakuiert werden musste, korrigierte die Regierung nun die Zahl der Toten nach oben: 112 Menschen starben nach jetzigem Stand - doch noch immer werden 95 Personen vermisst. Vier Tage nach den ersten Explosionen in dem Gefahrgutlager seien die Chancen "gering", noch Überlebende zu finden, schrieben chinesische Staatsmedien.

Nach den Explosionen in Tianjin
:Angst vor der Giftwolke

Drei Tage nach den Explosionen in einem Gefahrgutlager in der chinesischen Stadt Tianjin kommt es erneut zu Detonationen. Offenbar sind auch giftige Dämpfe in der Luft.

In Krankenhäusern wurden am Sonntag noch 698 Verletzte behandelt, darunter 57 Schwerverletzte.

Angehörige fordern Aufklärung und Respekt

Mittlerweile steht fest, dass ein Großteil der Toten Feuerwehrleute sind, viele davon Angehörige der Hilfsfeuerwehr: junge Leute vom Dorf zumeist, die kaum eine Ausbildung bekamen. Am Samstag stürmten die Angehörigen dieser Löschkräfte eine Pressekonferenz der Stadt und verlangten lautstark bessere Information durch die Regierung.

Unter den Opfern sind vor allem Feuerwehrmänner, die als Ersthelfer auf dem Gelände eintrafen. (Foto: dpa)

"Egal ob tot oder lebendig: Ich will wissen, was mit meinem Sohn ist", sagte Liu Huan, Vater eines vermissten 20-Jährigen der SZ. "Und ich will, dass die Behörden unseren Söhnen, die bei der Hilfsfeuerwehr waren, denselben Respekt erweisen wie den offiziellen Feuerwehrleuten, deren Namen seit Tagen immer wieder als Helden im Fernsehen genannt werden."

Erst nach Protesten der Familien hatten die Behörden eingeräumt, dass möglicherweise viel mehr Feuerwehrleute ums Leben gekommen sein könnten, als zunächst bekanntgegeben. Unter den Vermissten seien 13 Löschkräfte der offiziellen Feuerwehr und 72 weitere Brandbekämpfer, die von dem Hafenbetreiber frei angeheuert worden seien. Der Tod von 21 Feuerwehrleuten ist bereits bestätigt - das sind mehr als bei irgendeinem anderen Unglück in China seit 1949 gestorben sind.

Die Tatsache, dass den Behörden keine genauen Listen mit dem Lagergut vorlagen, könnte mitverantwortlich sein für die Katastrophe: Als das Feuer ausbrach, wussten die Feuerwehrleute vor Ort offenbar nicht, womit sie zu kämpfen hatten. Möglicherweise verursachte erst ihr Löschversuch mit Wasser die verheerende zweite Explosion, die auf Satellitenaufnahmen eindrücklich festgehalten ist. Ein riesiger schwarzer Krater klafft auf dem Gelände.

Mehr als 3000 Bergungskräfte waren am Sonntag in einem Umkreis von drei Kilometern an Aufräumarbeiten beteiligt, berichtete der Stabschef der Militärregion, Shi Luze. Konvois mit Soldaten rollten in die Stadt.

Das wahre Ausmaß der Katastrophe und die Gefahren durch Schadstoffe in Luft und Wasser kommen nur langsam zutage. Aus Angst vor giftigen Gasen und einem Wechsel der Windrichtung wurden am Samstag Anwohner in einer Grundschule in Sicherheit gebracht, die zur Notunterkunft umfunktioniert wurde. Obwohl Polizei über Lautsprecher zur Räumung in einem Umkreis von drei Kilometer aufgerufen hatte, bestritt ein Behördenvertreter später, dass eine Evakuierung angeordnet worden sei. Die Behörden versicherten zwar, dass die Luft ständig überwacht werde und keine Gefahr bestehe - lediglich 2 von 17 Messstellen hätten "für kurze Zeit" Blausäure registriert. Doch Anwohner waren besorgt. Viele trugen Mundschutz. Auch beteuerten amtliche Stellen, Abflussrohre seien gesperrt, so dass kein vergiftetes Wasser abfließen könne.

Regierung zensiert Berichterstattung über die Katastrophe

Dass die Gerüchte blühen, liegt auch daran, dass die Informationen von offizieller Seite spärlich sind. Bis heute hat sich kein Sprecher der Firma Ruihai öffentlich zur Explosion ihres Lagerhauses erklärt. Pekinger Medien wie das Magazin Caixin verdächtigen die Firma mittlerweile, Schmuggel mit gefährlichen Stoffen betrieben zu haben. Dem chinesischen Militär zufolge lagerten auf dem Gelände am Hafen "einige hundert Tonnen" hochgiftiges Natriumcyanid und andere Chemikalien.

Die Behörden halten den Informationsfluss jedoch stark unter Kontrolle. Zeitungen dürfen eigentlich nur Berichte der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua übernehmen und nicht selbst recherchieren. Die starke Zensur verstärkt den Eindruck in der Bevölkerung, dass die Behörden nicht die ganze Wahrheit sagen.

50 Webseiten wurden gesperrt, weil sie angeblich "Gerüchte" oder "unbestätigte Informationen" veröffentlicht und damit Panik ausgelöst hätten. Die Internetaufsicht warnte nach Angaben von Xinhua, dass sie "Null-Toleranz" für solches Verhalten habe.

Mitarbeit: Kai Strittmatter, Tianjin

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