Tourismus:Schluss mit durstig

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Amsterdam verbietet die Bierbikes, Barcelona verbannt Alkohol von den Straßen: Immer mehr Städte wehren sich gegen Saufurlauber. Dabei haben die Proll-Gäste auch Ihr Gutes. Sie sind viel weniger pingelig als andere.

Von Cornelius Pollmer

Wäre "Amsterdam" eine Spielkarte bei Tabu - dem Sprachspiel, bei dem naheliegende Worte verboten sind -, "Fahrrad" stünde garantiert auf der roten Liste. Wer sich in dieser Stadt als Tourist je zu Land bewegt hat, der tat es mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einem Rad und der wird sich womöglich noch erinnern an diese kurzen Momente des Fliegens, wenn es ein bisschen zu schwungvoll über einen dieser sanften Brückenhügel über den Grachten ging. Amsterdam, das war und ist das, was man eine fahrradfreundliche Stadt nennt. Mit dem Schwung haben sie dort auch weiterhin kein Problem, mit der Völlerei jedoch schon. Präziser: mit jenen Touristen, bei denen das Voll-Sein das Bewusstsein bestimmt und manchmal sogar die Bewusstlosigkeit.

Seit wenigen Tagen sind im Stadtzentrum von Amsterdam "Mehrpersonen-Fahrräder mit Bierzapfanlage" verboten, also Bierbikes. Das Bezirksgericht folgte damit dem Stadtrat in seiner Einschätzung, dass die Kombination aus Verkehrsbehinderungen, unsozialem Verhalten und dem geschäftigen Stadtzentrum ein Verbot rechtfertige. Etwa 6000 Bewohner hatten zuvor eine Petition für ein Verbot der Räder unterzeichnet und diese wie ihre Benutzer nüchtern ein "schreckliches Phänomen" genannt.

Haare unter der Matratze, trockenes Rührei? Alles egal! Der Komatrinker motzt nicht

Das Phänomen hat seinen Ursprung in der jüngeren Vergangenheit, als innereuropäische Flüge begannen, zuweilen günstiger zu werden als ein halber Liter Bier in einer durchschnittlichen Großstadtbar. Seitdem sind Klagen über speziell Briten und Deutsche aus allen Ecken und Enden des Kontinents zu hören: Barcelona versucht, das Phänomen mit Verboten einzudämmen, kein offener Alkohol auf offenen Straßen. In Kroatien halten viele den Frühling für verdorben, seit junge Sauftouristen vermehrt zum "Springbreak" einfallen. Und in Bulgarien wurde vor ähnlichen Entwicklungen mit der schönen Vokabel "Mallorca-Syndrom" gewarnt, denn dort hat ja alles irgendwie angefangen. Auf Mallorca suchen Einwohner und Verwaltung nun schon so lange nach wirksamen Methoden im Kampf gegen Sauftouristen, dass sie in der Wahl ihrer Mittel immer kreativer werden. In diesem Sommer etwa forderte die Regionalregierung der Balearen eine Art drastische Bannmeile, nämlich ein Alkoholverbot schon bei der Anreise in Flugzeugen und auf Flughäfen.

Seit Mittwoch eine Szene aus der Vergangenheit: Touristen rollen auf einem pedalgetriebenen Biergefährt durch Amsterdam. (Foto: Reuters)

Aus Sicht des modernen Kurzreisenden wiederum folgen die Saufgelage speziell auf Bierbikes einer gewissen Logik. Man hat wenig Zeit, es muss also schnell lustig und bunt werden, und wenn sich nebenbei in den Augenwinkeln ein paar Sehenswürdigkeiten mitnehmen lassen, umso besser, das lindert das schlechte Gewissen, sich im Grunde überhaupt nicht für das Ziel der Reise zu interessieren, sondern hauptsächlich für einen ordentlichen Pegel. Aus Sicht von Gastronomen, Reiseveranstaltern und nicht selten Bordellen ergeben die Kurztrips aus Anlass von "Stag Weekends" (Junggesellenabschieden) und "Pub Crawls" (im Grunde dasselbe, nur ohne bevorstehende Hochzeit) ebenfalls Sinn: Mit jedem Bier steigt die Preisbereitschaft der Reisenden, vor allem aber sind sie oft in überragender Weise unkompliziert. Während der beflissene Kulturtourist sich schon beschwert, dass das Rührei am Frühstücksbuffet zu trocken sei, ist beim komatösen Trinker noch nicht einmal ans Aufstehen zu denken. Während der oder die Alleinreisende über den fehlenden Meerblick motzt oder ein Haar zwischen Matratze und Lattenrost entdeckt, ist der Trinkende schon froh, wenn das grüne Lämpchen an der Tür blinkt und er also seine Zimmerkarte nicht nur in der richtigen Stadt im richtigen Hotel angehalten hat, sondern sogar am richtigen Raum.

Es stimmt alles Schlimme, was man über Sauftouristen so liest: Sie sind unnötig laut, sie stehen unnötig im Weg herum, sie pinkeln unnötig oft wild, sie nerven unnötig oft andere Reisende. Zur Begründung des geforderten Alkoholverbots führte die Balearen-Regierung unter anderem an, "antisozialen Tourismus" bekämpfen zu wollen. Ob Amsterdam mit dem bloßen Bierbike-Verbot in diesem Kampf nun vorankommt, bleibt unbedingt abzuwarten. Zumindest theoretisch bieten die vielen Grachten den bisherigen Saufradlern eine alternative Option. Aus anderen Städten mehren sich die Meldungen, dass immer mehr Touristen sommers auf Grill- und Bierbooten über Flüsse schippern.

© SZ vom 06.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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