USA:Schluss mit Lügen

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Caitlyn Jenner als Diva auf dem Titel der aktuellen Vanity Fair. (Foto: Annie Leibovitz/AP)

Bruce Jenner beginnt sein neues Leben als Caitlyn Jenner. Dazu gratuliert ihr selbst der US-Präsident.

Von Laura Hertreiter

Bruce Jenner ist nun endgültig verschwunden. Der Olympiasieger im Zehnkampf von 1976, der als Stiefvater von Fernsehsternchen Kim Kardashian eine feste Größe im Boulevard war, hatte sich schon vor Monaten langsam verabschiedet. Im April erzählte er in einem Fernsehinterview, dass er transsexuell sei, dass er schon als Kind heimlich Mädchenkleider getragen habe. Dass er seit den Achtzigern Hormone schlucke und eine Reihe von Operationen vornehmen lasse, um endlich ein Leben im richtigen Körper führen zu können. Und jetzt, mit 65 Jahren, beginnt Jenner dieses neue Leben mit einem spektakulären Auftritt: Dieser Tage wurden Bilder publik, auf denen Jenner in weißer Korsage mit Cindy-Crawford-Frisur als Covermodel des Magazins Vanity Fair zu sehen ist.

"Call me Caitlyn" lautet der Titel, nennt mich Caitlyn.

Zwei Tage lang soll Fotografin Annie Leibovitz an den Bildern gearbeitet haben, der Text auf 22 Seiten stammt von Pulitzer-Preisträger Buzz Bissinger. Die Ausgabe wird ab kommendem Dienstag an den amerikanischen Kiosken liegen. Die Resonanz darauf ist allerdings schon jetzt gewaltig.

Nachdem Caitlyn Jenner am Montag ihren Twitter-Account eröffnete, brach sie laut Guiness World Records einen Weltrekord: Innerhalb von nur vier Stunden und drei Minuten folgten ihr eine Million Nutzer. Als US-Präsident Barack Obama vor knapp zwei Wochen seinen Account startete, brauchte er dafür fünf Stunden. Musiker, Sportler, Schauspieler beglückwünschten Jenner zu ihrem großen Schritt, auch Obama selbst twitterte, diese Geschichte öffentlich zu erzählen erfordere Mut und leiste einen Beitrag für die Rechte von Transgendern, Lesben und Schwulen.

Denn nicht nur in den USA nehmen sich noch immer erschreckend viele Transsexuelle das Leben, weil sie verspottet, benachteiligt und gedemütigt werden. Dort aber ist besonders in pietistischen Kreisen die Ansicht verbreitet, dass sich Transsexualität heilen lasse. Anfang des Jahres hatte der Fall Leelah Alcorns international für Aufsehen gesorgt. Das im Körper eines Jungen geborene Mädchen hatte sich in Ohio vor einen Truck geworfen, weil die Eltern es mit einer Therapie umerziehen wollten.

Mit Caitlyn Jenner ist nun scheinbar über Nacht eine große Ikone für die Betroffenen geboren. Jemand, der einen Ausweg vorlebt. Den glamourösen Bildern einer strahlend schönen Frau ist allerdings ein langer Leidensweg vorangegangen. In einem Video zum Cover-Shooting sagt Caitlyn Jenner: "Bruce musste immer eine Lüge erzählen."

Das klingt fast wie eine Plattitüde. Welche weitreichenden Folgen das Leben mit einer solchen Lüge jedoch haben kann, haben Wissenschaftler einer amerikanischen Stiftung zur Suizid-Prävention vor zwei Jahren beschrieben. In einer Studie zu Selbstmordversuchen unter Transgendern gaben 41 Prozent der Befragten an, einen Selbstmordversuch hinter sich zu haben.

Auch in Deutschland geht man von 50 Prozent der Betroffenen aus, wie die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität mitteilt. Sensibel ist man auch hier längst noch nicht. Nach einer von Jenners Operationen etwa titelte die Bild-Zeitung: "Ist sein bestes Stück jetzt ab?"

Aufklärung ist also überfällig - und überlebenswichtig. Dabei kann eine glamouröse Ikone wie Caitlyn Jenner sicher hilfreich sein. Solange Jubel und Toleranz nicht hauptsächlich der Tatsache gelten, dass sich jemand im Stil einer Hollywood-Diva neu erschaffen hat. Denn dazu haben die wenigsten eine Chance.

© SZ vom 03.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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